Essen. Warum setzen immer mehr Paare auf Offenheit statt Exklusivität? Und kann eine offene Ehe erfolgreich sein? Eine Expertin gibt Antworten.

Immer mehr Paare öffnen ihre Beziehungen, um die Bedürfnisse nach Freiheit und Abwechslung zu stillen. Doch was passiert, wenn der Raum für andere Menschen größer wird? Eine Beziehungsexpertin erzählt, was hinter offenen Beziehungen steckt und wann Paare davon profitieren können.

„Die Nichtmonogamie wird langsam aus der Schmuddelecke geholt“, beobachtet die Berliner Paartherapeutin Jamila Mewes. Bei den meisten Menschen sei zwar das traditionelle Bild einer monogamen Beziehung immer noch tief verankert. Doch in den letzten Jahren habe die Expertin einen Wandel in den Denkweisen festgestellt: „Offene Ehen kommen häufiger vor, als vielleicht angenommen wird. Immer mehr Paare trauen sich, zu ihrer Beziehungsform zu stehen oder ihren Wunsch nach einer nicht-exklusiven Beziehung zu äußern“, erzählt sie.

Polyamorie vs. offene Ehe: Wo liegen die Unterschiede?

Polyamorie und offene Ehe sind beides Formen nicht-monogamer Beziehungen, unterscheiden sich jedoch in ihrer Ausgestaltung und den zugrunde liegenden Prinzipien. Wie Mewes erklärt, spricht man von Polyamorie, wenn ein Partner mehrere romantische oder sexuelle Beziehungen gleichzeitig führt. Der Begriff setzt sich zusammen aus „poly“ (griechisch für „mehrere“) und „amor“ (lateinisch für „Liebe“). Bei offenen Beziehungen handelt es sich um Polygamie, eine „einvernehmliche Vereinbarung, weitere Sexualpartner außerhalb der Ehe zu haben, ohne emotionale Bindung“, erklärt die Expertin.

Welche Paare können von einer offenen Ehe profitieren?

Bevor sich Partner für die Öffnung ihrer Beziehung entscheiden, sollten sie erst reflektieren, welche Intentionen oder Erwartungen dahinter stecken. Dabei sei ihre aktuelle Beziehungssituation entscheidend: „Die offene Ehe sollte kein Versuch sein, eine Ehe zu retten, oder als Strategie dienen, den eigentlichen Trennungswunsch zu verbergen“. Ob eine offene Ehe das passende Liebesmodell für ein Paar ist, lässt sich klären, indem Partner ihre eigenen Motive hinterfragen.

Laut Mewes kann eine offene Beziehung nur dann erfolgreich sein, wenn sie stabil ist und auf einer tiefen Vertrauensbasis beruht. „Wenn die Kommunikation in der monogamen Beziehung ein Auslöser für Konflikte ist, dann wäre meine Empfehlung, zuerst an der Kommunikation zu arbeiten, bevor man die Ehe öffnet“, sagt die Paartherapeutin, „denn wenn das Fundament der Beziehung porös ist, dann wackelt das Beziehungshaus bei Herausforderungen, wie sie eine offene Ehe mit sich bringt“.

Offene Ehe: Welche Chancen bietet sie?

Auch eine offene Ehe erfordert Engagement: Paare, die sich dafür entscheiden, ihre Beziehung zu öffnen, müssten dafür sorgen, dass sie sich weiterhin Liebe und Sicherheit schenken, auch wenn die Exklusivität entfällt, erklärt Mewes.

„Das klingt zunächst paradox“, gibt die Paartherapeutin zu. „Aber genau darin liegt die Chance für echte Treue und Verbindlichkeit. Denn wenn wir Treue von sexueller Exklusivität trennen und die Definition von Treue leben, indem wir über einen längeren Zeitraum verlässlich füreinander da sind, dann wächst Vertrauen.“

Doch können offene Ehen sogar besser als monogame Beziehungen funktionieren? Laut Statista ließ sich 2021 jedes dritte Ehepaar in Deutschland scheiden. So gesehen, könnten offene Beziehungen durchaus erfolgreicher sein als das traditionelle Beziehungsmodell. „Monogamie und Treue werden hochgehalten und gelten als wichtige Werte. Doch betrogen wird, seit es die Monogamie gibt“, betont Mewes.

Welche Nachteile kann eine offene Beziehung mit sich bringen?

Wie jede andere Beziehungsform hat auch eine offene Partnerschaft ihre Schattenseiten. Besonders Eifersucht könnte zu einer erheblichen Belastung werden. Die Paartherapeutin warnt: „Mit der Eifersucht in offenen Ehen muss ein Umgang gelernt werden“. Zu wissen, dass der Partner einer anderen Person Zeit und Aufmerksamkeit widmet, könne bei dem anderen Partner ein Gefühlschaos auslösen. In solchen Fällen sei es hilfreich, klare Absprachen zu treffen und Grenzen zu definieren, rät Mewes.

Doch es gibt noch einen weiteren Aspekt, den Paare beachten sollten: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der Monogamie als Normalfall angesehen wird und in der Paare, die in polyamoren oder offenen Ehen leben, mit Anfeindungen, Hass und Kritik konfrontiert werden“, so die Expertin. Paare, die diesen Weg wählen, würden Gefahr laufen, ihr Zugehörigkeitsgefühl zur gesellschaftlichen Norm zu verlieren und sich stigmatisiert zu fühlen.

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Dieser Artikel erschien zuerst bei der Berliner Morgenpost.