Berlin. Ein einseitiger Kinderwunsch führt oft zur Trennung. Ob es dennoch Chancen für die Beziehung gibt, erläutern zwei Experten.

In den meisten Beziehungen kommt früher oder später das Thema Kinder auf den Tisch – sei es, weil beide Partner Eltern werden wollen, oder weil ein Partner strikt dagegen ist. Solange sich beide in ihrer Haltung einig sind, gibt es selten Konflikte. Schwierig wird es, wenn die Meinungen auseinandergehen. Denn zu der Entscheidung, Eltern zu werden, gehören bekanntlich immer zwei. Wie Paare mit einem einseitigen Kinderwunsch umgehen können und welche Alternativen es gibt, erklären eine Paartherapeutin und eine Psychotherapeutin.

Das Thema Kinderwunsch ist heute viel konfliktträchtiger als früher. Während früher das klassische Familienbild die gesellschaftliche Norm war, ist es heute normaler geworden, sich gegen Kinder zu entscheiden. „Früher war es ungewöhnlich, ohne Kinder zu leben, und kinderlose Paare wurden oft stigmatisiert“, erklärt die Hamburger Paartherapeutin Christine Geschke. Heute habe sich die gesellschaftliche Einstellung geändert. „Es ist heute viel akzeptierter, sich gegen Kinder zu entscheiden“, sagt Geschke. Die sinkende Geburtenrate scheint diese Entwicklung zu bestätigen: Im Jahr 2024 wurden drei Prozent weniger Kinder geboren als 2023 – ein Trend, der sich seit Jahren abzeichnet.

Einseitiger Kinderwunsch: Warum wollen manach Paare heute keine Kinder?

Der Grund? „Frauen tragen oft die Hauptlast, wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht“, erklärt Geschke. Die Aussicht auf geringere Rentenansprüche und die Mehrarbeit durch die Kindererziehung seien häufig ausschlaggebend. „Viele Frauen wollen sich ihre beruflichen und persönlichen Freiräume erhalten“, so Geschke weiter.

Eine Mutter fasst ihrem Sohn prüfend an die Stirn
Frauen tragen nach wie vor die Hauptlast bei der Kindererziehung. © dpa-tmn | Christin Klose

Männer hingegen hätten oft andere Bedenken, erklärt Verena Düttmann, Psychologische Psychotherapeutin bei der Online-Therapieplattform „HelloBetter“. „Viele Männer befürchten, dass sich Kinder negativ auf die Partnerschaft oder das Sexualleben auswirken.“ Geschke fügt hinzu: „Viele Männer fühlen sich entweder zu jung oder zu alt für die Vaterrolle oder haben Angst, der Verantwortung, für eine Familie zu sorgen, nicht gerecht zu werden.“ Da Männer zudem oft weniger vom biologischen Kinderwunsch getrieben seien, falle es ihnen schwerer, eine klare Entscheidung zu treffen.

Düttmann weist auch darauf hin, dass es Menschen gibt, die gar kein Bedürfnis verspüren, Eltern zu werden. „Für sie ist ein kinderfreies Leben eine bewusste und erfüllende Entscheidung. Es geht dabei weniger um eine Ablehnung von Kindern, sondern um die positive Wahl für einen eigenen Lebensentwurf“, erklärt die Psychotherapeutin.

Psychotherapeutin Verena Düttmann
Verena Düttmann ist Psychologische Psychotherapeutin bei der Online-Therapieplattform „HelloBetter“. Darüber hinaus schreibt sie Fachartikel, die sich vor allem an ein medizinisches und psychotherapeutisches Fachpublikum richten. © Verena Düttmann | Verena Düttmann

Wie wirkt sich ein einseitiger Kinderwunsch auf die Beziehungsdynamik aus?

Ein einseitiger Kinderwunsch kann die Beziehung aber enorm belasten. „Unterschiedliche Bedürfnisse belasten eine Beziehung immer“, erklärt Paartherapeutin Geschke. Doch das Thema Kinderwunsch wiegt besonders schwer, denn hier gibt es kaum Raum für Kompromisse. „Das macht es zu einer echten Belastungsprobe für die Beziehung“, so Geschke. Oft führe diese Unvereinbarkeit auch dazu, dass sich Paare emotional voneinander entfernen und sich im schlimmsten Fall trennen.

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Darauf zu hoffen, dass sich der Kinderwunsch von selbst erledigt, sei jedenfalls keine Lösung. „Ein unerfüllter Kinderwunsch verschwindet nicht einfach“, warnt Geschke. „Auch im Alter leiden Menschen oft noch darunter.“ Häufig enden solche Beziehungen später in Trennungen oder ständigen Konflikten. „Wenn man das Gefühl hat, dass der Partner einem den Kinderwunsch verwehrt, wird dieser Vorwurf früher oder später in der Beziehung auftauchen“, erklärt Geschke weiter. So kann der unerfüllte Kinderwunsch zur emotionalen Hypothek werden, die dauerhaft belastet. „Durch den Verzicht entsteht oft die Erwartung, dass der Partner nun etwas zurückgeben muss – eine Gleichung, die selten aufgeht“, sagt sie.

