Essen. Wie ein Machtkampf zwischen Eltern und Kindern entsteht, zeigt Erziehungsexpertin Kathy Weber am Beispiel Zähneputzen. So verhindert man Zoff.
Morgens will sich der Nachwuchs nicht anziehen, nachmittags mag er nicht aufräumen und abends möchte er nicht ins Bett – das sind nur drei von vielen Konfliktsituationen in Familien. Oft kommt es zu Machtkämpfen zwischen Eltern und Kindern. Wie sie entstehen, warum sie schädlich sind und wie man sie vermeidet, erklärt Kathy Weber am Beispiel Zähneputzen. Maren Schürmann sprach mit der Erziehungsberaterin, Mutter und Autorin von „Die Superkraft der liebevollen Führung“.
Das Zähneputzen ist ein großes Streitthema in Familien. Wie entsteht dabei ein Machtkampf?
Kathy Weber: Der Machtkampf entsteht bei den Eltern, bei deren Haltung. Viele Eltern haben den Druck: Zähne müssen geputzt werden! Jetzt! Dreimal am Tag, zwei Minuten lang. Besser: drei! Dann weist der Zahnarzt darauf hin, dass die Zähne auf jeden Fall geputzt werden müssen. Also: viel Müssen.
Aber gesunde Zähne sind wichtig.
Ich bin schon dafür, dass die Zähne geputzt werden. Eltern sind schließlich für die körperliche Gesundheit des Kindes verantwortlich, aber auch für die emotionale Gesundheit. In diesem Fall geht es um beides. Abhängig davon, wie ich mit meinem Kind umgehe, missbrauche ich meine Macht. Ich gefährde die emotionale Gesundheit meines Kindes, weil ich Machtmissbrauch begehe, indem ich es zwinge, die Zähne zu putzen.
Wo beginnt der Machtmissbrauch?
Es sind drei Stufen: In der Regel fangen Eltern an, aufs Kind einzureden. ,Ja, du musst aber, sonst fallen die Zähne aus. Jetzt mach aber mit!’ Und der Zeiger geht ticktack, ticktack immer mehr in den roten Bereich. Dann kommen wir irgendwann in die Phase, mit Belohnung zu locken oder mit Bestrafung. ,Wenn du jetzt nicht putzt, dann gibt es keine Gute-Nacht-Geschichte.’ Dann haben wir den Wutausbruch vorprogrammiert, mit dem die Eltern in der Regel auch nicht umgehen können. ,Ich zähle bis Drei!’ Und wenn das Kind dann immer noch nicht will, stopfen Eltern die Zahnbürste in den Mund. Und das ist ein körperlicher Übergriff.
Also doch lieber gut zureden?
Machtmissbrauch fängt für mich schon an, wenn ich weiß, ich überfordere das Kind mit dem, was ich sage, und ich meine Verantwortung abgebe: ,Du musst Zähne putzen, sonst fallen sie dir aus.’ Mal abgesehen davon, dass ich dem Kind damit viel Angst mache: Mit drei Jahren ist es nicht dafür zuständig, für seine Gesundheit zu sorgen und für seine Hygiene. Das sind nun mal wir Eltern. Und ich möchte keinen Schaden, ich möchte keine Angst, ich möchte, dass mein Kind freiwillig, intrinsisch motiviert, mitmacht.
Diesen Wunsch haben bestimmt viele Eltern. Und dann dreht das Kind wieder den Kopf weg, sobald die Zahnbürste naht.
Ich habe die Verantwortung für die körperliche Gesundheit – und zu schauen, was mein Kind jetzt braucht. Ich beobachte mein Kind, wenn es Nein zum Zähneputzen sagt. Wofür steht das Nein? Ein Nein ist für mich immer ein Ja für etwas anderes. Vielleicht braucht es mehr Nähe, um mitzumachen? Dann setze ich es auf meinen Schoß. Oder meine Tochter ist hibbelig und hüpft herum. Dann braucht sie wahrscheinlich Bewegung, Spiel und Spaß. Und das baue ich beim Zähneputzen ein. Eltern sollten da flexibel sein.
