Berlin. Olaf Scholz will noch Gesetze durchs Parlament bringen, dafür braucht er die Union. Jetzt setzt er seinen letzten Joker ein.
Eigentlich will Kanzler Olaf Scholz (SPD) erst am 15. Januar des kommenden Jahres im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und damit den Weg für Neuwahlen im März freimachen. Vorher müssten noch wichtige Gesetze verabschiedet werden, die keinen Aufschub dulden, argumentiert er. Die Union um CDU-Chef Friedrich Merz ist in Rage, sie fordert eine Vertrauensfrage bereits in der kommenden Woche und Neuwahlen in der zweiten Januar-Woche.
Jetzt hat der Bundeskanzler erstmals Kompromissbereitschaft beim Zeitplan für die Neuwahl angedeutet: „Über den Termin sollten wir möglichst unaufgeregt diskutieren“, sagte er am Freitagnachmittag in der ungarischen Hauptstadt Budapest. Dort fand ein Sondergipfel der Europäischen Union statt.
Scholz hat keine Chance, die Vertrauensfrage im Bundestag zu gewinnen. Das will er auch gar nicht, das Ziel ist die Auflösung des Parlaments durch den Bundespräsidenten. Dieser hätte für seine Entscheidung drei Wochen Zeit, danach müsste innerhalb von 60 Tagen gewählt werden. Scholz hatte am Mittwochabend, als er in einer Wutrede die Entlassung von FDP-Chef Christian Lindner als Finanzminister begründete, selbst Neuwahlen als Ziel ausgegeben.
Olaf Scholz: Der Kanzler will noch einige Vorhaben durchs Parlament bringen
Der Zeitpunkt der Vertrauensfrage ist einer der wenigen verbliebenen Trümpfe, die dem Kanzler nach dem Aus der Ampel-Koalition noch bleiben. Er will versuchen, diesen in anstehenden Verhandlungen mit Union und FDP einzusetzen. Denn Scholz und seine SPD wollen vor Neuwahlen noch einige Gesetzesprojekte durch den Bundestag bringen – etwa die Rentenreform oder Steuererleichterungen. Zudem will der Kanzler mit der Union noch grundsätzlich klären, wie Sicherheit und Verteidigung trotz aller Haushaltszwänge künftig finanziert werden.
In Budapest sagte Scholz nun, eine Einigung der Bundestagsfraktionen zu Gesetzesvorhaben, die noch in diesem Jahr verabschiedet werden sollen, könne auch die Frage beantworten, „welcher Zeitpunkt dann der richtige ist, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen“. Die CDU reagierte zurückhaltend auf die Aussagen des Kanzlers. In Parteikreisen hieß es, solche Verhandlungen müssten persönlich geführt werden. Man erwarte ein konkretes Gesprächsangebot des Kanzlers.
Bundeswahlleiterin Ruth Brand äußerte am Freitag erhebliche Bedenken gegen Neuwahlen im Januar oder Februar. In einem Brief an Scholz, der dieser Redaktion vorliegt, heißt es, eine vorgezogene Wahl stelle für alle Beteiligten wie Wahlorgane, Länder und Gemeinden eine große Herausforderung dar. Die 60 Tage nach Auflösung des Bundestages müssten voll ausgeschöpft werden, „um alle erforderlichen Maßnahmen rechtssicher und fristgemäß treffen zu können“. Die ordnungsgemäße Vorbereitung und Durchführung der Wahl sei „essentiell für das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie“.
Wahlleiterin: Ordnungsgemäßer Urnengang kann womöglich nicht garantiert werden
So müsse die notwendige IT-Infrastruktur bereitgestellt und gegen Angriffe von außen abgesichert werden. „Überdies sind die Aufwände der Beschaffung der Wahlunterlagen aufgrund der aktuellen Marktlage nicht zu vernachlässigen.“ In den vergangenen Jahren sei die Beschaffung von Papier und die Beauftragung von Druckdienstleistern zunehmend erschwert. Zudem müssten Wahlausschüsse berufen, Wahlhelfer geschult und geeignete Wahlräume organisiert werden.
„Soweit Termine und Fristen in die Weihnachtszeit oder in den Zeitraum zwischen den Jahren fallen würden, wäre der nur sehr knappe Zeitraum von 60 Tagen maßgeblich verkürzt“, schreibt die Bundeswahlleiterin. „Dies könnte zu unabwägbaren Risiken auf allen Ebenen, insbesondere auf Gemeindeebene, führen und Beschaffungsmaßnahmen faktisch kaum realisierbar machen.“
Brand befürchtet, dass wegen des Zeitdrucks Kandidaten nicht rechtzeitig aufgestellt werden können und Wahlvorschläge zurückgewiesen werden müssen, die Gemeinden mit der Abwicklung der Wahlen überfordert sein könnten. Womöglich könne eine ordnungsgemäße Wahl „in größerem Ausmaß“ nicht garantiert werden, weil Wahlunterlagen fehlen oder Wahlvorstände nicht ausreichend geschult sind. „Insgesamt sehe ich in diesem Fall eine hohe Gefahr, dass der Grundpfeiler der Demokratie und das Vertrauen in die Integrität der Wahl verletzt werden können“, schreibt die Bundeswahlleiterin.
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