Lancaster. Pennsylvania wird am 5. November wohl das Zünglein an der Waage sein. Ein Road-Trip durch die „Mutter“ der „Battleground-States“
Kurz nach Sonnenaufgang ist die Landschaft rund um Lancaster im Indian Summer am Sonntag die reinste Idylle. Wellige Hügel, saftige Felder. Es riecht nach Kuhdung. Alles grün. Nur zwischendurch fallen die dunkelblau-grundierten Plastik-Schilder auf, die auf manchen Bauernhöfen der Amish stehen, die vor 300 Jahren aus Deutschland nach Pennsylvania ausgewandert sind: „Trump/Vance“ ist dort zu lesen. Der Präsidentschaftswahlkampf in den USA, er hat auch die fromme Glaubensgemeinschaft erreicht, die traditionell republikanisch tickt. An der Ampel sitzen Isiah und sein Sohn Noah in ihrer Pferdekutsche. Wen sie wählen? „Wir müssen zum Gottesdienst, keine Zeit. Aber die Frau wird es nicht sein.“
Eine Szene von vielen aus jenem Bundesstaat, der am 5. November mit seinen 19 Wahlmännerstimmen den größten Preis bereithält. Ohne den Keystone-State haben Kamala Harris wie Donald Trump kaum eine realistische Chance, die Wahl zu gewinnen und auf die nötigen 270 Stimmen im „electoral college” zu kommen. Die beiden größten Städte, Philadelphia im Osten und Pittsburgh im Westen, sind Hochburgen der Demokraten. Der Rest des Bundesstaates ist überwiegend rot, also republikanisch.
Harris und Trump (und ihre Mitstreiter Tim Walz und J.D. Vance) waren seit August über 30 Mal vor Ort. Hierhin fließt mit Abstand das meiste Wahlkampfgeld – schon jetzt über 300 Millionen Dollar. 2016 ging Pennsylvania mit 44.000 Stimmen Vorsprung an Trump. Vier Jahre später dreht Joe Biden den Spieß um. Er holt 81.000 Stimmen mehr als Trump. Eine Woche vor der Wahl weisen Umfragen diesmal statistisch gesehen ein Patt aus.
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Für die Wähler in Pennsylvania ist Trump eine bekannte Größe, in jeder Hinsicht. Kamala Harris ist Neuland. Trump könnte Schwierigkeiten bekommen, genügend Wähler zu mobilisieren. Harris‘ Herausforderung besteht darin, die Ängste vor dem Unbekannten zu lindern.
Dabei wollen Irene und Taylor helfen. Das Rentner-Ehepaar aus dem Süden Virginias wartet vor dem Hauptquartier der Demokraten in York, knapp zwei Stunden Auto-Fahrt nördlich von Washington, auf Adressen. Sie haben den langen Weg aus dem Süden Virginias auf sich genommen, um für Kamala Harris „an die Türen zu klopfen”. Canvassing nennt man das hier, das direkte Gespräch mit dem Wähler. Seit Wochen, sagte der Ehrenamtler Dave, der die Freiwilligen einteilt und ihnen Stadtbezirke zuweist, kommen an Wochenende Hunderte Demokraten aus angrenzenden Bundesstaaten nach York, um „Vorurteile über die Vize-Präsidentin auszuräumen”. Welche? „Die Trump-Kampagne verzerrt sie als linksradikale Marxistin, das war sie nie.”
„Noch mal vier Jahre Donald Trump, das verkraftet dieses Land nicht“
Zu den wichtigsten Wählergruppen in Pennsylvania gehören Latinos. Der Anteil hispanisch-stämmiger Einwohner wächst stetig. In Reading, einer 95.000-Einwohner-Stadt in Berks County, fühlen sich über 70 Prozent der Menschen der Latino-Community zugehörig. Man sollte annehmen, dass Demokraten wie Republikaner hier besonders aktiv sind. „Aber das ist nicht der Fall“, sagte Michael Toledo. Der 53-Jährige, dessen Eltern von der Karibik-Insel Puerto Rico stammen, ist Präsident des „Centro Hispano“ unten am Schuylkill-River. Eine Beratungsstelle für Einwanderer, die oft an den Hürden der Bürokratie scheitern.
