Berlin. Deutsch-Russen sollen für Putin spioniert haben. Wie anfällig ist die Community für Propaganda? Der Verfassungsschutz gibt Antwort.
Der lange Arm des russischen Regimes scheint in der 4000-Einwohner-Gemeinde Heinersreuth einen Verbündeten gefunden zu haben. Dieter S. soll nicht nur Fotos und Videos von Militärtransporten gemacht haben. Seine Kontaktperson steht laut Generalbundesanwalt in Verbindung mit dem russischen Geheimdienst. Grund genug für die deutschen Ermittler, Mitte April die Mietwohnung von Dieter S. nordwestlich von Bayreuth zu durchsuchen. Er und Komplize Alexander J. sollen für einen russischen Nachrichtendienst gearbeitet haben.
Es geht laut Vorwurf der Generalstaatsanwaltschaft um Spionage. Aber nicht nur das. Die Beschuldigten sollen eine Brandstiftung und einen Sprengstoffangriff vorbereitet haben – also Sabotage. Der Grund: Russlands Regime möchte die deutsche Ukraine-Unterstützung destabilisieren. Ein Fall, der mit der Einbestellung des russischen Botschafters nicht nur das Außenministerium auf den Plan ruft. Auch in den deutschen Sicherheitsbehörden ist die Unruhe groß.
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Die Spionage aus Russland habe zugenommen, auch seitdem Deutschland die Ukraine im Angriffskrieg gegen Putins Armee unterstützt. Russland führe einen „brutalen Angriffskrieg“, sagt der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, am Rande einer Tagung seiner Behörde in Berlin. Und dieser Staat scheue entsprechend nicht vor „brutalen Methoden“ bei der Spionage seiner Geheimdienste zurück. Wie real die Gefahr ist, zeigt die Festnahme der Deutsch-Russen Dieter S. und Alexander J.
Spionage: Deutsch-Russen müssen damit rechnen, „nachrichtendienstlich verstrickt zu werden“
Die Gruppe der Deutsch-Russen ist in den Augen der Dienste in Moskau schon länger ein Ziel von Anwerbeversuchen für Spionage. Schon im Jahresbericht 2003 hält der Verfassungsschutz fest, dass „vor allem Ausländer oder im Ausland lebende russische Staatsangehörige, die aus beruflichen oder familiären Gründen häufig nach Russland reisen“, verstärkt „im Blickfeld der russischen Dienste“ stünden. Personen aus der Community müssten damit rechnen, „nachrichtendienstlich verstrickt zu werden“.
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Abzugrenzen sind Deutsch-Russen von der Minderheit der Russlanddeutschen: „Wenn wir von Russlanddeutschen reden, dann meinen wir in der Regel die Nachfahren deutscher Siedler im russischen Reich und in der Sowjetunion“, sagt Jannis Panagiotidis von der Universität Wien dieser Redaktion. Der Bayerische Rundfunk bezieht sich auf Sicherheitskreise, wonach Dieter S. und Alexander J. dieser Minderheit angehören sollen.
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Verfassungsschutz: Deutsch-Russen sind „gewisses Reservoir“ für Putins Nachrichtendienste
Unter diesen deutschstämmigen Spätaussiedlern würden russische Nachrichtendienste „traditionell nach geeigneten Zielpersonen für eine geheimdienstliche Agententätigkeit“ forschen. Laut Verfassungsschutzbericht von 2003 werden Spätaussiedler „vereinzelt bereits vor ihrer Ausreise nach Deutschland nachrichtendienstlich angesprochen“.
20 Jahre später und mehr als zwei Jahre nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine scheint die versuchte Einflussnahme des Kremls auf hier lebende Russlanddeutsche ungebrochen. Natalie Pawlik, Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung sagt dieser Redaktion, dass Russlanddeutsche und russischsprachige Menschen der Desinformation und Propaganda in „besonderem Maße“ ausgesetzt seien. Laut Pawlik werden sie explizit als Zielgruppe adressiert.
„Daher ist es auch nicht auszuschließen, dass sich Einzelne in der Bundesrepublik lebende Russlanddeutsche und russischsprachige Menschen mit Russland solidarisieren und sich im Einzelfall sogar proaktiv für nachrichtendienstliche Aktivitäten andienen oder hierfür anwerben lassen“, so die SPD-Politikerin. Die Menschen seien für Propaganda besonders empfänglich, wenn sie russische Medien konsumieren. Verfassungsschutz-Chef Haldenwang nennt die deutsch-russische Gemeinschaft in Deutschland gar ein „gewisses Reservoir“ für Putins Nachrichtendienste.
