Berlin. Wenn die Ukraine eine Waffe will, dann den „Taurus“. Alles über das militärische Objekt der Begierde. Kanzler Scholz stellt sich taub.
Deutschland ist laut Kieler Institut für Weltwirtschaft nach den USA der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine. Und doch muss sich die Bundesregierung immerzu wegen eines Systems rechtfertigen, das sie der Ukraine vorenthält: „Taurus“. Was kann das Waffensystem? Warum ist es so umstritten? Die wichtigsten Fragen im Überblick:
Wer blockiert die Lieferung des „Taurus“?
Wiewohl die Ampel-Parteien der Regierung in Kiew „weitreichende Waffen“ zugesichert haben, kommt eine Lieferung der „Taurus“-Marschflugkörper für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nicht infrage. Er sorgt sich, dass Deutschland direkt in den Ukraine-Krieg hineingezogen wird.
Wer stellt den „Taurus“ her?
Die Taurus Systems GmbH – sie sitzt in der bayrischen Kleinstadt Schrobenhausen – ist ein Gemeinschaftsunternehmen der MBDA Deutschland GmbH und des schwedischen Unternehmens Saab Dynamics AB. An MBDA sind wiederum unter anderem Airbus sowie eine große britische Rüstungsfirma (BAE Systems) und das italienische Raumfahrtunternehmen Leonardo beteiligt. Die Waffe ist nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei den Streitkräften in Südkorea und in Spanien im Einsatz.
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Warum ist die Ukraine so scharf auf den „Taurus“?
Die Regierung in Kiew hat im Mai 2023 um die Lieferung gebeten. Grundsätzlich kämpft Präsident Wolodymyr Selenskyi um jede Waffe, jedes Geschoss. Der Ukraine fehlt Munition, Munition und nochmal Munition. Aber: Beim „Taurus“ geht es nicht um die Quantität, sondern um die Qualität, um die Reichweite, rund 500 Kilometer. Der Marschflugkörper hätte für das ukrainische Militär zwei Vorteile. Zum einen würde die Luftwaffe größere Risiken vermeiden. Sie müsste sich nicht auf russisch kontrolliertes Fluggebiet wagen. Dank der Reichweite könnte man die Marschflugkörper aus größerer, sicherer Entfernung abfeuern. Zum anderen könnte sie Ziele hinter der Front, ja auf russischem Staatsgebiet angreifen: Kasernen, Waffendepots, Treibstofflager, Kommandozentralen. Das würde den Nachschub erschweren.
Was spricht neben der Reichweite für den „Taurus“?
„Taurus“ kann feindliches Radar mit hoher Geschwindigkeit – schätzungsweise 1100 Kilometer in der Stunde – in weniger als 50 Meter Höhe unterfliegen. Sehr schwer zu bekämpfen oder auch nur elektronisch zu stören, denn das System fliegt mit gleich vier voneinander unabhängigen Navigationssystemen. Nicht umsonst gilt es als einer der modernsten Flugkörper der Luftwaffe. Es hat eine enorme Zerstörungskraft, kann auch Bunkeranlagen durchbrechen. Beim Aufschlag sprengt eine Ladung eine Lücke in die Decke/Wand, erst danach explodiert das 480 Kilogramm schwere Sprengkopfsystem Mephisto. Aufgrund dieser Eigenschaft wäre die Ukraine mit dem „Taurus“ in der Lage, die Brücke zur Krim zu zerstören. Das ist der vermeintliche Wirkungstreffer, den die Ukraine herbeisehnt und den Scholz fürchtet, weil er nicht weiß, wie Kremlchef Wladimir Putin darauf reagieren würde.
Wie findet der Marschflugkörper sein Ziel?
Einmal abgeworfen, fliegt er durch einen Jet-Antrieb eigenständig weiter. Seine Flugroute wird laut Bundeswehr zuvor programmiert. Auf dem Flug orientiert er sich mittels Höhenradar und Infrarotsensoren an Wegmarken wie Brücken oder Flüssen. Am Zielort steigt er hoch, um danach senkrecht in das Objekt einzuschlagen.
Wie teuer ist der „Taurus“, wie schnell könnte er geliefert werden?
Die Bundeswehr verfügt seit 2005 über das System, schätzungsweise über 600 Marschflugkörper. Davon sollen mindestens 150 einsatzbereit sein. Taurus ist übrigens ein Akronym, es steht für „Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System“. Der „Taurus“ ist fünf Meter lang, einen Meter breit und 80 Zentimeter hoch. Er wiegt 1,35 Tonnen. Stückpreis: 950.000 Euro. Gerade hat der Produzent, ein deutsch-schwedisches Unternehmen, beispielsweise Südkorea beliefert. Freilich ist es mit der Lieferung nicht getan: Das Waffensystem muss programmiert und für die ukrainischen Flugzeuge modifiziert werden, etwa auf die F-16, die bald geliefert wird. Auch das Personal müsste geschult werden.
Ließe sich die Reichweite reduzieren?
Das ist technisch machbar. Denkbar ist auch, dass die Ukraine sich verpflichtet, die Waffe nur an der Front einzusetzen. Aber das wäre militärisch unsinnig. Die Ukraine will die Waffe je gerade, um die russische Logistik hinter der Front präzise treffen zu können. Über Raketen oder Marschflugkörper kürzerer Reichweite verfügt sie längst, etwa die britischen Storm Shadows (in Frankreich als Scalp bezeichnet). Es heißt, dass die Briten ihre Marschflugkörper selbst programmieren. Scholz legt Wert darauf, dass keine deutschen Soldaten in der Ukraine sein müssen, um das Waffensystem zu bedienen. Das ist technisch aber nicht zwingend.
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