Berlin. Julius van de Laar erklärt, ob Michelle Obama Joe Biden ablösen wird und warum Trump wohl die beste politische Woche seiner Karriere hatte.
US-Präsident Joe Biden hat nach seinem verpatzten TV-Duell mit Donald Trump noch eine Chance, das Ruder herumzureißen, meint der US-Wahlkampfexperte Julius van de Laar. Er erklärt, wie sie aussieht und warum so viele Demokraten auf Michelle Obama hoffen.
Was war in dieser ereignisreichen Woche aus US-Sicht die wichtigste Erkenntnis?
Julius van de Laar: Donald Trump hatte wohl die beste politische Woche seiner Karriere. Erst sein Erfolg bei der TV-Debatte und dann das Urteil des Supreme Courts. Er befindet sich im Höhenflug.
Der Druck auf Joe Biden ist enorm, die Präsidentschaftskandidatur aufzugeben. Kann er dem Stand halten?
van de Laar: Der Druck wächst in der Tat rapide. Es sind nicht nur Kommentatoren in den USA, die ihn aufgefordert haben, sich zurückzuziehen, sondern es kommen auch die ersten Abgeordneten aus der Deckung – wie Lloyd Doggett, der Demokrat aus Texas. Aber auch Nancy Pelosi, immerhin 84 Jahre alt, meinte, es sei eine legitime Frage, ob die Verhaspler von Biden während der TV-Debatte nur Momentaufnahmen waren oder ob sie etwas zeigen, was längerfristig ein gesundheitliches Problem sein könnte.
Dazu kommt: Biden hatte diese Woche zwei öffentliche Auftritte – nach der TV-Debatte und nach dem Supreme Court-Urteil zur Immunität von Trump. Sie waren relativ kurz, beide waren zu 100 Prozent vom Teleprompter abgelesen. Solange wir nur Teleprompter-Bidens sehen, glaube ich nicht, dass er die großen Sorgen und Zweifel, die doch inzwischen in fast allen Teilen der demokratischen Basis und der amerikanischen Öffentlichkeit vorhanden sind, beruhigen kann.
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Was kann er tun, um das Ruder herumzureißen?
van de Laar: Die einzige Chance, die ich sehe, ist, dass er sich jetzt möglichst schnell in einem Townhall oder einem wirklich harten 60-Minuten-Interview der Öffentlichkeit stellt. Er muss zeigen, dass er 60 Minuten am Stück ohne Unterstützung durchhalten kann. Das geplante Interview mit ihm beim TV-Sender ABC kommt, eine Woche nach dem Debakel, fast ein bisschen spät. Trotzdem ist es eine Chance.
Zur Person
Julius van de Laar ist ein international tätiger Politikstratege und Kommunikationsberater. Er lebte 7 Jahre in den USA. Nach dem Studium der Politik- und Kommunikationswissenschaften an der Furman University in den USA arbeitete er in den US-Präsidentschaftswahlkämpfen 2008 und 2012 als hauptamtlicher Wahlkämpfer für Barack Obama.
Wo steht Biden in den neuesten Umfragen nach dem TV-Duell?
van de Laar: Laut einer CBS News/YouGov-Umfrage halten 72 Prozent aller Wähler Bidens mentale Kapazitäten für nicht ausreichend. Eine aktuelle Befragung von der „New York Times“ und dem Siena College sieht Biden sechs Prozentpunkte hinter Trump.
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Sollte man Biden also austauschen?
van de Laar: Wenn man sich die Umfragedaten anschaut, sieht es für die Alternativ-Kandidaten nicht sehr viel besser aus. Auch im Vergleich zu Kamala Harris, Gretchen Whitmer oder Gavin Newsom steht Trump besser da. Das könnte für Biden ein Argument sein, im Rennen zu bleiben.
Befindet sich Kamala Harris nicht gerade im Aufwind?
van de Laar: Ihre persönlichen Zuspruchswerte sind in Umfragen im Vergleich zu Biden um zwei Prozentpunkte gestiegen. Im Vergleich zu Trump hat sie mit 45 zu 48 die gleichen Werte wie Biden.
Die Frau, die offenbar die besten Chancen hätte, Trump zu besiegen, will nicht: Michelle Obama. Warum?
van de Laar: Ich war letzten November in Chicago, alle ehemaligen Obama-Mitarbeiter waren eingeladen. Dort wurde Michelle Obama danach gefragt. Sie hat erklärt, dass sie und ihre Familie dem Land viele Jahre gedient hätten und es nun an der Zeit sei, dass ein anderer das Zepter übernimmt. Daran wird sich kaum etwas geändert haben, auch wenn die Zeiten andere sind.
Michelle Obama ist im Moment vor allem eine großartige Fläche, auf die man alle Hoffnungen und Sehnsüchte nach einer inspirierenden Kandidatin projizieren kann. Fakt ist auch: Sie hatte noch nie ein öffentliches Amt, war nie eine gewählte Kandidatin, stand noch nie auf einer politischen Debattenbühne. Das unterscheidet sie von jemandem wie Hillary Clinton, die Senatorin und Außenministerin war.
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Muss man sich nach dem Urteil des Supreme Courts zu Trumps Immunität Sorgen machen um die US-Demokratie und den Rechtsstaat?
Ich finde die Worte von Sonia Sotomayor sehr treffend. Sie war zusammen mit zwei weiteren Richtern bei dem Urteil in der Minderheit und erklärte: „Bei Ausübung der Amtsgewalt ist der Präsident nun ein König, der über dem Gesetz steht.“ Da ist sehr viel dran. Sollte Trump die Wahl gewinnen, bekommen wir in den USA Zustände wie in Ungarn unter Viktor Orban.