Berlin/Potsdam. Bei einem Treffen in Potsdam schmieden AfD-Leute, Neonazis und Unternehmer Ideen für massenhafte Abschiebungen. Wie gefährlich ist das?
Es ist ein Ort, der Luxus und Diskretion ausstrahlt: das Landhaus Adlon. Eine prachtvolle Villa am Lehnitzsee bei Potsdam, mit schwerem Eingangstor, Hof und innen „Ambiente der 20er-Jahre“. Kunden können das ganze Haus mieten oder einen Teil. Das erklärt Direktor Thomas Gottschalk unserer Redaktion.
Den Gästen am 25. November 2023 habe er den Konferenzraum und den Speisesaal gezeigt. Wer komme, habe ihn nicht interessiert. Gottschalk sagt nur: „Wenn es bekannte AfD-Politiker gewesen wären, hätten wir abgesagt.“ Prominente AfD-Vertreter wie Parteichefin Alice Weidel kamen nicht. Dafür ihr Berater. Gottschalk sagte nicht ab. Es kamen noch andere – und sie hatten einen kruden, menschenverachtenden Plan.
Das, was die konspirative Runde laut Recherchen des Mediums „Correctiv“ an jenem Tag in dem Landhaus berät, ist vielleicht sogar strafbar. Jedenfalls heizt es die Debatte um ein Verbot der AfD an. Und die Diskussion darüber, wie gezielt extreme Rechte die Demokratie unterwandern.
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„Geheimtreffen“ von Rechten in Potsdam: Diskussion über „Masterplan“
Am 25. November treffen sich zwei Dutzend Personen. Rechtsextremisten, AfD-Politiker, ein Adliger, CDU-Mitglieder aus dem Zirkel der Werteunion und potente Unternehmer – es ist eine brisante Mischung aus Extremisten, Parteifunktionären, finanzkräftigen Spendern. Sie wollen sich ideologisch formieren, sich vernetzen, Geld sammeln für ihre extrem rechten Projekte.
Und sie entwerfen einen „Masterplan“ zur Abschiebung von Millionen Menschen aus Deutschland. Darunter vor allem Ausländer, aber auch Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft, die nicht in die Ideologie der Rechten passen. Die Teilnehmenden fabulieren gar über die Gründung eines „Musterstaates“ in Nordafrika, in dem die Vertriebenen leben könnten.
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Es ist ein kruder, rassistischer Plan – entworfen in einem Saal, ausgerechnet wenige Kilometer entfernt von einem anderen Gebäude: dem Haus am Wannsee, in dem die Führung der Nationalsozialisten 1942 die Vernichtung der Jüdinnen und Juden konkret organisierte. Was über das rechte Treffen bekannt ist.
Die Akteure des Geheimtreffens
Zentral ist der Gast, den der Organisator laut der Recherchen schon in der Einladung ankündigt: Martin Sellner, einer der führenden Köpfe der Identitären Bewegung (IB) – einer jungen, rechtsextremen Gruppierung, die vor allem mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen auffällt. 2016 schon kletterten sie auf das Brandenburger Tor und enthüllten ein Banner mit ihrer Propaganda. Sellner ist Österreicher, aber gut vernetzt in der deutschen Szene. So war auch Mario Müller, Anhänger der Identitären in Deutschland und verurteilter Gewalttäter, bei dem Geheimtreffen in Potsdam.
Mit in der dortigen Runde waren aber auch AfD-Mitglieder, durchaus ranghoch. Etwa Ulrich Siegmund, der Co-Chef der Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die AfD in dem Bundesland wird vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. Am Tisch im Konferenzraum des Hotels saß auch Gerrit Huy, Bundestagsabgeordnete der AfD. Laut dem Bericht soll sie bei dem Treffen im Hotel Sympathie für Sellners Abschiebepläne gezeigt haben.
