Berlin. Wieso lassen sich Menschen auf eine Affäre ein? Ein Paartherapeut warnt: Dieses Bedürfnis durch Fremdgehen zu stillen, ist besonders riskant.

Trotz des romantischen Ideals der treuen Zweisamkeit sehnen sich manche Menschen nach dem „kleinen Extra“ außerhalb ihrer Beziehung. Doch was treibt sie wirklich zu einer Affäre? Der Paartherapeut Hilmar Benecke aus Essen gibt Einblicke in die verborgenen Motive und zeigt auf, welche Formen von Affären eine Partnerschaft besonders gefährden können.

Was ist eigentlich eine Affäre?

„Eine Affäre“, erklärt der Paartherapeut Hilmar Benecke, „ist in erster Linie eine länger andauernde, heimliche Beziehung außerhalb der festen Partnerschaft“. Anders als ein flüchtiger Seitensprung sei eine Affäre von Dauer und könne sich über Wochen, Monate oder sogar Jahre hinziehen. Oft entstehe dabei auch eine emotionale Bindung, die über den rein körperlichen Kontakt hinausgehe.

Eine Affäre unterscheidet sich laut Benecke außerdem deutlich von offenen oder polyamoren Beziehungen: „Der entscheidende Unterschied liegt in der Heimlichkeit und Tabuisierung von Affären – eine Affäre findet in der Regel ohne Wissen des festen Partners statt“. Offene Beziehungen hingegen basierten auf gegenseitigem Einverständnis und setzten eine Offenheit voraus, die weit über das hinausgehe, was Affären kennzeichne.

Welche Arten von Affären gibt es – und welche Bedürfnisse stecken dahinter?

Paartherapeut Benecke ist vorsichtig mit festen Kategorisierungen, wenn es um Affären geht. „Affären lassen sich nicht so einfach in bestimmte Typen einteilen“, sagt er. „Vielmehr spiegeln sie unerfüllte Bedürfnisse der Beteiligten wider.“ Für ihn sind Affären vor allem Ausdruck tiefer liegender Sehnsüchte. Oft seien es unerfüllte Bedürfnisse, die Menschen in eine Affäre treiben – Männer suchten dabei häufiger nach sexueller Erfüllung, während Frauen eher dazu neigten, emotionale Defizite auszugleichen und sich beispielsweise Geborgenheit oder Verständnis außerhalb der Partnerschaft zu holen.

Paartherapeut Hilmar Benecke
Der Berliner Paartherapeut Hilmar Benecke ist spezialisiert auf lösungsorientierte Kurztherapie, systemische Paarberatung und Autonomiearbeit. © Lichtschacht - Studio f. Fotografie // Maiser | Lichtschacht - Studio f. Fotografie // Maisenhälder & Schwickerath GbR

Allerdings seien die Motive selten so klar zu trennen. „Eine Affäre, die primär durch körperliche Bedürfnisse ausgelöst wird, bleibt fast nie rein körperlich, denn Intimität bleibt selten emotionslos“, erklärt Benecke. In den meisten Fällen bewege sich eine Affäre irgendwo zwischen rein körperlicher und emotionaler Bindung – die Grenzen seien oft fließend.

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In welchen Lebensphasen sind Menschen besonders anfällig für Affären?

Auch bestimmte Lebensphasen machen Menschen anfälliger für Affären, so der Therapeut. „Die erste große Risikophase tritt häufig nach der Familiengründung ein“, erklärt Benecke. „Viele Paare beginnen sich in dieser Zeit auseinanderzuleben, weil die gegenseitige Wertschätzung oft hinter den Anforderungen des Alltags und der Kindererziehung zurücktritt.“ Wenn dann eine dritte Person ins Leben tritt und genau die emotionale Lücke füllt, die im Beziehungsalltag entstanden ist, könne das leicht der Auslöser für eine Affäre sein.

Auch spätere Phasen, etwa nach dem Auszug der Kinder oder beim Übergang in den Ruhestand, seien oft eine kritische Zeit für Paare. „In diesen Momenten werden die eigenen Wünsche und Sehnsüchte wieder wichtiger und der Wunsch nach neuen Erfahrungen oder Abwechslung tritt stärker in den Vordergrund“, beschreibt Benecke. Für viele entstehe dann das Bedürfnis, das wiederzufinden, was im Alltag der langjährigen Beziehung verloren gegangen sei.

Welche Affäre gefährdet die Beziehung am meisten?

