Washington/Chicago. In Chicago kommen zum Parteitag 5000 Demokraten zusammen. Sie wollen Donald Trump verhindern. Auch ein Superstar könnte erscheinen.
Wenn Amerikas Demokraten ab Montag im streng abgeschirmten United Center in Chicago zu ihrem Nominierungsparteitag für die Präsidentschaftswahl im November zusammenkommen, liegen politisch die turbulentesten und folgenreichsten vier Wochen der jüngeren amerikanischen Geschichte hinter der Partei mit dem Esel im Wappen.
Auf Druck aus den eigenen Reihen hatte Amtsinhaber Joe Biden nach dem missratenen TV-Duell gegen Donald Trump aus Altersgründen den Weg frei gemacht. Es war ein historischer Verzicht auf die Kandidatur für eine zweite Amtszeit. Im Anschluss musste das Drehbuch für die viertägige „Convention” mit rund 5000 Delegierten am Ufer des Lake Michigan im Eiltempo umgeschrieben werden. Das gelang, wie US-Medien urteilen, sensationell geschmeidig und zielbewusst.
US-Wahl 2024: In Windeseile versammelten sich die Demokraten hinter Kamala Harris
Ohne öffentliche Grabenkämpfe, böses Blut oder konkurrierende Bewerbungen versammelte sich die Partei in Windeseile hinter der bis dahin oft angezweifelten Vize-Präsidentin Kamala Harris.
Die 59-Jährige wurde bereits vor Tagen bei einem „virtual roll-call” (Online-Abstimmung) offiziell zur Kandidatin für den 5. November ausgerufen. Sie erhielt 99 Prozent der Stimmen. Das Gerede um eine mögliche Kampfabstimmung, bei der mehrere Alternativ-Kandidaten in Chicago ihren Hut in den Ring werfen würden, ist Makulatur.
Mit dem elitenfernen, volksnahen Gouverneur des Bundesstaates Minnesota, Tim Walz, präsentierte Harris einen überraschenden Vizepräsidentschaftskandidaten. Der 60-Jährige aus dem Mittleren Westen verkörpert als ehemaliger Highschool-Lehrer, langjähriger National-Gardist, Ex-Football-Coach und leidenschaftlicher Fasanen-Jäger eine bis weit ins konservative Lager hinein ideologisch anschlussfähige Bodenständigkeit. Sie soll den Demokraten gerade in den ländlich-industriell geprägten „Rostgürtel”-Bundesstaaten auf die Butterseite fallen.
Der erste Auftritt mit Tim Walz, der sich als mitreißender Redner und Sympathiebolzen erweist, hatte Spurenelemente der Euphorie aus den frühen Obama-„Yes We Can“-Jahren. Spaß und Zuversicht regieren plötzlich den demokratischen Gefühlshaushalt. Die Verzagtheit, gewachsen durch Bidens regelmäßige Aussetzer, ist durch Kamala Harris Geschichte geworden.
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Seit Bidens Rückzug und Harris‘ Kür im Eiltempo fließt bei den Demokraten das Spendengeld in Strömen. Allein im Juli nahm Harris über 300 Millionen Dollar ein. Die Umfragen verheißen neue Zuversicht für die Partei, die über Monate nur auf die Rücklichter des davoneilenden Zuges von Herausforderer Donald Trump blicken konnte.
Wo Amtsinhaber Biden national wie auch in den voraussichtlich sechs bis sieben wahlentscheidenden Bundesstaaten von Nevada bis Michigan konstant und teilweise deutlich hinter Donald Trump rangierte, sind die Abstände ausgeglichen worden. Zunehmend liegt Harris sogar vielerorts marginal vorn.
Wie nachhaltig das ist und ob Harris/Walz das konkurrierende Gespann Trump/Vance überholen können, ist rund 80 Tage vor der Wahl noch nicht auszumachen. Gleichwohl herrscht im Wahlvolk links der Mitte Aufbruchstimmung. Junge, Alte, Afroamerikaner und auch Weiße mit niedrigem Bildungsabschluss können sich für Harris erwärmen. Die Schlussphase des Präsidentschaftswahlkampfes, der noch vor einem Monat den Stempel der abturnenden Langeweile trug, ist völlig neu konfiguriert.