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Toledo hält das Programm von Kamala Harris für „viel zukunftsfähiger“. Trumps Ankündigung, Millionen Einwanderer ohne US-Pass abschieben zu lassen, geht ihm gegen den Strich. Viele „Undokumentierte“ lebten seit Jahren in den USA, gingen geregelter Arbeit nach und zahlten Steuern. Oft seien die Eltern illegal ins Land gekommen, während die Kinder (er ist eines aus dieser Generation) hier geboren und US-Bürger sind. „Niemand will sehen, wie Familien auseinandergerissen werden.“ Toledo weiß durch Gespräche im „Centro Hispano“, dass viele Latinos in Furcht leben vor dem, was kommt, wenn Trump gewinnt. „Niemand will so leben. Wir wollen Hoffnung.“ Das Gespräch mit Toledo hat stattgefunden, bevor bei einer Trump-Kundgebung in New York am Sonntag Puerto Rico als „schwimmende Müll-Insel“ verunglimpft wurde.
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Apropos verunglimpfen. Vor dem Gerichtsgebäude von Allentown im Osten des Bundesstaates fragt Chris George, ein eigens aus New Jersey angereister Wahlhelfer der Demokraten, ob mit der vorzeitigen Stimmabgabe alles geklappt hat. Margaret Hubbard nickt, berichtet aber mit errötetem Gesicht von „ziemlicher Unübersichtlichkeit“ im Wahllokal. Dann redet sie sich leicht in Rage, bekommt dabei feuchte Augen. „Noch mal vier Jahre Donald Trump, das verkraftet dieses Land nicht.“
Die ehemalige Therapeutin wuchs in einem republikanischen Haushalt auf. Ihr Vater war in Kindheitstagen mit dem späteren Präsidenten George H.W. Bush befreundet. Hubbard aber ist Demokratin. Und in Angst. „Ich spüre das Gewicht dieser Wahl auf meinen Schultern.“ Hier im Lehigh Valley, wo mal „blau“ und mal „rot“ gewinnt, davon ist sie überzeugt, „wird sich das Schicksal Pennsylvanias und des ganzen Landes entscheiden“.
Hubbard kennt Trump persönlich. Sie arbeitete 1989 für dessen Radtour „Tour de Trump” als Marketingkraft. Wie er sie, damals jung und schön, angeschaut habe – „mir stellen sich immer noch die Nackenhaare auf“. Ihre Hoffnung: „Ein Sieg von Kamala Harris, der so groß ist, um über alle Zweifel erhaben zu sein.“
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Sie setzt dabei vor allem auf ihr Geschlecht. Viele Frauen seien „stinksauer” über das, was Trump bei der Abtreibung gemacht hat. „Eine Leiche hat mehr körperliche Autonomie als Frauen in den Vereinigten Staaten von Amerika.”
Aber selbst wenn Harris gewinnt, rechnet sie mit Unruhe. „Ich bin hundertprozentig sicher, dass er das Ergebnis anfechten wird. Seine Psyche macht es ihm unmöglich, eine Niederlage einzugestehen.“ Was Hubbard wirklich den Schlaf raubt: „Wenn Trump doch gewinnt, zieht er nach kurzer Zeit zurück. Dann kommt sein Vize J.D. Vance an die Macht und verwandelt Amerika in eine konservative Diktatur.“
Davor hatte Bill McCarthy keine sonderliche Angst, als er vor einigen Wochen den „Farm Show Complex” in einem abgeranzten Teil von Harrisburg, der Hauptstadt Pennsylvanias, vorzeitig verließ. Der 63 Jahre alte Ingenieur aus Hershey stand sich wie gut 3000 andere Anhänger Donald Trumps mehrere Stunden in der sengenden Herbstsonne die Beine in den Bauch, um Zutritt zu einem Live-Interview des Ex-Präsidenten mit einem seiner Lieblingsstichwortgeber zu bekommen. Sean Hannity vom Sender Fox News fütterte Trump mit Streicheleinheiten. Informationen blieben Mangelware. „Ich wollte wissen, was Trump konkret gegen die hohen Verbraucherpreise machen würde, das ist eine unserer drückendsten Sorgen.”
Als der Kandidat nach 45 Minuten immer noch nicht zur Sache kommt, stattdessen wieder über die ihm angeblich gestohlene Wahl von 2020 lamentiert, schält sich McCarthy verärgert aus dem Plastiksitz und strebt zum Ausgang. „Ich kann das nicht zum tausendsten Mal hören. Dafür ist mir die Zeit zu schade. Aber, hey, ich werde ihn wie 2016 und 2020 definitiv wieder wählen.”