Berlin. Wer fremdgeht, fühlt sich schuldig. Sollte man den Betrug beichten? Ein Psychologe verrät, wie sich beide Partner klug verhalten.

  • In vielen Beziehungen besteht die Sorge vor einem Seitensprung des Partners
  • Wie sollte man sich verhalten, wenn man tatsächlich betrügt?
  • Ein Experte klärt auf

Wer herausfindet, dass er betrogen wurde, leidet. Schon vor Jahren hat die Forschung herausgefunden, dass die Erfahrung eines solchen Vertrauensbruchs schwere psychische und körperliche Auswirkungen haben kann – bis hin zur Posttraumatischen Belastungsstörung. Der Betrüger steht dagegen zwangsläufig als Buhmann da. Mit seiner Gefühlswelt setzt man sich selten auseinander. Und das, obwohl die Entscheidung, wie es nach einem Seitensprung weitergeht, auch bei ihm oder ihr liegt.

So eifrig die meisten Menschen wohl beteuern würden, dass sie ihren Partner niemals betrügen würden, zeigt die Erfahrung von Ludwig Schindler etwas anderes: Treue kann man nicht garantieren. „Nichts im Leben ist ohne Risiko und perfekte Menschen gibt es nicht“, sagt der Münchner Psychologe und Psychotherapeut, der sich seit über 40 Jahren in Forschung, Lehre, Therapie und Beratung mit Paarbeziehungen auseinandersetzt. Schindler ist Mitbegründer des Online-Programms PaarBalance (www.paarbalance.de), das Paaren Anleitung für positive Veränderungen oder professionelle Unterstützung bei Beziehungsproblemen bietet. Zu letzteren gehören oft auch Seitensprünge.

Psychologe: Menschen betrügen, wenn sie in Versuchung geraten

Nach Ludwig Schindlers Auffassung kommt es meist zum Betrug, wenn Menschen einer Versuchung erliegen. Das könne eine Liaison mit dem Arbeitskollegen sein oder ein Flirt mit dem Tennistrainer. Was aber, wenn es herauskommt, dass man sich auf eine Affäre eingelassen hat? „Ein Seitensprung bedeutet für die allermeisten Beziehungen den Super-GAU“, so der Experte. „Dem Hintergangenen wird sein Lebensplan genommen, der Täter hat Schuldgefühle und ist hin- und hergerissen zwischen dem vertrauten Partner und dem aufregenden Neuen.“

Der Münchner Psychologe und Psychotherapeut Ludwig Schindler beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit Paarbeziehungen.
Der Münchner Psychologe und Psychotherapeut Ludwig Schindler beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit Paarbeziehungen. © PaarBalance | PaarBalance

Diesen Zustand der Unentschlossenheit nennen Psychologen einen „Annäherungs-Annäherungs-Konflikt“: „Man kann sich das vorstellen wie ein Bungee-Seil, mit dem der Betrüger an beide Personen gebunden ist“, erklärt der Therapeut. „Wenn er sich einem der beiden Partner nähert, spannt sich das Seil in eine Richtung. Ist ein kritischer Zug erreicht, wechselt der Betrüger die Richtung und wendet sich wieder dem anderen zu.“

Um sich aus dieser misslichen Lage zu befreien, müsste der Mensch eines der beiden Seile kappen. Wenn aber eine Affäre über Monate oder gar Jahre andauert, falle das besonders schwer. „Viele unterschätzen, wie schnell sich eine Bindung zu einer dritten Person einstellen kann“, weiß Ludwig Schindler aus vielen Jahren Praxiserfahrung. Diese Bindung könne man nur über längere Zeit „abwickeln“.

Sollte man dem Partner von der Affäre erzählen?

Zu Ludwig Schindler kommen auch immer wieder Menschen, die sich fragen, ob sie ihrem Partner die Affäre beichten sollten. Mit Ratschlägen hält sich der Therapeut zurück. Aber er kann Hilfe zur Selbsthilfe leisten: „Wir spielen das Szenario mit dem Betroffenen durch“, so Schindler. „Angenommen, eine Person sagt, dass die Schuldgefühle immer größer werden – dann kann man fragen, ob die Beichte beim Partner bei der Entscheidung helfen würde.“ Oft laute die Antwort: „Für den Moment schon.“ Doch dann stellen sich viele die heftigen Gefühlsausbrüche vor, die ein Geständnis beim Partner auslösen würde.