Affären – egal welcher Ausprägung – stellen immer ein gewisses Risiko für die Stabilität einer Beziehung dar, sagt Paartherapeut Benecke: „Eine Affäre ist oft ein Zeichen für unerfüllte Bedürfnisse in der Partnerschaft“, erklärt er. Die größte Gefahr sieht der Paartherapeut aber nicht unbedingt in den klassischen sexuell geprägten Abenteuern – zumindest, wenn diese selten bleiben. „Wer das ‘gewisse Etwas’ sucht, sei es online oder im Alltag, findet oft eine Balance zwischen der festen Partnerschaft und dem Reiz des Neuen“, sagt Benecke. Solche Affären ließen sich eher in den Status quo der Beziehung integrieren und stellten selten die gesamte Beziehung in Frage.

Anders sehe es bei emotional aufgeladenen Affären aus, die oft in intensiveren und regelmäßigeren körperlichen Kontakten wurzeln. „Hier bekommt der Affärenpartner das, was in der Hauptbeziehung fehlt: Nähe, Verständnis, emotionale Geborgenheit“, erklärt Benecke. „Mit der Zeit erfüllt diese Person die Bedürfnisse so gut, dass sie zu einer immer stärkeren Konkurrenz für die Hauptbeziehung wird.“ Das berge die Gefahr, dass der Betrogene anfange, über eine gemeinsame Zukunft mit der Affäre nachzudenken.

Der Film „Pleasure“ handelt auch von weiblicher Lust und Selbstermächtigung (Symbilbild).
Ein Paartherapeut verrät: Bei einer Affäre geht es selten nur um Sex. Andere Bedürfnisse machen sie gefährlich. © imago/Panthermedia | Unbekannt

Weitere Faktoren, die laut dem Paartherapeuten das Risiko einer Beziehungskrise erhöhen

1. Beziehungsstatus der Beteiligten.

Laut Paartherapeut Benecke kann es bei Affären einen Unterschied machen, ob einer der Partner ungebunden ist oder nicht. „Wenn beide Affärenpartner in festen Beziehungen sind, haben in der Regel beide etwas zu verlieren. Ein ungebundener Partner neigt hingegen oft dazu, mit zunehmender Dauer der Affäre eine feste Beziehung anzustreben und damit den bisherigen Partner zu verdrängen. Insbesondere dann, wenn ein hohes Bedürfnis nach Sicherheit, Verlässlichkeit und Geborgenheit besteht, das eine Affärenbeziehung in der Regel nicht bieten kann“, erklärt Benecke.

Um eine Entscheidung zu erzwingen, versuchen ungebundene Affärenpartner laut Benecke manchmal, den Druck zu erhöhen. „Sie könnten zum Beispiel weniger darauf achten, Treffen oder Nachrichten geheim zu halten, in der Hoffnung, dass das Auffliegen der Affäre die Hauptbeziehung zerstört“, beobachtet der Therapeut.

2. Nähe und Häufigkeit der Begegnungen

Auch die Nähe und die Häufigkeit der Treffen würden die Intensität einer Affäre beeinflussen. Benecke betont, dass Affären, bei denen sich die Beteiligten im Alltag – etwa am Arbeitsplatz – häufig begegnen, besonders riskant sind. „Durch die gemeinsame Zeit und den häufigen Kontakt kommen schnell Alltagsthemen ins Spiel“, erklärt er. Die enge Verflechtung im Alltag mache es nicht nur schwieriger, die Affäre geheim zu halten, sondern führe oft auch zu emotionalen Belastungen und wachsenden Konflikten in der eigenen Beziehung.

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Manche Affären können eine Beziehung auch stärken

Dennoch: Eine Affäre muss nicht zwangsläufig das Ende einer Partnerschaft bedeuten, sagt Paartherapeut Hilmar Benecke. „Tatsächlich kann eine Affäre die Bindung zwischen zwei Menschen vertiefen – aber nur, wenn beide bereit sind, ehrlich hinzuschauen und die eigenen Anteile an der Krise zu reflektieren.“ So kann eine Affäre in manchen Fällen eine Art Weckruf sein, der deutlich macht, wo in der Beziehung Bedürfnisse unerfüllt geblieben sind.

Wenn Paare anfangen, offen über ihre Wünsche zu sprechen und sich intensiver mit ihrer Beziehung auseinandersetzen, kann das die Partnerschaft sogar neu beleben. „Oft merken Paare erst dann, dass ihre Beziehung gepflegt werden muss, um langfristig stabil zu bleiben“, erklärt Benecke. Eine Affäre kann dann das Bewusstsein dafür schärfen, wie wichtig es ist, aktiv in den Aufbau und Erhalt einer innigen Bindung zu investieren. „Versuchungen wird es immer geben“, sagt Benecke, „aber ein wirklich verbundenes Paar hat viel weniger Grund, ihnen nachzugeben.“