Berlin. Nach dem Skandal um das „D-Day“-Papier versuchen die Freien Demokraten den Neustart. Hinter Christian Lindner ist die Personaldecke dünn.
Bei der FDP würden sie jetzt gern nach vorne schauen. Das Chaos der vergangenen Tage einfach hinter sich lassen. Und dann volle Kraft voraus in Richtung der vorgezogenen Bundestagswahl, die für die 23. Februar geplant ist.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Am Freitag musste der bisherige Generalsekretär Bijan Djir-Sarai seinen Posten räumen und Verantwortung übernehmen für ein Strategiepapier, das mit Weltkriegs-Rhetorik durchsetzt ist und sich liest wie ein frühes Drehbuch für das Ende der Ampel-Koalition. Parteichef Christian Lindner hofft, dass der Druck auf ihn nun erst einmal nachlässt. Am Montag präsentierte er den neuen Generalsekretär – es ist Marco Buschmann, der bis zum Ampel-Aus Anfang November Bundesjustizminister war.
Man wolle bei der Wahl im Februar ein „starkes Ergebnis“ einfahren, sagte Lindner am Montag. Deutschland befinde sich in der Krise und stehe vor einer Richtungsentscheidung. Nur mit starken Liberalen und grundlegenden Reformen könne es wieder aufwärts gehen. Von Stärke sind die Freien Demokraten derzeit freilich weit entfernt: Sie müssen vielmehr damit rechnen, bei der Neuwahl aus dem Bundestag zu fliegen und in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken. Hat die FDP überhaupt noch das Führungspersonal, um die Trendwende zu schaffen? Ein Blick auf die Protagonisten der Partei.
Christian Lindner (45)
Der Ex-Finanzminister ist als Parteichef bislang unangefochten – und das, obwohl die FDP in den Umfragen miserabel dasteht, zuletzt Landtagswahlen in Serie verlor und er beim Ampel-Aus trotz penibler Planung im entscheidenden Augenblick nicht Herr des Geschehens war. Kanzler Olaf Scholz (FDP) kam ihm mit dem Rauswurf zuvor.
In den vergangenen Tagen gab es viele Liberale, die angesichts des Bebens im Zusammenhang mit dem „D-Day“-Papier von einer aufgewühlten Stimmung in der Partei berichteten. Prominente Stimmen, die Lindners Rücktritt forderten, gab es aber nicht. Und so fühlt sich der Parteichef in seinem Plan bestätigt, die Freien Demokraten als Spitzenkandidat in die geplante Bundestagswahl zu führen. Lindner schwört Stein und Bein, dass er das umstrittene Papier vorher nicht „zur Kenntnis“ genommen habe. Lindner dürfte aber auch wissen: Sollten demnächst neue Medien-Veröffentlichungen seine Darstellung widerlegen, könnte es eng für ihn werden.
Marco Buschmann (47)
Vor einem Monat noch Bundesminister der Justiz, jetzt FDP-Generalsekretär: Das war in Buschmanns Karriereplanung so nicht vorgesehen. Parteichef Lindner überschüttete seinen langjährigen Weggefährten am Montag mit Lob: Der sei „der beste Wahlkampf-Organisator und -programmatiker seit Jahrzehnten“. Buschmann sei seine erste und einzige Wahl gewesen. Ohne ihn hätte er große Sorgen gehabt, dass das Comeback gelingt.
Buschmann selbst gab sich am Montag als Freidemokrat alter Schule: Er stehe nicht nur für Wirtschaftsliberalismus, sondern auch für den Schutz der Bürger- und Freiheitsrechte. Der Jurist sagte auch, dass er aus eher kleinen Verhältnissen stamme und genau wisse, was sozialer Aufstieg bedeute.
Die Karriere des Mannes aus Gelsenkirchen ist eng mit der des Parteichefs verbunden: Er diente ihm bereits als Generalsekretär in Nordrhein-Westfalen, als Bundesgeschäftsführer und als Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion. Lindner kann also damit rechnen, einen loyalen Mann an seiner Seite zu haben, der ihm im Zweifel auch nicht gefährlich wird.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann (66)
Am Montag gab es Meldungen, wonach Lindner zunächst die umtriebige Europa-Abgeordnete gefragt habe, ob sie Generalsekretärin werden wolle. Diese habe aber abgelehnt, hieß es. Lindner wies die Darstellung als „falsch“ zurück. Buschmann sei die erste Wahl gewesen.
Strack-Zimmermann ist dem breiten Publikum hierzulande als Verteidigungspolitikerin und Ukraine-Unterstützerin bekannt – und als eine der wenigen prominenten FDP-Frauen. Seit den Europawahlen im Juni sitzt die Düsseldorferin nicht mehr im Bundestag, sondern im Europäischen Parlament in Straßburg und Brüssel.
Zuletzt war auffällig, dass Strack-Zimmermann in der Debatte über das „D-Day“-Papier gar nicht erst bemüht war, die Vorgänge klein zu reden. Sie mahnte vielmehr beizeiten „Selbstkritik und Aufarbeitung“ an. Sie sagte auch: „Es braucht eine starke FDP, die sich keine Clownerie leistet, sondern sich ihrer Verantwortung bewusst ist.“ Sollte Lindner einmal seinen Platz räumen, würden sich vermutlich schnell die Blicke auf Strack-Zimmermann richten. Allerdings: Von Brüssel aus könnte sie eine deutsche Partei kaum führen.
Christian Dürr (47)
Der Mann aus Niedersachsen ist bislang Lindners wichtigster Mann im Bundestag. Dort führt er die Fraktion der Freien Demokraten an. Ein eigenes Profil entwickelte er dort nur bedingt. Rhetorisch und inhaltlich liegt Dürr stets auf Parteilinie, so auch beim großen Beben der vergangenen Tage.
Dürr wäscht jetzt seine Hände in Unschuld. Über das umstrittene Strategiepapier sagte er in der ARD: „Ich kannte das genauso wenig wie Christian Lindner.“ Es habe auch für das Verhalten der FDP während der letzten Tage der Ampel-Koalition keine Rolle gespielt. Allerdings sei die Anfertigung des Papiers falsch gewesen. „Dass Mitarbeiter Fehler machen, kommt vor.“
Johannes Vogel (42)
Der Parteivize und Parlamentarische Geschäftsführer ist dem Vorsitzenden ebenfalls seit vielen Jahren verbunden. Das fängt damit an, dass er aus derselben Gegend in Nordrhein-Westfalen stammt, am selben Gymnasium sein Abitur abgelegt hat und zeitweise Generalsekretär der NRW-FDP war.
Gleichwohl gehört Vogel zu einer eher seltenen Spezies bei den Freien Demokraten: Er wird dem sozialliberalen Flügel zugerechnet, der in den vergangenen Jahrzehnten ziemlich verkümmert ist. Vogel interessiert sich für Themen wie Rente, Arbeit und Soziales. Voraussetzung für einen weiteren Aufstieg dürfte sein, dass die FDP eines Tages wieder stärker die linke Mitte der Gesellschaft in den Blick nimmt – wo sich allerdings schon andere breit gemacht haben.
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