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Fall Lisa zeigte die Wirkung russischer Desinformation
Den deutschen Behörden fallen außerdem starke Rekrutierungsversuche im Ausland auf: Russland spricht gezielt über den Messenger-Dienst Telegram Aussiedler in den baltischen Staaten und Polen an. In den Kanälen werben staatliche russische Stellen offenbar mit „Jobangeboten“. Die Erzählungen decken sich mit der Einschätzung deutscher Sicherheitsbehörden, dass die russischen Agenten in vielen Fällen wenig konspirativ vorgehen – anders als Spionage aus China. Im Gegenteil: Oft soll die russische Geheimdiensttätigkeit sogar als Akt der Machtdemonstration sichtbar sein.
Bereits 2014 hat Deutschland die destruktive Wirkmacht einer Desinformationskampagne erlebt, bei der offenbar gezielt auch die deutsch-russische Gemeinde ins Kalkül gezogen wurde: Das russlanddeutsche Mädchen Lisa F. war als vermisst gemeldet worden. Gezielt gestreute Gerüchte machten die Runde, sie sei Opfer einer Vergewaltigung durch Geflüchtete.
Und die Desinformation wirkte: Tausende gingen auf die Straße – darunter etliche Russlanddeutsche. Autokorsos gegen eine angebliche Russophobie nach Beginn des Krieges gegen die Ukraine passten Jahre später ins gleiche Muster. Johann Thießen von der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland fordert deswegen, russische Propaganda in Form von Fernsehsendern zu verbieten.
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Warnung vor Stigmatisierung und Generalverdacht
Damals ebbten die Proteste schnell ab, als klar wurde, dass der Fall „Lisa“ erfunden war und sich anders zugetragen hatte. Viele wollten sich eben nicht instrumentalisieren lassen, sagt ein Mitarbeiter in einer deutschen Sicherheitsbehörde dazu. Aussiedlerbeauftragte Pawlik warnt in der aktuellen Lage daher vor Stigmatisierung. „Erneut werden die Russlanddeutschen ganz genau beäugt und teilweise auch unter Generalverdacht gestellt, was ein absolutes No-Go ist“, sagt Thießen.
Der Verfassungsschutz beobachte die Gruppe der Deutsch-Russen nicht insgesamt. Einzelne hätten „hohe Sympathie“ für Putin, so Haldenwang. Und diese Individuen sorgten für ein negatives Image bei den Russlanddeutschen, seitdem das russische Augenmerk auf die Ukraine fiel.
Bereits nach der Annexion der Krim kämpften Medienberichten zufolge über hundert russlanddeutsche Bundeswehrveteranen als Söldner im Donbass gegen die Ukraine. Auch Dieter S. soll laut Generalbundesanwaltschaft bis 2016 in der Ostukraine gekämpft haben. „Dass viele Russlanddeutsche in der Bundeswehr waren, hat mit der Selbstverständlichkeit des Dienens zu tun“, sagt Panagiotidis. Außerdem sei beim Bund eine unkomplizierte Karriere möglich, die bei einem Misserfolg eben auch als Söldner weitergeführt werden könne.
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20 Prozent der Russlanddeutschen prorussisch eingestellt
Panagiotidis geht davon aus, dass um die 20 Prozent der Community in Deutschland stark prorussisch eingestellt seien. Vor allem die 30- bis 40-Jährigen „definieren ihr Heimatgefühl um“, so Panagiotidis, da sie als Jugendliche in den 90er Jahren nicht aus freien Stücken ihre Heimat verlassen haben. Auch Dieter S. und Alexander J. gehören dieser Generation an, die sich stark „reidentifiziert“.
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Mit Blick auf die Gesamtheit der hier lebenden Russlanddeutschen spricht Panagiotidis aber von einer ökonomisch gut integrierten Gruppe mit niedriger Arbeitslosigkeit. 2,66 Millionen Menschen mit russischem oder kasachischem Migrationshintergrund leben laut Mikrozensus in Deutschland. Wie viele davon Russlanddeutsche sind, wird nicht erhoben. „Man kann es nicht oft genug betonen, dass nicht alle Russlanddeutsche Putinanhänger sind, nicht alle sind AfD-Wähler, nicht alle befürworten den Krieg“, so Interessensvertreter Thießen.
Bei 15 bis 20 Prozent liege die AfD-Affinität, so Panagiotidis. Also auf ähnlichem Niveau, wie die Wahlumfragen für die AfD insgesamt in Deutschland. Die prorussische Politik der rechten Partei spiele dabei eine Rolle. Schlagzeilen machte zuletzt ein Mitarbeiter des Bundestagsabgeordneten Eugen Schmidt. Er ist Landesbeauftragter für Russlanddeutsche der AfD Nordrhein-Westfalen – und soll Kontakte zum FSB gehabt haben.
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