Berlin. Der Generalsekretär muss weichen, um den Parteichef zu retten: Nach dem Ampel-Aus haben die Liberalen vollends die Kontrolle verloren.
Weniger als drei Monate sind es noch bis zur geplanten Neuwahl des Bundestages. Und die Freien Demokraten geben ein erschreckendes Bild ab. Es ist ein Bild des Abwiegelns, des Herumlavierens und des sittlichen Verfalls.
Der Parteivorsitzende: ein Zocker, der gerade dabei ist, sein Lebenswerk zu verspielen. Der bisherige, am Freitag Hals über Kopf zurückgetretene Generalsekretär: ein heißer Anwärter auf den Baron-von-Münchhausen-Wanderpokal, wenn es diesen denn gäbe. Der stellvertretende Parteichef und Bundestagsvizepräsident: wirkt wie ein Staatsschauspieler, der es in Ordnung findet, das Publikum hinters Licht zu führen.
Was ist geschehen? Die FDP hat am Donnerstag eingeräumt, dass sie ihren Rückzug aus der Berliner Ampelkoalition über Wochen hinweg geplant hat. Das an sich ist nicht verwerflich, eine Parteizentrale kann und muss sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Verwerflich ist nur, dies zu leugnen und dabei mit Begriffen wie „Märchen“ und „Lüge“ zu operieren. Unter dem Druck von Medienrecherchen veröffentlicht die Partei jetzt selbst ein Dokument, das wie ein detailliertes Drehbuch für den großen Knall daherkommt.
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Auch der militärische Begriff „D-Day“ kommt darin vor. Hierzulande wird er üblicherweise mit dem 6. Juni 1944 in Verbindung gebracht – also jenem blutigen Tag im Zweiten Weltkrieg, an mehr als 150.000 alliierte Soldaten mit Tausenden Schiffen in der Normandie landeten und auf erbitterten Widerstand der deutschen Besatzer stießen. Die Befreiung Europas von der Nazi-Tyrannei und das Ende der Berliner Ampel-Koalition: Das sind offenbar Analogien, die man im Hans-Dietrich-Genscher-Haus für zulässig hält.
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D-Day-Papier: Die Mitarbeiter sollen es gewesen sein
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai trat am Freitag zurück, nicht einmal eine Minute dauerte sein Statement. Bislang hatte er stets behauptet, der Begriff „D-Day“ sei nie benutzt worden. Nun sagt er, untergeordnete Mitarbeiter seien es gewesen, die politische Führung habe davon nichts gewusst. Auch der Bundesgeschäftsführer gab am Freitag sein Amt auf, er hatte das Papier verfasst. Parteivize Wolfgang Kubicki hatte noch vor wenigen Tagen behauptet, die FDP habe kein Drehbuch für das Verlassen der Ampel besessen.
Und Parteichef Christian Lindner inszeniert sich seit seinem Rauswurf aus dem Amt des Finanzministers am 6. November als Opfer eines hinterhältigen Kanzlers. Der Gedanke liegt nahe, dass es ihn vor allem wurmt, im entscheidenden Augenblick die Kontrolle über das Geschehen verloren zu haben. Nun ist der Kontrollverlust noch mal größer. Lindners Generalsekretär musste gehen. Er ist die Sicherung, die durchbrannte, um den Vorsitzenden zu schützen.
Wenn bereits am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, dann würden die Freien Demokraten hochkant aus dem Parlament fliegen. Das legen die aktuellen Umfragen nahe. Bislang haben sie bei der FDP gehofft, dass sich die Stimmung ab dem Jahreswechsel dreht und die Partei dann verstärkt inhaltlich punkten kann. Das könnte sich nun als frommer Wunsch erweisen.
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Auf absehbare Zeit werden die Liberalen im Rechtfertigungsmodus bleiben. Im Raum steht nichts weniger als die Frage, wie bürgerlich eigentlich eine bürgerliche Partei ist, die sich in der Krise aus dem Staub macht und die Wähler über die wahren Umstände täuscht.
Deutschland verdankt den Freien Demokraten sehr viel: Diese Partei hat die Bundesrepublik mit erfunden und mit zur Größe geführt. Das sollte man in diesen Monaten nicht vergessen.
So wie sich die FDP gerade präsentiert, scheint sie für die meisten Wähler verzichtbar zu sein. Grundsätzlich braucht aber jede Demokratie auch eine liberale Partei. Eine, auf die man sich verlassen kann und die das Gemeinwohl über die eigenen Befindlichkeiten stellt. Die FDP macht sich gerade unmöglich. Es ist ein Drama – für den Liberalismus hierzulande und das Land insgesamt.
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