Berlin. Laut einer Studie hat die Corona-Pandemie die Gehirnentwicklung von Kindern beeinflusst. Dies könnte der Grund für psychische Probleme sein.
Die Corona-Pandemie mit ihren Einschränkungen bis hin zu Lockdowns hat sich auf die Gehirnentwicklung von Kindern und Jugendlichen ausgewirkt, vor allem auf die von Mädchen. Die psychischen Probleme vieler Heranwachsender könnten darin ihre Ursache haben und von Dauer sein. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Forschenden der University of Washington (USA), die jetzt im Fachjournal „PNAS“ veröffentlicht worden ist. Experten, die nicht daran beteiligt waren, kritisieren die Studie.
Im Jahr 2018 dokumentierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des „Institute for Learning & Brain Sciences“ mittels Aufnahmen aus dem Magnetresonaztomografen (MRT) die Gehirnentwicklung von 160 Kindern und Jugendlichen zwischen 9 und 17 Jahren. Anhand dieser Scans erstellten sie ein Vergleichsmodell für die Entwicklung von Gehirnen Jugendlicher verschiedener Altersklassen. Die Gehirne derselben Jugendlichen wurden während der Pandemie 2021 oder 2022 nochmals gescannt. Ziel war es, die neueren Daten mit dem vor Corona modellierten Standard vergleichen zu können.
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Die Analyse zeigte den Angaben zufolge, dass sich die Gehirnrinde von Kindern und Jugendlichen während der Pandemiezeit ungewöhnlich schnell entwickelte und dünner wurde, als es in dieser Entwicklungsphase üblich sei. Die Beschleunigung habe bei Mädchen im Schnitt 4,2, bei Jungen 1,4 Jahre betragen. Der psychische Stress während der Lockdown-Perioden oder der Pandemie insgesamt könnte dafür ursächlich sein.
Corona: „Studie kann Aussage nicht gut belegen“
Den Studienautoren zufolge ist die sogenannte kortikale Ausdünnung während der Entwicklung des Gehirns mit einem erhöhten Risiko für psychiatrische und verhaltensbezogene Störungen verbunden. Einen direkten Zusammenhang zwischen der Dicke der Gehirnrinde und der psychischen Gesundheit untersuchten die Forschenden allerdings nicht.
Experten, die nicht an der Studie beteiligt waren, haben Zweifel an der Aussagekraft der Ergebnisse. „Grundsätzlich ist die Idee, die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, beziehungsweise den vermuteten Stress durch die Lockdown-Maßnahmen zu untersuchen, sehr interessant“, sagte Dr. Sofie Valk vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig dem Science Media Center (SMC). Die Studie könne aber keine Beweise dafür liefern, dass die Zeit der Pandemie samt Lockdown und Stress einen Effekt hatten. „Die Studie lässt viele Fragen offen und kann ihre Aussagen nicht gut belegen“, so Valk.
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Die kortikale Dicke ist Valk zufolge ein Maß für die graue Masse an Gehirnzellen. „Wir wissen, dass diese Dicke sich über die Lebensspanne entwickelt. Es ist allerdings noch nicht geklärt, welche biologischen oder psychologischen Effekte sich anhand der Kortexdicke ablesen lassen“, so Valk. Der Forscherin zufolge ist es durchaus möglich, dass drastische Erfahrungen oder Stress Einfluss auf die Gehirnentwicklung nehmen könnten „und dass diese Veränderungen auch bleiben“, die Studie der University of Washington sei aber methodisch zu limitiert, um dies zu zeigen.
Testgruppe sehr klein – „verringert das Vertrauen“
Ähnlich beurteilt Derek Hill, Professor für Medizinische Bildgebung am University College in London (Großbritannien) die Studie. Aus mehreren Gründen dürften die Ergebnisse nicht überinterpretiert werden: So werde für die Studie die Dicke der grauen Substanz am Rande des Gehirns anhand von MRT-Scans gemessen. „Diese Scans messen weder die Anzahl der Gehirnzellen oder deren Verbindungen, noch stehen sie in direktem Zusammenhang mit irgendwelchen Gehirnsymptomen“, so Hill zum SMC. Die Beobachtung einer beschleunigten kortikalen Ausdünnung sage also nicht unbedingt etwas über eine tatsächliche langfristige Schädigung der Jugendlichen aus.
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Darüber hinaus sei die Gesamtzahl der Hirnscans überschaubar. In der Testgruppe seien nur 29 männliche und 25 weibliche Probanden untersucht worden, die in drei Altersgruppen unterteilt worden seien. Im Alter von 16 seien nur zehn männliche und acht weibliche Personen gewesen. Derek: „Diese relativ geringe Anzahl von Probanden verringert das Vertrauen, das man in die Schlussfolgerungen haben kann.“
Die vermeintliche Erkenntnis, dass die Gehirne von Mädchen im Teenageralter irgendwie anfälliger seien als die von Jungen, nennt Lise Eliot, Professorin für Neurowissenschaften am Stanson Toshok Center for Brain Function and Repair der Rosalind-Franklin-University in Illinois (USA) sogar „provokativ“. Die Daten stimmten nicht gut mit früheren Erkenntnissen zu diesem Thema überein. Eliot: „Die Studie bringt die Veränderungen im Gehirn nicht mit einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit der gleichen Teilnehmer in Verbindung. Ich halte sie nicht für sehr aussagekräftig.“
Im Nachgang der Corona-Pandemie war ein Anstieg von psychischen Erkrankungen in der Bevölkerung beobachtet worden. Diese waren unter anderem auf die Lockdown-Maßnahmen zurückzuführen. Besonders stark waren und sind Kinder und Jugendliche betroffen.