Berlin/Goslar. Der Verkehrsgerichtstag berät über Empfehlungen für mögliche Fahrsicherheitstests für Senioren. Experten ordnen ein, wie sinnvoll das wäre.

Mittlerweile ist es knapp ein Jahr her, dass die Europäische Kommission sich dafür ausgesprochen hat, verpflichtende medizinische Tests für Autofahrer ab dem 70. Lebensjahr einzuführen. Die Entscheidung darüber hat die EU aber den Mitgliedsstaaten überlassen. In Deutschland fand sich dafür bislang keine Mehrheit. Kurz vor der Bundestagswahl könnte diese Frage aber nun wieder Thema werden.

Nach gravierenden Einzelfällen, bei denen Senioren Unfälle mit Todesfolge verursachten, kocht diese Debatte immer wieder in der bundesweiten Wahrnehmung hoch. Ein Bericht des Statistischen Bundesamtes aus dem Jahr 2023 zeigt, dass ältere Autofahrer überdurchschnittlich oft Hauptverursacher eines Unfalls sind. Bei den über 65-Jährigen traf das in 68 Prozent der Fälle zu, bei den über 75-Jährigen sogar in knapp 78 Prozent.

Fahrtüchtigkeitstests für Senioren werden bereits erprobt

Auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar diskutieren noch bis Freitag Experten unter anderem darüber, wie man in dieser Frage die Verkehrssicherheit erhöhen könnte. Bundesverkehrsminister Volker Wissing (parteilos) hatte einen Vorstoß zu verpflichtenden Tests zuletzt mehrfach abgelehnt. Derzeit werden allerdings in Pilotprojekten, unter anderem in Hamburg und Niedersachsen, standardisierte Fahrtüchtigkeitstests erprobt, die auf freiwilliger Basis erfolgen. Dabei geht es etwa um den Einbeinstand oder das Gehen auf einer geraden Linie, wodurch mögliche psychomotorische Einschränkungen erkannt werden sollen.

NameVolker Wissing
Geburtsdatum22. April 1970 in Landau in der Pfalz
AmtBundesminister für Verkehr und Digitales
ParteiFDP
Parteimitglied seit1998 bis 2024 (genaues Austrittsdatum noch offen)
FamilienstandVerheiratet, eine Tochter
BerufPromovierter Jurist

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) spricht sich gegenüber dieser Redaktion für eine bundesweite Ausweitung dieser Tests aus, für die aber auch eine spezielle Ausbildung der Polizisten erforderlich sei. „Mit einer medizinischen Untersuchung haben diese Tests jedoch nichts zu tun und werden diese auch nicht ersetzen. Polizisten werden dadurch nicht zu Ärzten ausgebildet“, sagt Michael Mertens, stellvertretender Bundesvorsitzender der GdP.

Rückmeldefahrt als Lösung für mehr Verkehrssicherheit?

Die finale Entscheidung über die Fahreignung möchte er bei der Fahrerlaubnisbehörde belassen. „Die Polizei hat die Aufgabe, die öffentliche Sicherheit im Straßenverkehr zu gewährleisten“, ergänzt Mertens, was durch die Fahrtüchtigkeitstests in seinen Augen aber durchaus gewährleistet werden könne.

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    Siegfried Brockmann, Geschäftsführer für Verkehrssicherheit und Unfallforschung bei der Björn Steiger Stiftung, hält körperliche Untersuchungen nicht für das richtige Mittel, sondern befürwortet eine andere Idee. „Es gibt schon seit Jahren die Initiative, eine sogenannte Rückmeldefahrt zu machen“, erklärt Brockmann gegenüber dieser Redaktion. Dabei unternehmen Senioren mit einem unabhängigen Rückmelder wie einem Verkehrspsychologen oder einem Fahrlehrer eine 45-minütige Fahrt im eigenen Auto und erhalten danach ein Feedback zu ihrer Fahrtauglichkeit. Der Umgang mit dieser Rückmeldung ist dann gänzlich dem Fahrer selbst überlassen.

    Fahrtauglichkeit muss nicht zwingend eine medizinische Frage sein

    Der Unfallforscher beurteilt die Frage der Fahrtüchtigkeit nämlich nicht als eine medizinische: „Es gibt keinen Senioren, der nicht in medizinischer Behandlung ist. Da liegt eher ein medizinischer Overkill vor.“ So wisse jeder alternde Mensch ziemlich genau, wie es ihm körperlich gehe. Eine Rückmeldung über die kognitive Leistungsfähigkeit hinter dem Steuer von fachlicher Seite sei deshalb wichtiger, so der Experte.

    „Das hat einen riesigen Wert“, sagt Brockmann. „Den meisten ist gar nicht bewusst, dass sie diese Probleme haben, weil es ja ein schleichender Prozess ist. Und es ist gut, wenn ein Externer da draufschaut, weil das Thema familiär total stigmatisiert ist.“ Häufig führe es zu Funkstille, wenn der Sohn dem Vater die Autoschlüssel abnehmen wolle, sagt der Verkehrsexperte.

    Rückmeldefahrt als niedrigschwellige Maßnahme

    Wenn die Rückmeldung dagegen von offizieller Stelle erfolge, finde sie besseren Anklang. Brockmann fordert daher, dass etwa Fahrlehrer auf die entsprechenden kognitiven Auffälligkeiten bei Senioren entsprechend geschult werden und dann für jede durchgeführte Rückmeldefahrt eine finanzielle Entlohnung bekommen.

    So könne eine niedrigschwellige Maßnahme etabliert werden, die in Augen des Unfallforschers auch politisch umsetzungsfähig ist. „Alles andere kriegst du gegen die Wählergruppe der Senioren ja sowieso nicht durch“, sagte Brockmann, der auf eine Verpflichtung für die Rückmeldefahrten ab dem 75. Lebensjahr setzt.

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    Mehrere Länder in Europa haben bereits verpflichtende Maßnahmen

    Im Deutschland stoßen allerdings, anders als etwa in Italien, Spanien oder Portugal, jegliche verpflichtenden Maßnahmen konsequent auf Widerstand. So teilt der ADAC dieser Redaktion auf Anfrage mit: „Aus Sicht des ADAC sind verpflichtende Fahrtauglichkeitsprüfungen für Senioren abzulehnen, weil allein das Alter keinen pauschal geltenden Rückschluss auf die Fahrtauglichkeit erlaubt. Viele Senioren fahren aufgrund ihrer Erfahrung sicher und umsichtig.“

    Auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing erklärte am Donnerstag in Bezug auf eine mögliche Verpflichtung für Rückmeldefahrten gegenüber dieser Redaktion: „Von verpflichtenden Kontrollfahrten für Seniorinnen und Senioren halte ich absolut nichts. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, jeden Aspekt des Lebens zu regulieren.“ Solche Überprüfungen würden zudem nur Bürokratie produzieren und mangelnde Ressourcen in Behörden binden.

    Wissing pocht auf Eigenverantwortung – und genau die erhoffen sich Brockmann und die anderen Befürworter der Rückmeldefahrten zu erhalten, indem der Umgang mit dem Ergebnis für jeden Fahrer selbstbestimmt bleibt. Der Verkehrsgerichtstag plant, seine Empfehlungen für die Diskussion um Fahrtauglichkeitsprüfungen an diesem Freitag vorzustellen.