„In der Regel bringt es wenig, dieses Paket beim anderen abzuliefern, weil es eigentlich die Entscheidung des ‘Täters’ ist“, so die Einschätzung des Psychologen. Mit anderen Worten: Viel wichtiger als die Beichte ist, dass der Betrüger darüber klar ist, ob er die langjährige Beziehung retten und die Affäre dafür beenden will oder ob er eine Zukunft mit der Affäre sieht. Trotz schlechtem Gewissen ist es für den Betrüger oft schwer, sich zu dieser Entscheidung durchzuringen. Die Beziehung zum langjährigen Partner kann nur noch mithilfe von Lügen aufrecht erhalten werden. „Das geschieht nicht aus böser Absicht oder aufgrund eines schlechten Charakters“, bekräftigt Schindler. „Der Betrüger muss lügen, um die Entscheidung herauszuzögern.“ Doch je größer das Lügengebäude, desto tiefer auch das Gefühl von Verrat bei der betrogenen Person, wenn die Affäre auffliegt.

Seitensprung fliegt auf: So sollten Betroffene reagieren

An diesem kritischen Punkt ist die erste Reaktion vieler Betrogener, den Partner vor die Tür zu setzen. „Aber keine 36 Stunden später beginnt der Hintergangene oft, innerlich um seine Beziehung zu ringen“, so die Erfahrung des Fachmanns. Hier kommen die Bindungskräfte zum langjährigen Partner zum Tragen, die ihm oder ihr im Gegensatz zur Affäre einen klaren Vorteil verschaffen. „Liebe erzeugt Bindung und Bindung erhält die Liebe“, erklärt Schindler. „Das Neuartige ist interessant, aber die tiefere Bindung hat erst einmal die besseren Karten.“ Schafft es der Betrogene trotz allem, sich „klug“ zu verhalten, stehen die Chancen gut, dass die langjährige Beziehung gewinnt, so Schindler.

Dem Partner nach seiner Beichte den Kontakt zur Affäre verbieten? Das ist nach Meinung des Experten keine gute Idee.
Dem Partner nach seiner Beichte den Kontakt zur Affäre verbieten? Das ist nach Meinung des Experten keine gute Idee. © Shutterstock | fizkes

Unter „klugem Verhalten“ versteht der Experte zum einen: „Nicht zu viele Detailfragen und sich definitiv nichts Intimes erzählen lassen – das brennt sich ins Gedächtnis ein.“ Außerdem sollten sich Betrogene, die ja tief in ihrem Selbstwert verletzt sind, auf ihre eigenen Bedürfnisse besinnen und sich Unterstützung bei Familie und Freunden holen. Dem Partner gegenüber Bedingungen aufzustellen – etwa kein Treffen, kein Kontakt mit der Affäre – sei dagegen kontraproduktiv. „Die große Aufgabe ist es, Raum zu geben und zu sagen: Du hast dir dieses Dilemma eingebrockt, jetzt musst du versuchen, es für dich zu klären.“

Gleichzeitig sollten Betrogene auf sich selbst Acht geben und zum Beispiel keine Vorwürfe des Partners akzeptieren, wenn der sich selbst zum Opfer macht. Auch das Warten bis zur Entscheidungsfindung müssen Betrogene nicht ewig hinnehmen. Paare, die sich für einen Neubeginn entscheiden, sollten nicht in der Vergangenheit herumwühlen. Wichtig sei stattdessen, nach vorn zu schauen und die Aussprache darüber zu fördern, was sich beide Partner für die Zukunft von der Beziehung wünschen. „Ein Seitensprung“, so Schindlers Fazit, „sollte nie automatisch zur Trennung führen – doch bevor man die Partnerschaft gemeinsam neu aufstellen kann, braucht es die klare Entscheidung beider, der Beziehung noch einmal eine Chance zu geben.“