Insider bei den US-Demokraten: Die echten Stolpersteine für Harris kommen erst noch
Kurz vor dem 250-jährigen Bestehen der Vereinigten Staaten scheint die Aussicht auf die erste Präsidentin in der Geschichte der Supermacht für manche zum Greifen nahe. Eine Garantie für den Sieg am 5. November gegen Donald Trump ist die Stimmungslage jedoch nicht. David Axelrod, früherer Chefberater von Barack Obama, charakterisiert den Höhenflug der 59-Jährigen als „irrationalen Überschwang”. Sein Tenor und der vieler US-Kommentatoren: Die echten Stolpersteine kommen erst noch.
Bei dem Parteitag im „Wohnzimmer” Obamas, der in Chicago seine Karriere begann, und zu dem gut 50.000 Delegierte, Journalisten und politische Gäste aus aller Welt erwartet werden, wird es darum gehen, „die Euphoriewelle der vergangenen Wochen zu konservieren und alle Kräfte geschlossen gegen Donald Trump zu bündeln”, sagte ein Berater der Harris-Kampagne in Washington. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass zwei popkulturelle Super-Stars – Beyoncé und Taylor Swift – Harris ihre Referenz erweisen und für einen neuerlichen Vitaminschub sorgen könnten. Über allem schwebt das Zauberwort „Joy” (Spaß).
Anders als Joe Biden, der in Trump die Bedrohung schlechthin für die amerikanische Demokratie sieht, versucht das Team Harris den Gegner durch dosierten Spott zu entwaffnen und zu entdämonisieren.
Das von Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz auf Trump & Co. gemünzte Zauberwort „weird” (was sowohl „seltsam” und „komisch“, aber auch „nicht ganz bei Trost” oder „spinnert” bedeuten kann) ist bereits fester Bestandteil des demokratischen Wahlkampf-Sprechs.
Dass Kamala Harris Trump das Demokratiezerstörerische abschminkt, behagt in der Partei nicht jedem, gefällt aber, wie Umfragen nahelegen, parteiunabhängigen Wählern, die mit dem Krieg der Worte zwischen Demokraten und Republikanern in den vergangenen Monaten nichts mehr anfangen konnten.
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Am Auftaktabend (19. August) hat Joe Biden nach einer Ansprache von Ex-First Lady Hillary Clinton seine große Stunde. Der Amtsinhaber wird den Delegierten die Beweggründe für seinen von Parteioberen wie Nancy Pelosi erzwungenen Kandidaturverzicht darlegen, Bilanz und Ausblick geben und sich für eine über 50 Jahre währende Karriere feiern lassen. Ein hoher Tempotaschentuch-Faktor ist programmiert. Hoffnung der Parteispitze: Bitte keine Versprecher – oder gar einen Blackout.
Die Partei ist dem 81-Jährigen zutiefst dankbar, 2020 Trump verhindert zu haben. Dass er sich nach dem verkorksten TV-Duell mit Trump lange erbittert den Forderungen nach Rückzug widersetzte, ist so gut wie vergeben und vergessen.
Biden gilt nun als derjenige, der Kamala Harris den Staffelstab anvertraut hat und damit der potenziell ersten Präsidentin in der Geschichte der USA. Am Dienstagabend hält Barack Obama die zentrale Rede. Der Ex-Präsident wird Biden mit Lobeshymnen überschütten und Harris Kränze flechten. Der Mittwoch schließlich gehört erst Ex-Präsident Bill Clinton und danach Vizepräsidentschaftskandidat Tim Walz. Am Schlusstag, alte Tradition, schaut alles auf die Rede, mit der Kamala Harris offiziell ihre vor fünf Wochen noch undenkbare Präsidentschaftskandidatur annehmen wird.
Der nach wie vor heiße Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas stellt den größten Unsicherheitsfaktor vor dem Parteitag dar. Zehntausende Demonstranten haben sich angekündigt. Sie verlangen von Harris ein Bekenntnis, die israelische Militärmaschine zu stoppen und palästinensische Zivilisten zu schützen. Gewalttätige Ausschreitungen sind bei den diversen Protestaktionen nicht ausgeschlossen. Die Polizei in Chicago ist mit einem XXL-Aufgebot vorbereitet. Hässliche Szenen wie beim Parteitag 1968 an gleicher Stelle sollen sich nicht wiederholen.
Kamala Harris wird sich Chicago übrigens schrittweise nähern. Am Sonntag startet sie gemeinsam mit Ehemann Doug Emhoff und Tim Walz nebst Gattin Gwen in Pittsburg/Pennsylvania eine Bustour mit Zwischenstopps. Es soll der erste Triumphzug auf dem Weg in ein neues Amerika werden.
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