Berlin. Drei Monate vor der Wahl steht der FDP-Chef knietief in der Krise: Sein Generalsekretär ist zurückgetreten, die Umfragen sind im Keller.
Christian Lindner wollte den Helden spielen – und das Ampel-Aus als Befreiungskampf inszenieren. Das Gegenteil ist eingetreten: Lindner und die Liberalen haben sich verzockt. Drei Wochen nach dem Regierungsbruch steckt die FDP in einer historischen Krise. Die Partei, die gerade noch vollmundig von „D-Day“ und offener „Feldschlacht“ träumte, steht nun ohne General da: Um 11.36 Uhr am Freitagmorgen erklärte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai seinen Rücktritt.
Warum tritt der Generalsekretär zurück?
Es gibt zwei Gründe. Djir-Sarai hat einen kapitalen Fehler gemacht. Er muss aber auch gehen, damit Christian Lindner weitermachen kann – vorerst zumindest. Die Hoffnung dahinter: Lindner kann die Krise politisch überleben, wenn Djir-Sarai die Schuld auf sich nimmt. Ob das Kalkül aufgeht? Offen.
Als am Donnerstag bekannt wurde, dass in der Partei nicht nur konkrete Szenarien für einen Regierungsbruch durchgespielt worden waren, sondern diese Szenarien bis ins Detail von langer Hand geplant und überdies in vollkommen deplatzierter Weltkriegsrhetorik verfasst waren, wiegelte der Generalsekretär zunächst ab: Der Begriff „D-Day“ sei nicht benutzt worden – was nicht stimmte. Niemand aus der Führung habe das Papier gekannt – was ungewöhnlich wäre und, sollte es stimmen, erst recht problematisch. Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.
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Am Freitagmorgen wurde sichtbar: Hinter dem Papier stehen nicht etwa ein paar Praktikanten der Parteizentrale, sondern unter anderem der Bundesgeschäftsführer. Spätestens jetzt war klar: Djir-Sarai ist nicht mehr zu halten, die Jungen Liberalen (JuLis) forderten seinen Rücktritt. „Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte“, sagte Djir-Sarai. „Dafür entschuldige ich mich.“
Für einen solchen Vorgang sei der Generalsekretär verantwortlich – „daher übernehme ich die politische Verantwortung, um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden“, so Djir-Sarai. Lindner selbst erklärte später, das öffentlich gewordene Papier des Genscher-Hauses sei lediglich ein Entwurf gewesen. „Ich habe es nicht zur Kenntnis genommen und hätte es auch nicht gebilligt“, betonte Lindner.
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Was wird jetzt aus Lindner?
Christian Lindner ist schwer beschädigt. Das liegt nicht nur an der aktuellen Krise. Das liegt auch daran, dass Lindner zum zweiten Mal auf eine Weise die politische Notbremse zieht und aussteigt, die Fragen aufwirft: Sein nächtliches Nein zu Jamaika 2017 war damals in Stil und Timing hochumstritten. Sein Ausstieg aus der Ampel wird viele alarmieren, die weiterhin mit der FDP als potenziellem Koalitionspartner kalkulieren – allen voran die Union.
Dabei ist es belanglos, ob Lindner oder sein General das „D-Day“-Papier in jeder einzelnen Formulierung auswendig kannten oder nicht. Lindner ist verantwortlich für die gesamte Strategie des bis ins kleinste Detail kalkulierten Regierungsbruchs.
Das sagte er auch am Freitagabend in den ARD-“Tagesthemen“: „Ich trage die Gesamtverantwortung für die FDP und zu der bekenne ich mich auch.“ Das Papier nannte er „stilistisch nicht überzeugend“. Es sei auch nie in politischen Gremien besprochen worden und er habe davon keine Kenntnis gehabt. Den Mitarbeitern, die das Papier entworfen hätten, mache er aber keinen Vorwurf.
Wer wäre der mögliche Lindner-Nachfolger?
Miese Umfragen, verlorene Wahlen – es hätte in der Vergangenheit viele Gründe für einen Wechsel an der Parteispitze gegeben. Doch Lindner überstand alle Krisen – mehr noch: Er war bis zuletzt in weiten Teilen der Partei unumstritten wie kaum ein anderer Parteichef in Deutschland. Selbst als Lindner zeitweise amtsmüde wirkte und öffentlich über ein Leben nach der Politik nachdachte, fand sich niemand der „Hier!“ rief und den Job übernehmen wollte.
Die „One-Man-Show“ lief mit mäßigem Erfolg einfach immer weiter. Bis zuletzt: Kurz nach dem Ampel-Aus antwortete der FDP-Chef auf die Frage, ob dies vielleicht der richtige Moment sei für eine persönliche Auszeit, er sei doch erst 45 Jahre alt. Und: „Ich habe noch viel vor.“ Selbstbewusst erklärte Lindner, er wolle in der nächsten Regierung auch wieder Finanzminister werden. Seine Partei steht bislang hinter ihm, will mit dem Parteichef als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl ziehen.
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Wen muss Lindner jetzt fürchten?
Feindschaften sind in der Politik oft von kurzer Dauer – sobald es strategisch nützlich ist, finden sich auch scheinbar vollkommen zerrüttete Akteure wieder zusammen. Viele in der FDP, die wegen des „D-Day“-Gaus die Faust in der Tasche ballen, werden rechtzeitig vor der Wahl wieder den Schulterschluss üben. Nur Volker Wissing, der als einziger von Lindners Ministern in der Ampel blieb, dürfte wohl auf lange Zeit den Bruch mit der eigenen Partei für den richtigen Schritt halten.
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Stürzt die FDP jetzt endgültig ab?
Lindners drängendstes Problem seit Freitag: In drei Monaten ist Bundestagswahl und der Parteichef steht quasi allein da. Nachdem sein Generalsekretär zurückgetreten war, nahm auch FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann seinen Hut. Die vorgezogene Neuwahl ist für alle Parteien ein organisatorischer Kraftakt – ohne eingespieltes Personal ist die Lage für die FDP aber ein reiner Alptraum.
Lindner braucht nun einen Superman oder eine Superwoman: Eine perfekte Nummer zwei, die Krisenmanagement und Wahlkampf kann – und dazu noch loyal und beliebt in der Partei ist. Die einzige, der das zuzutrauen wäre, ist gerade nach Brüssel gegangen: Marie-Agnes Strack-Zimmermann.
Doch auch ein liberaler Superheld würde gegen die hartnäckige Unbeliebtheit der Partei kämpfen: Die Liberalen liegen aktuell in nahezu allen Umfragen unter fünf Prozent. Lindners Kalkül, dass die Leute die FDP für den Regierungsbruch feiern würden, ist nach hinten losgegangen.