Borgo Egnazia. In der Heimat hat der Kanzler derzeit nicht viel zu lachen, anders in Apulien. An seinem 66. Ehrentag erwartet den Kanzler Großes.
Man könnte sich den Bundeskanzler als einen glücklichen Menschen vorstellen. Olaf Scholz verbringt seinen 66. Geburtstag am Freitag gemeinsam mit Ehefrau Britta Ernst in dem süditalienischen Luxusresort „Borgo Egnazia“ an der Adriaküste. Sein Freund Joe Biden ist auch da, zudem sein guter Bekannter Emmanuel Macron. Doch nicht der Ehrentag des Kanzlers ist Anlass für die Zusammenkunft, sondern der G7-Gipfel in Italien, der aufs gleiche Datum fällt.
Regierungschefin Giorgia Meloni begrüßte den Kanzler am Donnerstag zu Gipfelbeginn vor einem Olivenbaum. Scholz lachte, wirkte gut gelaunt. Dann richtete er die Hände Richtung Himmel. Vielleicht freute er sich, dass in den kommenden Tagen hier in Apulien nicht die Probleme zu Hause, sondern außenpolitische Fragen im Fokus stehen. Wahrscheinlicher ist aber, dass Scholz das sommerliche Wetter lobte. Geburtstagswetter sozusagen.
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Hinter dem Kanzler liegen außergewöhnliche Tage, Gründe zum Feiern gibt es zumindest beruflich derzeit wenig. Diese Woche begann am Sonntag mit der Europawahl, bei der die SPD stürzte auf ihr historisch schlechtestes Ergebnis abstürzte und sogar hinter der AfD lag. Der Schrecken stand den Sozialdemokraten am Wahlabend ins Gesicht geschrieben. Umso kurioser war der erste Auftritt des Kanzlers nach Bekanntwerden des Wahlergebnisses.
Ampel-Koalition ist weit von Mehrheiten entfernt
Scholz mischte sich am Wahlabend in der SPD-Parteizentrale stoisch lächelnd unter die Leute. Er wechselte ein paar Worte links und rechts, tauschte einige Sätze mit Raphael Brinkert aus, dem zerknirscht wirkenden Chef der für die SPD-Kampagne verantwortlichen Werbeagentur. Bei einer Genossin bedankte sich Scholz für ihren jahrelangen Einsatz für die Partei. Als aber eine Journalistin den Kanzler fragte, ob er sich zum Wahlergebnis äußern wolle, antwortete Scholz schlicht: „Nö.“
Erst einen Tag später nahm der Kanzler Stellung, als er auf einer Pressekonferenz im Kanzleramt zum Europawahlergebnis gefragt wurde. „Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht. Keiner ist gut beraten, der jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will“, sagte Scholz. Dann aber fiel der Kanzler in ein bekanntes Muster: Je mehr es auf eine klare Botschaft ankommt, desto komplizierter wird, was er sagt. Scholz sprach einen langen Bandwurmsatz, der niedergeschrieben sieben Kommas hat, mit der Kernaussage: Wenn wir gut arbeiten, gewinnen wir Vertrauen zurück und können wiedergewählt werden.
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Nichts ist unmöglich. Sicher ist aber, dass sich Scholz mit seinen fast 66 Jahren eine ordentliche Portion Optimismus bewahrt hat. In Umfragen ist seine Ampel-Koalition derzeit weit von Mehrheiten entfernt – und die Stimmung ist am Boden. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert erklärte das schlechte Europawahlergebnis der Kanzlerpartei damit, dass sie aufgrund des Bündnisses mit FDP und Grünen unter einer „Kontaktschande“ leide – die Koalitionspartner nahmen die Wortwahl mit Befremden wahr.
Stoiber fordert, dem Kanzler die Vertrauensfrage zu stellen
Zu dieser bemerkenswerten Woche gehört auch eine Abendveranstaltung in einem Zelt in direkter Nachbarschaft zu Scholz‘ Regierungssitz. Im „Tipi am Kanzlerarmt“ wurden die „Politik Awards“ verliehen. Ausgerechnet Verteidigungsminister Boris Pistorius, der laut Umfragen weitaus beliebter ist als sein Parteikollege Scholz, wurde als Politiker des Jahres geehrt. Ausgerechnet Grünen-Chefin Ricarda Lang, deren Partei bei den Europawahlen dramatisch abstürzte, bekam den Preis als Newcomerin des Jahres.
