Seoul. Die Ukraine hofft auf deutsche Marschflugkörper – andere Länder haben sie längst. Und auch in Asien sind sie erfolgreich im Einsatz.

  • Die Marschflugkörper Taurus aus deutsch-schwedischer Produktion gelten als beliebtes Waffensystem
  • Auch die Ukraine hätte sie gerne – stößt in Deutschland aber auf Ablehnung
  • Währenddessen sind sie in anderen Ländern längst im Einsatz

Das Verteidigungsministerium in Seoul zeigt sie gerne auf ihren Fotos: Da werden sie elegant aus einem Flugzeug herabgelassen, gleiten dann stromlinienförmig in der Luft und suchen kurz darauf eigenständig ihr Ziel, das sie letztlich zerstören werden. So funktionieren diese heißbegehrten Marschflugkörper aus Deutschland, die die südkoreanische Luftwaffe stolz in ihrem Bestand führt. Über ihren Einkauf ist man froh: Denn mit ihrer Reichweite von 500 Kilometern können die modernen Flugkörper über weite Distanzen kämpfen, gegen den Feind jenseits der Landesgrenze.

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Seit dem Jahr 2013 setzt Südkorea in seiner Verteidigung auf das Marschflugkörpersystem des deutschen Unternehmens Taurus Systems GmbH. Und für die Sicherheit des ostasiatischen Landes gelten sie als zentral. Schließlich liegt nördlich der innerkoreanischen Grenze der verfeindete Bruderstaat Nordkorea, mit dem Südkorea seit 1950 formal im Kriegszustand verharrt. Als im Sommer 1953, drei Jahre und Millionen Todesopfer nach dem Ausbruch des Koreakriegs, die Kampfhandlungen endeten, war nur ein Waffenstillstand unterzeichnet worden.

Weiterhin herrscht in Südkorea die Wehrpflicht, das Land ist hochgerüstet. Neben deutscher Ausrüstung setzt Südkorea vor allem auf militärische Unterstützung seines strategischen Partners USA, der auf südkoreanischem Territorium auch wichtige Militärbasen unterhält. Außerdem zählt Südkorea selbst zu einem der größten Rüstungsexporteure der Welt. Der Grund für den hohen Militarisierungsgrad ist klar: Das autoritär regierte, verfeindete Nordkorea macht seit Jahren immerzu Raketentests, verfügt über Atomwaffen und droht auch immer mal wieder mit Krieg. Das Land ist alarmiert.

Bedrohungslage in Südkorea erinnert an die Ukraine

Erinnert diese ernste Situation an ein Land in Europa? Seit die Ukraine im Februar 2022 erneut von Russland angegriffen wurde, befindet sich auch das osteuropäische Land in akuter Bedrohung. Und um sich gegen die russische Invasion zu verteidigen, erhält Kiew seit zwei Jahren diverse Waffensysteme und Ausrüstung aus westlichen Ländern, darunter die USA und Staaten der EU, nicht zuletzt Deutschland. Bei der Frage nach Taurus-Lieferungen an die Ukraine stellt sich die Bundesrepublik jedoch quer.

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„Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz seine Haltung. Die Sorge dahinter: Wären deutsche Soldaten an den Einsätzen der Flugkörper beteiligt, könnte dies als deutsche Kriegsbeteiligung verstanden werden, was den Krieg weiter eskalieren könnte. Gegen Russland, einem mit Atomwaffen ausgerüsteten Staat, dessen Präsident Wladimir Putin auch schon mit deren Einsatz gedroht hat, will Deutschlands Regierung dies nicht riskieren.

Marschflugkörper Taurus KEPD-350 (13.03.2024)
Die wichtigsten Infos zum Marschlufkörper Taurus. © DPA Images | dpa-infografik GmbH

Taurus-Verkauf war kein einmaliger Deal

Aber wenn die Ukraine die als militärisch für wichtig erachteten Marschflugkörper nicht erhalten darf, warum sind sie dann längst an Südkorea verkauft worden? Immerhin befindet sich auch Südkorea im Krieg, zumal gegen einen Staat, der ebenso über Atomwaffen verfügt und auch laut mit dem Gedanken spielt, diese einzusetzen. Zudem hat Südkorea über die Jahre seinen Besitz an Marschflugkörpern noch ausgebaut. Nachdem das Land 2013 170 Taurus im Wert von 270 Millionen Euro bestellt hatte, kaufte es 2018 noch weitere. Längst wurde auch das Unternehmen Taurus Systems Korea mit Sitz in Seoul gegründet. Es handelt sich also nicht um einmalige Deals, sondern ein institutionalisiertes Geschäft.

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Südkoreas Verteidigungsministerium verspricht sich von den Geräten, dass sie im Ernstfall nicht nur nordkoreanische Atomanlagen zerstören können, sondern auch unterirdische Verstecke des nordkoreanischen Diktators Kim Jong-un. Olaf Scholz aber scheint bei dieser Sache kein schlechtes Gefühl zu haben. Als der deutsche Kanzler im vergangenen Mai das japanische Hiroshima im Zuge des G7-Gipfels besucht hatte, reiste er im Anschluss weiter nach Seoul, um eine intensivierte sicherheitspolitische Kooperation inklusive schnellerer Militärlieferungen zu vereinbaren.

Zwischen Nord- und Südkorea hält der Waffenstillstand

Ein Unterschied zwischen dem Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und jenem zwischen Nord- und Südkorea ist, dass es in Korea seit Jahrzehnten keine Kampfhandlungen mehr gegeben hat. Selbst wenn offiziell Krieg herrscht, wird de facto eher damit gedroht. Zudem ist das nordkoreanische Atomwaffenarsenal deutlich kleiner als jenes von Russland. Würde Nordkorea tatsächlich eine Atomwaffe abfeuern, käme wohl prompt ein atomarer Gegenschlag der USA, was womöglich zu je mehreren Gegenschlägen führen würde. Indem die USA aber über ein deutlich größeres Arsenal verfügen, gilt es generell als unwahrscheinlich, dass Nordkorea dies wagen würde.

Gegenüber Russland sähe dies anders aus: Russland verfügt über etwas mehr Atomwaffensprengköpfe als die USA. So scheint die russische Ankündigung, Atomwaffen könnten eingesetzt werden, bedrohlicher als jene aus Nordkorea. Ultimativ aber geht es der Bundesregierung offenbar um eine Abwägung zwischen Geschäftsinteressen und geopolitischen Gefahren. In Erklärungsnot gerät sie mit ihrer Skepsis gegenüber den Lieferungen in die Ukraine dennoch. Aus dem Geschäft mit Südkorea haben entsprechende Bedenken keine so große Rolle gespielt.