Washington. Beim Dauerbrenner Abtreibung hat sich der republikanische Kandidat völlig in die Sackgasse manövriert. Es könnte ihn den Sieg kosten.

Donald Trump passt politische Standpunkte einem einzigen Prinzip an: Opportunität. Was kurzfristig Erfolg verspricht vor Publikum A, wird propagiert, ungeachtet der juristischen Machbarkeit und Mehrheitsverhältnisse. Dreht sich der Wind, wechselt der republikanische Präsidentschaftskandidat binnen Tagen die Position und behauptet vor Publikum B das Gegenteil. 

Trump in der Sackgasse

Beim Dauerbrenner Abtreibung – neben Inflation und illegaler Einwanderung mit das drängendste Thema der Amerikaner vor der Wahl im November – hat sich der 78-Jährige jetzt so in die Sackgasse manövriert, dass es ihn nach Ansicht von Analysten gegen Kamala Harris den Sieg kosten kann.

Ausgangspunkt: 2022 hatte der von Trump persönlich mit einer erzkonservativen Schlagseite versehene Oberste Gerichtshof in Washington gegen vehemente Proteste das bis dahin 50 Jahre lang landesweit geltende Recht auf Abtreibung kassiert. 

Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Wisconsin.
Donald Trump bei einem Wahlkampfauftritt in Wisconsin. © Getty Images via AFP | Scott Olson

Die Frage, unter welchen Voraussetzungen Schwangerschaftsabbrüche gestattet sind, liegt seither in der individuellen Verantwortung der 50 Bundesstaaten. Ergebnis: ein Flickenteppich. 14 Bundesstaaten arbeiten de facto mit Totalverboten. Ärzte, die das ignorieren, riskieren Gefängnisstrafen. 27 Bundesstaaten haben teils schwere Restriktionen eingeführt. Schwangere müssen oft Hunderte Meilen in einen liberaler gestimmten Nachbarstaat reisen, um eine „Abortion” durchzuführen. 

Trump soll bei Wahlsieg landesweites Abtreibungsverbot durchsetzen

Trump ließ sich dafür von religiös motivierten Anti-Abtreibungs-Aktivisten feiern, die Frauen diktieren wollen, was sie mit ihrem Körper machen dürfen und was nicht. Sie hatten 2016 maßgeblich zu seinem Wahlsieg beigetragen. Die Klientel will jetzt mehr. Trump soll im Falle eines Wahlsieges und konservativer Mehrheiten im Kongress ein landesweites Abtreibungsverbot durchsetzen.

Ein Ansatz, der völlig unpopulär ist. Umfragen weisen konstant aus, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Amerikaner Abtreibungen bis zu einem bestimmten Zeitpunkt befürworten. Auch in erzkonservativen Regionen wie Kansas der Kentucky, wo Abtreibungsgegner zuletzt bei Volksentscheiden herbe Niederlage kassierten.

Aus diesem Tatbestand saugen die Demokraten mit Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris Honig. Sie will anders als Trump Abtreibung national einheitlich bis zur 22. beziehungsweise 24. Schwangerschaftswoche legalisieren, sollte der Kongress ihr ein solches Gesetz zur Unterschrift vorlegen. Während einer Bus-Tour „für reproduktive Freiheit”, die 50 US-Städte anpeilt, will die Kalifornierin demnächst regelmäßig skandalisieren, dass Trump auf dem Rücken von Frauen den Willen von religiösen Extremisten durchsetzen will. Dabei weiß sie insgeheim, dass viele moderate Republikaner sehr wohl ein Recht auf Abtreibung befürworten.

Trump knickt vor evangelikalen Fundamentalisten ein

Trump weiß um die Anziehungskraft des Versprechens und hat diverse Anpassungsmaßnahmen versucht. Im Frühjahr sympathisierte er mit einer nationalen Fristen-Regelung, die Abtreibungen bis zur 15. Woche erlaubt. Umgehend griffen ihn evangelikale Fundamentalisten wie die bekannte Aktivistin Lila Rose an. Sie warf ihm Verrat am uneingeschränkten Schutz des ungeborenen Lebens vor. Trump zog zurück und versuchte das Thema vor der Präsidentschaftswahl kleinzureden.

2020: „Pro Life“-Demonstranten bei einem Trump-Auftritt in Washington.
2020: „Pro Life“-Demonstranten bei einem Trump-Auftritt in Washington. © AFP | Olivier Douliery

Weil sein neuer Heimat-Bundesstaat Florida besonders restriktiv vorgeht (Verbot von Abbrüchen ab der sechsten Woche), was am 5. November Gegenstand eines Volksentscheids sein wird, musste Trump aus der Deckung kommen. Er warb für deutlich längere Fristen. Und für Ausnahmen, wenn das Leben der Mutter gefährdet ist oder Vergewaltigung oder Inzest vorliegen. Diesmal war die Gegenbewegung der politisch-religiösen Rechten noch heftiger. Tony Perkins, Präsident des einflussreichen Family Research Council, attestierte Trump einen gefährlichen Schlingerkurs, der ihm einen erheblichen Stimmenverlust im November bescheren könnte. Prompt drehte Trump bei. Er werde im November für die Beibehaltung des Sechs-Wochen-Diktats stimmen, erklärte er vor wenigen Tagen. Die wahrheitsferne Begründung: Man müsse den Demokraten etwas entgegensetzen, die das Töten von Embryonen noch im neunten Monat beziehungsweise sogar nach der Geburt propagieren würden. 

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Ex-Vizepräsident Pence gießt Öl ins Feuer

Konservative Wahlkampf-Strategen in Washington schütteln den Kopf. „Trump verliert in Umfragen gerade massiv bei Frauen, wo er zurzeit mit 41 zu 54 Prozent hinten liegt. Und jetzt verstrickt er sich auch noch in unauflösbare Widersprüche”, ist aus dem Umfeld des republikanischen Senatskandidaten Larry Hogan aus Maryland zu hören. Zu allem Überfluss machte sich Trumps Vizepräsidentschaftskandidat J. D. Vance, ein erbitterter Abtreibungsgegner, über „kinderlose Katzenmuttis“ lustig. Gemeint waren Demokratinnen und Liberale.

Öl ins Feuer gießt auch Trumps ehemaliger Vizepräsident Mike Pence. Die damalige Gallionsfigur konservativ-gläubiger Wählerschichten wirft seinem lavierenden Ex-Boss Unaufrichtigkeit vor. „Die Trump-Pence-Regierung war ohne jede Entschuldigung über volle vier Jahre für das Leben”, sagte er und warnte vor einem Denkzettel vonseiten religiös gestimmter Wähler. 

Aber die Gefahr für Trump droht nicht nur von dort. In zehn Bundesstaaten, darunter die für einen Sieg relevanten „Swing States” Arizona und Nevada, werden parallel zur Präsidentschaftswahl Volksabstimmungen über das Recht auf Abtreibung durchführen. Nach Einschätzung von Meinungsforschern könnte Donald Trump dabei doppelt abgestraft werden.