Berlin. Soziale Ängste und fehlende Zeit halten Menschen davon ab, Freundschaften zu finden oder aufrechtzuerhalten. Ein Psychologe weiß Rat.

Auf dem Tisch eines Berliner Cafés liegt das Brettspiel Socialmatch. Männer und Frauen im Alter von 30 bis 45 Jahren haben sich darum versammelt. Bei der gleichnamigen Veranstaltung geht es darum, spielerisch neue Menschen in der eigenen Stadt kennenzulernen.

Die Erwartungen, mit denen die Menschen das Café betreten, sind unterschiedlich. Sebastian (41) sucht eine Beziehung, Stefanie (45) will einen schönen Abend verbringen und Freunde finden. Ravi (43) möchte seine Hemmungen abbauen, auf Leute zuzugehen.

Wer Freunde finden will, muss mit Fremden sprechen

Im Erwachsenenalter ist es nicht einfach, Menschen kennenzulernen, weiß Psychologe und Autor Wolfgang Krüger. „Wenn man jung ist, bewegt man sich in festen Gruppen. In der Schule oder der Uni gibt es regelmäßige Zeiten, in denen ich andere sehe”, sagt Krüger. Außerdem hätten die Menschen nicht so viele Partnerschaften. „Feste Bindungen werden in der Regel erst zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr eingegangen.“

Wer im Alter nicht unter Einsamkeit leiden möchte, sollte sich sein Leben lang darum bemühen, Freunde zu finden, so Freundschaftsexperte Wolfgang Krüger.
Wer im Alter nicht unter Einsamkeit leiden möchte, sollte sich sein Leben lang darum bemühen, Freunde zu finden, so Freundschaftsexperte Wolfgang Krüger. © imago/photothek | Ute Grabowsky/photothek.net

Ab diesem Alter müsse man mehr und mehr auf Fremde zugehen, um jemanden kennenzulernen. Soziale Ängste sind jedoch ein Hindernis. 80 Prozent der Menschen unter 30 leiden unter Unsicherheitsgefühlen. Bei den über 30-Jährigen sei es immer noch jeder Zweite.

Dabei sind Freundschaften wichtig, erklärt Krüger. Er beschreibt sie als „ruhiges Lebensglück“. Sie seien beständiger als Beziehungen, weil eine tiefe Gekränktheit nur selten vorkomme. „Menschen mit Freunden sind belastungsfähiger, glücklicher und leben 20 Prozent länger.“

Psychologe: Man muss sich Zeit für andere nehmen

Freundschaften zu pflegen, sei jedoch nicht leicht, erzählt die 45-jährige getrenntlebende Mutter Stefanie: „In meiner Altersgruppe sind alle mit ihrer Familie beschäftigt. Es ist schwierig, andere zu treffen, zu motivieren. Manchmal schlafen Beziehungen ein, weil man sich nicht gemeldet hat. Dann ist es eine Überwindung, wieder anzurufen. Ich weiß nicht, was der andere denkt.“

Fehlende Zeit halte Menschen häufig davon ab, Verbindungen aufzubauen oder aufrecht zu erhalten, so Wolfgang Krüger. „Zwischen 35 und 45 stehen Karriere, Familie und die Partnerschaft im Mittelpunkt. Bei Frauen wird das oft erst besser, wenn die Kinder aus dem Haus sind.“ Der Autor schlägt in seinem Buch „Freundschaft: Beginnen, verbessern, gestalten“ deshalb vor, einen Tag in der Woche für Freundschaften zu reservieren.

Freunde finden kann man über Hobbys, im Internet oder im Supermarkt

Menschen kennenlernen kann man überall. Sebastian erzählt während des Socialmatch-Treffens, dass er auf Partys, im Urlaub, im Beruf und über Freunde neue Menschen getroffen hat. Ravi hat über Hobbys wie Fußball oder Badminton Freunde gefunden. „In meiner Jugend haben meine Eltern mir empfohlen, an einer Tanzaufführung zum Unabhängigkeitstag Indiens teilzunehmen. Dort habe ich Freundschaften geschlossen, die bis heute bestehen“, erinnert sich der 43-Jährige. Stefanie habe sogar im Flugzeug jemanden kennengelernt, als es zu einer Ausnahmesituation kam, in der die Landung unmöglich war. Doch nicht aus allen Bekanntschaften wurde eine Freundschaft.

Auch auf Internetportalen und mit Hilfe von Apps lassen sich Freunde gewinnen, sagt Psychologe Krüger. Freundschaften mit Eltern, deren Kinder in die gleiche Klasse gehen, wie das eigene Kind, seien ebenfalls normal. „Wenn die Kinder das Haus verlassen, muss man schauen, ob es Themen außer der Kinder gibt“, so der Experte.

Freundschaften seien ständig im Wandel. „50 Prozent der Alltagsfreundschaften werden innerhalb von sieben Jahren ersetzt, weil jemand umzieht oder der Kollege in Rente geht. Deswegen ist es wichtig, immer wieder Freundschaften zu beginnen“, so Krüger. „Das kann man überall tun. Ich stand einmal vor einem Supermarkt und sah einen interessanten Mann. Es stellte sich heraus, dass er Opernsänger war. Ich habe ihn zum Essen eingeladen und seitdem verbindet uns eine Freundschaft.“

Es braucht vor allem Mut und Offenheit

Um Menschen kennenzulernen, brauche es Neugier und Unbefangenheit. „Man muss den Mut aufbringen, zu einem Treffen zu gehen oder jemanden anzusprechen“, so Krüger. Die Teilnehmer von Socialmatch haben diesen Schritt gewagt, auch wenn es nicht jeder geschafft hat – es gab zwölf Anmeldungen, nur neun Personen sind aufgetaucht. Auch Ravi musste sich überwinden: „Ich habe dreimal überlegt, ob ich herfahre. Unterwegs habe ich gehofft, dass ich keinen Parkplatz finde, aber jetzt bin ich froh, dass ich mich durchgerungen habe.“

Zwei Stunden lang spielen die fünf Frauen und vier Männer aus Berlin an diesem Abend und sammeln Punkte. Dazu erklären sie mit Pantomime Begriffe, denken sich romantische Geschichten aus und schätzen die Antworten ihrer Mitspieler. Die anfängliche Unsicherheit verfliegt. Am Ende des Abends erhält ein Pärchen, das mit Mimik und Gestik 30 Sekunden lang eine Flirtsituation nachspielt, großen Applaus.

Wolfgang Krüger zufolge dauere es sechs bis zwölf Monate, bis eine Freundschaft belastungsfähig wird. Wer im Alltag über Freunde spricht, meine meist Herzensfreunde, mit denen intime Gespräche möglich sind. Dazu brauche es viele Anläufe, aber es lohne sich. „Eine Herzensfreundschaft, die über 40 Jahre lang hält, ist etwas Unersetzliches”, so Krüger.

Stefanies Erwartungen an den Abend bei Socialmatch haben sich voll erfüllt: „Es war sehr lustig. Ich war überrascht, wie entspannt und offen die Atmosphäre war. Alle waren sehr sympathisch.“ Selbst nachdem der Moderator gegangen ist, sitzen die Teilnehmer noch am Tisch und tauschen sich aus. Mit einem negativen Gefühl geht niemand nach Hause, dafür aber mit einigen neuen E-Mail-Adressen.