Wie machen Eltern das am besten?
Wir singen zum Beispiel, weil mit Zahnbürste im Mund hört sich das lustig an. Wir können spielen, dass die Zahnbürste ein Düsenjet ist. Oder meine Tochter ist gerne die Königin und ich bin die Zofe und kümmere mich um die Königin. Und dann setze ich ihr ein Krönchen auf. Aber es gibt ja noch mehr Bedürfnisse, die hinter dem Nein stehen können. Autonomie: ,Zwei Zahnbürsten und du kannst entscheiden, welche wir nehmen.’ Zwei Bürsten, mehr nicht, sonst ist ein kleines Kind überfordert. Oder das Kind entscheidet, ob wir im Stehen oder im Sitzen putzen, auf dem Tisch oder unter dem Tisch. Und die ganze Zeit bleibe ich bei meiner Haltung: Wir putzen die Zähne! Wobei ich den Hinweis geben möchte: Es geht beim Zähneputzen nicht um Leben und Tod. Ich lade Eltern ein, sich von dem Druck frei zu machen.
Und dann sollten sie das Zähneputzen mal ausfallen lassen?
Die Zähne werden nicht sofort ausfallen. Es kann ja sein, dass mein Kind sehr müde ist. Es ist abends und es ist okay, dass ich entscheide, wir lassen es jetzt, wir werden morgen die Zähne putzen. Ich helfe dem Kind, das zu schaffen, und erwarte nicht, dass das Kind mir hilft, das hinzukriegen.
Es wird jedoch immer wieder geraten, als Eltern konsequent zu bleiben.
Ich bin dafür, dass wir konsequent sind in der Haltung, warum wir etwas machen. Es ist ein Unterschied, ob ich sage: ,Ja gut, dann putzen wir halt gar nicht die Zähne.’ Oder ob ich sage: ,Ich entscheide, dass wir hier jetzt Stopp machen, weil ich sehe, dass du komplett müde bist. Du brauchst jetzt Schlaf, und ich kümmere mich darum, dass wir morgen bei den Zähnen weitermachen.’
Als Eltern Macht auszuüben, ist aber nicht per se schlecht?
Wenn ein Kind Medizin braucht, weil es sonst ins Krankenhaus kommt, kann es sein, dass ich entscheide, nachdem es trotz Empathie nicht mitmacht: Du bekommst jetzt die Medizin und ich halte dich dabei fest. Das Kind wird das als Übergriff wahrnehmen, aber ich kann ihm in solch einer Situation nicht die Wahl lassen. Es kann die Konsequenzen noch nicht absehen.
Warum ist ein Machtmissbrauch so schädlich?
Die Frage kann man sich beantworten, indem man überlegt: Was hat der Autoritäre oder der Antiautoritäre Erziehungsstil bei mir für Wunden hinterlassen? Da reden wir von wenig Selbstwert, den Drang, es allen recht zu machen. Wir dürfen keine Fehler machen, wir sind voller Scham und Angst. Das schleppt unsere Generation mit. Wir haben nicht gelernt, für uns einzustehen, Grenzen zu setzen. Der Machtmissbrauch kann mal passieren, wir sind alles nur Menschen, aber wir dürfen lernen, es anders zu machen.
=> Kathy Weber – Buch und Podcast
Kathy Weber (43) ist zweifache Mutter, Erziehungsberaterin und Trainerin der Gewaltfreien Kommunikation. Ihr Podcast: „FamilieVerstehen: Das ABC der Gewaltfreien Kommunikation“.
Zusammen mit der promovierten Pädagogin Martina Stotz bietet sie Online-Trainings an (konfliktengel.de). Nun haben sie ein Buch geschrieben: Die Superkraft der liebevollen Führung, Beltz, 265 S., 22 €.
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