Berlin. Ein Waffenstillstand für die Ukraine? Stoltenberg spricht von Gebietsabtretungen – und die EU-Chefdiplomatin von Friedenstruppen.

Seit über 1000 Tagen tobt der Krieg in der Ukraine, der Aggressor Russland ist weiter auf dem Vormarsch. Lediglich die russische Region Kursk kann die Ukraine als Faustpfand in der Hinterhand behalten. Derweilen mehren sich sowohl aus dem Westen als auch in der ukrainischen Regierung Stimmen, die in Richtung eines Waffenstillstandes argumentieren.

Der frühere Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bringt in diesem Zusammenhang vorübergehende Gebietsabtretungen ins Spiel, um ein Ende des Krieges zu erreichen. „Wenn die Waffenstillstandslinie bedeutet, dass Russland weiterhin alle besetzten Gebiete kontrolliert, heißt das nicht, dass die Ukraine das Gebiet für immer aufgeben muss“, sagte der künftige Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) dem Portal „Table.Briefings“.

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Ukraine: „Wir brauchen eine Waffenstillstandslinie“

Er unterstützte Selenskyjs Forderung, bei einem Waffenstillstand keine Gebiete an Russland abzutreten, hält dies aber mit Blick auf die militärische Lage in der Ukraine derzeit für wenig wahrscheinlich: „Wir brauchen eine Waffenstillstandslinie, und natürlich sollte diese Linie idealerweise alle Gebiete einschließen, die Russland derzeit kontrolliert. Wir sehen aber, dass das in naher Zukunft nicht unbedingt realistisch ist.“

Wichtig sei, dass die Regierung in Kiew im Gegenzug für vorübergehende Gebietsabtretungen Sicherheitsgarantien erhalte, so der Norweger. Das könnte die Nato-Mitgliedschaft sein, es gebe aber auch „andere Möglichkeiten, die Ukrainer zu bewaffnen und zu unterstützen“. 

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EU-Chefdiplomatin für Friedenstruppen

Wie ein möglicher Waffenstillstand abzusichern ist, dazu äußerte sich auch die neue EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas, die sich seit dem Tag ihres Amtsantrittes am 1. Dezember in Kiew aufhält. Als Garantie für einen Waffenstillstand bringt sie Soldaten aus EU-Mitgliedsstaaten ins Spiel. Solche Friedenstruppen könnten aus Ländern entsandt werden, die sich bereits in der Vergangenheit offen für Gespräche über eine Truppenentsendung geäußert hätten, wie zum Beispiel Frankreich oder die baltischen Staaten, sagte die frühere estnische Ministerpräsidentin am Rande von Gesprächen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. 

EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas ist derzeit in Kiew.
EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas ist derzeit in Kiew. © AFP | HANDOUT

Die Frage, wie ein möglicher Waffenstillstand in der Ukraine abgesichert werden könnte, stellt sich vor dem Hintergrund des bevorstehenden Machtwechsels in den USA. So könnte Donald Trump als Präsident versuchen, die Ukraine und Russland zu Verhandlungen zu drängen. Dafür könnte er der Ukraine androhen, im Fall einer Verweigerungshaltung die Militärhilfe einzustellen. Russlands Präsidenten Wladimir Putin könnte er hingegen an den Verhandlungstisch drängen, indem er ankündigt, die Militärhilfe für Kiew auszubauen.

Selenskyj zeigte selbst Bereitschaft für mögliche Gebietsabtretung

Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte am Freitag von den westlichen Verbündeten Nato-Schutz für die von Kiew kontrollierten Teile des Landes gefordert – und Bereitschaft signalisiert, mit der Rückerlangung der russischen besetzten Gebiete zu warten. „Wenn wir die heiße Phase des Krieges beenden wollen, sollten wir das Gebiet der Ukraine, das wir kontrollieren, unter einen Nato-Schutzschirm stellen“, sagte Selenskyj im britischen Fernsehsender „Sky News“. „Das muss schnell passieren und dann kann die Ukraine die übrigen Teile ihres Territoriums auf diplomatische Art und Weise zurückerlangen“, fügte der ukrainische Präsident hinzu.

Am 19. November hatte Selenskyj die Zukunft seines Landes mit der des russischen Präsidenten Wladimir Putin verknüpft und erstmals eingeräumt, dass sein Land „vielleicht“ eine Zeit lang den Verlust von Gebieten akzeptieren müsse, die von Russland besetzt sind. „Vielleicht muss die Ukraine jemanden in Moskau überleben, um alle ihre Ziele zu erreichen“, sagte Selenskyj, „vielleicht um die Gesamtheit des Staates wiederherzustellen“.