Berlin. Max und Lena wollten eine offene Beziehung führen. Dabei hatten sie nur eine Regel. Nach sechs Monaten war alles aus.
Max, der in diesem Artikel lieber anonym bleiben möchte, lernt Lena 2009 kennen. Sechs Jahre lang führen sie eine monogame Beziehung, dann entscheiden sie sich für eine offene Beziehung, in der auch Sex mit anderen erlaubt ist. „Ich war Lenas erster Freund und hatte immer das Gefühl, dass sie sich gerne noch ausprobieren würde“, erzählt Max. „Wir waren uns sicher, dass wir für immer zusammenbleiben wollten – nur diese eine Komponente fehlte.“ Sechs Monate später trennen sie sich.
Als Lena und Max ihre Beziehung öffnen, ist sie Mitte zwanzig, er Anfang dreißig. „Unser Freundeskreis bestand damals aus vielen Tänzern und Schauspielern“, erzählt er. „Wir haben viel gefeiert und manchmal kam es auch vor, dass alle miteinander geknutscht haben.“ Nach einem dieser Abende hätten sie am Küchentisch gesessen und über ihre Zukunft gesprochen. „Da sagte sie, dass sie manchmal das Gefühl hätte, nicht genug Erfahrungen gesammelt zu haben“, erinnert sich Max. Statt Eifersucht habe er in diesem Moment großes Verständnis für seine Freundin empfunden. „Mir gefiel die Vorstellung, trotz Beziehung frei zu sein“, erzählt er.
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Offene Beziehung: Bei Max und Lena gab es nur eine Regel
Die folgenden zwei Monate beschreibt Max heute wie eine Art Drogenrausch: maximale Freiheit, maximale Liebe. Eine Freundin habe damals gesagt: „Jetzt seid ihr unsterblich.“ So groß das High, so tief der Fall. Während Max sich ein wenig ausprobierte, mal auf einer Party eine Frau ansprach oder sie küsste, nahm in Lenas Leben schnell ein zweiter Mann eine feste Rolle ein. Obwohl eine Parallelbeziehung nicht ganz dem entsprach, was Max sich konzeptionell vorgestellt hatte, sei er offen geblieben. „Für uns war klar: Wenn wir das machen, dann ist alles erlaubt. Es gab nur eine Regel: Es wird nicht woanders übernachtet“, sagt er.
Das habe zu Beginn auch gut geklappt. Doch dann sei Lena abends immer später in die gemeinsame Wohnung zurückgekehrt. „Anfangs war es noch zwölf Uhr, dann wurde es eins, zwei, drei, halb fünf. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich einen Wecker stellt, damit ich nicht denke, dass sie bei ihm übernachtet hat“, erzählt Max. Er selbst sei zwar auch mal länger auf einer Party geblieben oder habe sich abends mit einer anderen Frau getroffen, doch richtig konkret sei es nie geworden. „Letztendlich war es gar keine offene Beziehung, in der wir beide super viel ausprobiert haben. Lena war sechs von sieben Tagen weg und ich habe zu Hause gewartet, dass sie sich frühmorgens reinschleicht“, beschreibt er die Zeit, die das Ende seiner Beziehung einläutete.
Polyamorie: Neuer Partner kann alte Beziehung blass wirken lassen
Eine Situation, die nicht ganz einfach ist, findet auch Andrea Buch. Die Psychologin ist auf alternative Beziehungsmodelle spezialisiert und sagt: „Wenn eine der beiden Partnerpersonen einen festen zweiten Partner hat und die andere Person nicht, kommt es häufig zu einem Ungleichgewicht.“ Eine weitere Partnerschaft sei etwas Verbindliches, in der häufig starke Gefühle entstehen. Zudem setze sie eine ganz neue Energie frei.
„Diese ‚new relationship energy‘ kann anfangs sehr strahlen und die bisherige Partnerschaft blass wirken lassen. Dadurch kann beim Ursprungspartner der Eindruck entstehen, nicht mehr wichtig zu sein“, erklärt sie. „Hat man noch keine Polyerfahrung oder kennt diese Dynamiken nicht, kommt es vor, dass beide annehmen, die ‚alte‘ Partnerschaft neige sich dem Ende zu – dabei ist es eigentlich nur der zeitlich begrenzte Verliebtheitscocktail, mit allen Konsequenzen.“
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Offene Beziehung: Erfahrung, die Max dennoch nicht bereut
Max konnte Lenas Parallelbeziehung zunehmend schwerer ertragen. „Ich hatte mir das eher so vorgestellt, dass sie einfach mal ein bisschen rumprobiert und eine Woche den Typen hat und in der nächsten Woche den.“ Stattdessen habe es plötzlich jemanden neben ihm gegeben, der auch noch spannender war. „Ich habe meine Gefühle immer weiter weggesperrt – bis am Ende nicht mehr viel übrig war“, erzählt er. Als sich Lena eines Nachts wie sonst auch von hinten ganz eng an ihn kuschelte, habe es sich angefühlt, als würde seine Schwester zu ihm ins Bett krabbeln. Bei dem Versuch, in ihrer Liebe so frei wie möglich zu sein, waren sie als Paar gescheitert.
Auf die Frage, ob er es bereue, die Beziehung jemals geöffnet zu haben, hat er dennoch eine klare Antwort: „Nein. Früher dachte ich, es wäre super geil, alles auszuprobieren und alles mitzunehmen. Ich habe mich bis dato in Beziehungen immer eingesperrt gefühlt. Heute weiß ich: Ich brauche das alles gar nicht. Ich bin einfach dieser langweilige, monogame Typ – und das ist genauso OK, wie eine glückliche offene Beziehung“, sagt er lachend.
Mittlerweile führt der 38-Jährige eine monogame Ehe und ist Vater von zwei Töchtern. „Wenn einer meiner Freunde abends in einer Bar eine andere Frau ansieht und sich vorstellt, wie es wäre, frei zu sein, lache ich immer kurz in mich rein und freue mich, dass ich dieses ‚Was-wäre-wenn-Gefühl‘ nicht mehr habe.“