Brisant ist ein weiterer Name auf der Liste: Roland Hartwig, der Spitzenjurist, früher auch beim Chemiekonzern Bayer, ist enger Vertrauter von AfD-Parteichefin Alice Weidel. Hartwig soll laut Medienberichten machtvoll in die Fraktion im Bundestag wirken – und könnte laut dem „Correctiv“-Bericht die Ideen der Tagung in die Partei tragen. Ein AfD-Sprecher weist den Vorwurf zurück: Hartwig sei von dem Vortrag von Sellner überrascht worden. Auch die Strategie der „Remigration“ werde von der Partei nicht übernommen.
Nicht nur die AfD war vor Ort bei dem Treffen im Landhaus Adlon. Auch die Union – in persona zweier Akteure der stramm konservativen Werteunion: Michaela Schneider, stellvertretende Bundesvorsitzende der Werteunion sowie Simone Baum, ebenfalls im Netzwerk der Werteunion.
Auch der Adel reiste laut Bericht nach Potsdam: Alexander von Bismarck, ein Nachfahre des früheren Reichskanzlers Otto von Bismarck. Vor Jahren war er für die CDU Bürgermeister in einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt. Heute lebt er mit seiner Familie im Schloss Döbbelin. Es ist eine traditionsreiche Melange: Schon im sogenannten Dritten Reich konnten die Nationalsozialisten auf die Hilfe eines Teils des deutschen Adels bauen.
Ein Name darf nicht unerwähnt bleiben: Gernot Mörig, der Organisator des Geheimtreffens von Potsdam. Lange Zahnarzt in Düsseldorf, fand er schon früh den Weg in die extreme Rechte: Einst war er sogar Vorsitzender des neonazistischen Bundes Heimattreuer Jugend.
Die „Remigrations“-Ideologie
Sicherheitsbehörden beobachten schon seit längerer Zeit, dass in der AfD einerseits kaum noch Scheu vor Kontakten mit Akteuren wie der rechtsextremen Identitären Bewegung besteht, andererseits der Einfluss mäßigender Stimmen in der Partei immer weiter abnimmt.
Als Reaktion auf die Enthüllungen verwies die AfD zwar auf ihr Parteiprogramm, in der Forderungen wie die „Remigration“ so nicht enthalten sind. Nach den Berichten über das Treffen in Potsdam bekannten sich allerdings einzelne AfD-Vertreter im Grundsatz offen zu den von Sellner vorgestellten Zielen. „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach“, erklärte der arbeits- und sozialpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, der Brandenburger René Springer, auf der Plattform X. Das sei kein Geheimplan. „Das ist ein Versprechen.“
Der Spitzenkandidat der Partei für die Europawahl, Maximilian Krah, nannte die Migration nach Deutschland eine „Zerstörung“ des Landes und versah ein Posting auf X mit dem Schlagwort „Remigration“. Im September überschrieb die AfD eine Pressemitteilung mit „Remigration statt noch mehr Asylchaos“.
Die AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Alice Weidel sprach sich erst kürzlich in der neurechten Zeitung „Junge Freiheit“ dafür aus, auch Menschen mit deutschem Pass abzuschieben. Sie wolle die Hürden für den „Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft“ senken.
Die Reaktionen aus der Politik
Politiker anderer Parteien zeigten sich alarmiert über das Treffen. „Wer sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, ist ein Fall für unseren Verfassungsschutz und die Justiz“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz auf X. Die Enthüllungen befeuerten die Debatte über ein mögliches Verbot der AfD. Die Hürden für ein Parteiverbot sind allerdings hoch. Bezweifelt wird zudem, dass es politisch klug sein könnte, eine AfD zu verbieten, die beispielsweise in Thüringen, Sachsen und Brandenburg in aktuellen Umfragen stärkste Kraft ist. In den drei Bundesländern wird im September gewählt.
SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert rief zum Engagement gegen die AfD auf. „Im Umgang mit der AfD dürfen wir uns nicht allein auf Nachrichtendienste und Justiz verlassen“, sagte Kühnert unserer Redaktion. „An alle gerichtet, die nicht wollen, dass sich Geschichte wiederholt, appelliere ich: Bekennen Sie Farbe und überlassen Sie das Feld nicht den Menschenfeinden!“
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