Paartherapeutin Christine Geschke
Christine Geschke ist Paartherapeutin und Diplom-Psychologin. Sie führt eine eigene Praxis für Paartherapie und Eheberatung in Hamburg. © Christine Geschke | Christine Geschke

Auch für denjenigen, der sich gegen ein Kind entscheidet, können die Folgen schwerwiegend sein. Die Paartherapeutin erklärt: „Wer das Nein zur Elternschaft ausgesprochen hat, trägt oft Schuldgefühle mit sich herum“. Diese Schuldgefühle führen nicht selten dazu, dass dieser Partner in anderen Bereichen der Beziehung nachgibt, um das vermeintliche Ungleichgewicht auszugleichen. „Das führt aber oft dazu, dass man in der Beziehung nicht mehr authentisch ist“ , warnt sie.

Expertin empfiehlt: Kinderwunsch frühzeitig ansprechen

Doch wie können Paare das Risiko minimieren, dass eine so wichtige Entscheidung wie der Kinderwunsch ihre langjährige Beziehung gefährdet? Aus Sicht der Psychotherapeutin Düttmann ist eine offene und ehrliche Kommunikation das Fundament: „Paare sollten frühzeitig und regelmäßig über ihre Vorstellungen, Wünsche und Ängste bezüglich der eigenen Lebensplanung sprechen“.

Denn laut der Expertin sind Kompromisse am ehesten möglich, solange Entscheidungen noch nicht endgültig feststehen und beide Partner noch offen für Gespräche sind. „Das gilt sowohl für den Wunsch nach Kindern als auch für die bewusste Entscheidung, kinderlos zu bleiben“, betont sie.

So gelingt das Gespräch über den Kinderwunsch: Verhandeln statt drängen

Und dann heißt es verhandeln: „Paarbeziehungen sind immer Verhandlungssache“, erklärt Paartherapeutin Geschke. „Egal, ob es um Urlaubsziele, Anschaffungen, Aufgaben im Alltag oder die Kindererziehung geht – alles muss gemeinsam besprochen und ausgehandelt werden.“ Dabei sei es wichtig, offen über die eigenen Wünsche und Motive zu sprechen.

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Psychotherapeutin Düttmann rät zudem, Druck und Ultimaten zu vermeiden. Das gilt laut Geschke auch für Paare, bei denen die biologische Uhr tickt. „Es wäre falsch, den Partner unter Druck zu setzen und zu sagen: ‚Die Zeit läuft ab, du musst dich jetzt entscheiden‘“, sagt sie. Stattdessen empfiehlt die Paartherapeutin, das Thema behutsam anzusprechen, um die eigenen Gedanken und Gefühle offenzulegen. Ebenso sei es wichtig, auch der Gegenseite die Möglichkeit zu geben, ihre Gründe gegen ein Kind darzulegen. „Manchmal eröffnen sich im Gespräch Wege, die vorher nicht sichtbar waren“, so Geschke.

Den wahren Gründen für die Ablehnung von Kindern auf den Grund gehen

Manchmal zeigt sich erst bei genauerem Hinsehen, dass die Fronten in der Frage des Kinderwunsches gar nicht so verhärtet sind, wie es zunächst den Anschein hat. Oft stecken hinter der Ablehnung eines Kindes andere, tiefer liegende Konflikte. „In manchen Fällen stecken zum Beispiel sexuelle Probleme dahinter“, erklärt Geschke. „Ein Partner könnte befürchten, dass ein Kind die Situation noch komplizierter macht.“

Auch die Angst, der Verantwortung als Eltern nicht gerecht zu werden, ist ein häufiger Grund für Zurückhaltung, wie Düttmann beobachtet. „Ich würde Menschen mit solchen Bedenken raten, sich bewusst zu machen, dass diese Ängste normal und weit verbreitet sind“, sagt sie. „Es gibt keine Perfektion in der Elternrolle, und die meisten Eltern lernen mit der Zeit und wachsen in ihre Aufgabe hinein.“ Außerdem ließen sich solche Ängste oft durch offene Gespräche und gemeinsame Planung überwinden. „Dabei ist es wichtig, die Sichtweisen und Bedürfnisse beider Partner gleichermaßen zu berücksichtigen und nach Lösungen zu suchen, die für beide Seiten zufriedenstellend sind“, so Düttmann.

Unterschiedlicher Kinderwunsch: Wann ist eine Trennung sinnvoll?

Dennoch: „Wenn sich ein Paar trotz intensiver Gespräche in der Frage des Kinderwunsches nicht einigen kann, kann eine Trennung tatsächlich eine Option sein, insbesondere wenn der Kinderwunsch für einen Partner ein zentraler Lebenswunsch ist“, sagt Düttmann.

Die Psychotherapeutin betont, wie wichtig eine gründliche Selbstreflexion bei solch einer Entscheidung ist. „Beide Partner sollten sich ehrlich fragen, wie zentral der Wunsch nach Kindern oder ein Leben ohne Kinder für ihre persönliche Erfüllung und ihre Zukunftsvorstellungen ist.“ Und Geschke ergänzt: „Man muss sich bewusst machen, welche langfristigen Folgen es haben kann, wenn der Partner bei seiner Meinung bleibt: Seien es die Vorwürfe desjenigen, der seinen Kinderwunsch aufgeben musste, oder die Schuldgefühle desjenigen, der Nein gesagt hat – beides kann die Beziehung langfristig belasten und erheblichen Schaden anrichten“.