Und ausgerechnet der frühere SPD-Chef Franz Müntefering, der die Frage der sozialdemokratischen Kanzlerkandidatur kürzlich noch als ungeklärt bezeichnet hatte, hatte einen großen Auftritt. Müntefering hielt eine Laudatio auf den früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der für sein Lebenswerk geehrt wird. Das Zelt voller Politikinsider und Journalisten wartete gespannt, ob der in der SPD noch immer hoch verehrte Müntefering sich zum Kanzler und dessen Zukunft äußert.
Der Sauerländer knarzte sich durch eine unterhaltsame Rede, spannend wurde es am Ende, als Müntefering und Stoiber in eine engagierte Diskussion gerieten. Der 84 Jahre alte, gerade von einer Herz-OP genesene Sozialdemokrat und der 82-jährige CSU-Grande redeten lebendiger und charismatischer über Politik, als es der Kanzler in seinen besten Momenten vermag. Stoiber forderte, Scholz müsse nach dem verheerenden Ergebnis bei der Europawahl im Bundestag die Vertrauensfrage stellen, das sei ein Gebot der „politischen Hygiene“. Müntefering widersprach: „Hygiene ist was für‘n Waschtisch.“
Wahrnehmbare Anti-Scholz-Stimmung gibt es in der SPD nicht
Auch diese Worte Münteferings zeigen: Eine wahrnehmbare Anti-Scholz-Stimmung gibt es in der SPD nicht. Am Wahlabend wollen viele ein Foto mit ihm. Am Eingang des Willy-Brandt-Hauses gibt es einen Aufsteller mit Autogrammkarten der Parteichefs, von Kühnert, Scholz und anderen Sozialdemokraten. Am nächsten Morgen ist allein das Fach mit den Scholz-Karten leer. Es rumort dennoch in der Partei. Wichtige Sozialdemokraten in den Ländern verzweifeln an der Scholz-Regierung.
Sie zählen Ampel-Gesetze auf, die sie für fehlerhafte und für die Stimmung im Land gefährliche Produkte aus dem Berliner Wolkenkuckucksheim halten: das Heizungsgesetz, die Cannabisfreigabe, die Krankenhausreform. Teile der Partei sehen es zudem kritisch, dass die SPD zwar den Kanzler mit dem Slogan „Frieden“ plakatierte, Scholz der Ukraine aber nur wenige Tage vor der Wahl den Beschuss militärischer Stellungen in Russland mit deutschen Waffen erlaubte.
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Eine Bewährungsprobe werden für Scholz die Verhandlungen über den Bundeshaushalt 2025. In der Kasse klafft ein Loch von 40 Milliarden Euro. Die SPD will deswegen Posten auslagern. Machte Finanzminister Christian Lindner bei dem Plan mit, sei die Regierung einen gewaltigen Schritt weiter, sagt einer, der über die Verhandlungen auf dem Laufenden ist. Doch der FDP-Chef sperrt sich. Dann soll die Regierung halt an ihm zerbrechen, sagt jemand in der SPD.
Neuwahlen sind innerhalb der Ampel-Koalition kein Thema
Den Mut zu Neuwahlen hat derzeit keiner der Koalitionspartner. Das schweißt zusammen. Im Kanzleramt ist man zuversichtlich, dass bis Anfang Juli eine Einigung steht. Ansonsten brauche man gar nicht zum Nato-Gipfel nach Washington in der zweiten Juli-Woche reisen, heißt aus der Koalition. Scholz führt die Haushaltsverhandlungen im kleinsten Kreis mit Lindner und Vizekanzler Robert Habeck. Vom G7-Gipfel reist Scholz weiter zur Ukraine-Friedenskonferenz in die Schweiz. Nach seiner Rückkehr nach Berlin am Sonntag wird ihn der Etat direkt wieder in Beschlag nehmen.
Doch erst einmal Italien, Apulien, der Geburtstag. Am Freitag kommt sogar der Papst zum G7-Gipfel, um mit den Teilnehmern in einer Arbeitssitzung über Künstliche Intelligenz, Energie, Afrika und das Mittelmeer zu sprechen. Scholz ist nicht als gläubig bekannt. Als er im Dezember 2021 seinen Amtseid leistete, ließ der Sozialdemokrat den religiösen Zusatz „So wahr mir Gott helfe“ weg. Aber wer weiß: Vielleicht kann Scholz den Papst doch um etwas Beistand von oben bitten, bevor es zurück nach Deutschland geht.
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