Berlin. „Reporter ohne Grenzen“ legt ein Ranking zu Gefahren für Medienschaffende vor. Unsere Korrespondenten berichten, wie es ihnen ergeht.
An dieser Stelle sollten zum Tag der Pressefreiheit am 3. Mai eigentlich drei Erfahrungsberichte von freien Korrespondenten stehen. Die Kollegen aus Moskau, Kiew und Peking sollten zu Wort kommen und berichten, ob und wie ihre Arbeit behindert wird. Nun, der Kollege aus China lehnte direkt ab – viel zu gefährlich, selbst unter Pseudonym. Bezeichnend für die Lage der Pressefreiheit im Land.
Im neuesten Ranking der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ zur Pressefreiheit belegt China Platz 172 von 180. „In keinem Land sitzen mehr Medienschaffende im Gefängnis, derzeit sind es mindestens 108“, schreibt die Organisation in ihrem Bericht. Im Jahr 2020 war die Journalistin Zhang Zhan wegen ihrer Berichterstattung über die frühe Phase der Corona-Pandemie inhaftiert worden. Nun soll sie voraussichtlich Mitte Mai freikommen. Dass sie über ihre Zeit im Gefängnis wird berichten können, ist nahezu ausgeschlossen.
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Pressefreiheit: Ein Land verschlechtert sich dramatisch
Doch es ist nicht nur China, das weit abgeschlagen liegt. Am schlimmsten ist die Lage für Medienschaffende in
- Eritrea (Platz 180)
- Syrien (Platz 179)
- Afghanistan (Platz 178)
- Nordkorea (Platz 177)
- Iran (Platz 176)
- Turkmenistan (Platz 175)
- Vietnam (Platz 174)
- Bahrain (Platz 173)
- China (Platz 172)
- Myanmar (Platz 171)
- Ägypten (Platz 170)
Vor allem in Afghanistan hat sich die Situation gegenüber dem Vorjahr noch einmal verschlechtert: Im Ranking 2023 hatte das Land noch den 152. Platz belegt. „Unter den regierenden Taliban wurden im vergangenen Jahr drei Journalisten getötet, mindestens 25 Medienschaffende saßen zwischenzeitlich im Gefängnis“, heißt es bei „Reporter ohne Grenzen“. Journalisten müssten ständig damit rechnen, durch Sicherheitskräfte der Taliban festgenommen zu werden. Vor allem Journalistinnen könnten durch die strengen Kleiderregeln und andere Einschränkungen nicht frei arbeiten.
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Am besten können Journalisten dagegen in Skandinavien recherchieren. Norwegen liegt zum achten Mal in Folge auf Platz eins. Dort sind die Medien sehr unabhängig von der Politik, die Informationsfreiheit ist gesetzlich verankert und die Medienlandschaft ist traditionell sehr vielfältig. Dänemark (Platz 2) und Schweden (3) stehen ähnlich gut da.
Deutschland steigt von Platz 21 auf Platz 10 – allerdings primär, weil es weniger körperliche Angriffe auf Journalisten gab, etwa bei Demos von Verschwörungstheoretikern. „Reporter ohne Grenzen“ geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus. Die Zahl der Übergriffe habe seit der Pandemie massiv zugenommen – 2019 seien es nur 13 gewesen. Vermehrt würden Angriffe am Rande von Anti-Israel-Demos verzeichnet, aber auch die Blockade von Druckereien durch Landwirte in mindestens fünf Bundesländern sei ein „klarer Angriff auf das Recht auf Information“.
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Russland: Keine Zensur – aber es gilt, vorsichtig zu sein
Aus Russland (Platz 162) berichtet unser freier Kollege Jo Angerer. Das ist sein persönlicher Report:
Zuerst die gute Nachricht: Alles, was Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrer Zeitung aus Moskau lesen, ist so genau wie möglich recherchiert, bewertet und geschrieben. Meine Artikel aus Russland sind nicht zensiert. Vor Veröffentlichungen müssen sie keiner Behörde in Moskau vorgelegt werden.
Allerdings: „Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst“, heißt es in einem alten Spruch. Gesetzgebung und Propaganda von beiden Seiten machen die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg schwierig. Das sogenannte Fake-News-Gesetz gilt auch für uns Auslandskorrespondenten. Die Verbreitung sogenannter „Falschinformationen über die russischen Streitkräfte“ kann mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden. Dieses Gesetz hat in aller Härte bereits viele russische Kollegen getroffen. Unabhängiger Journalismus existiert in Russland kaum noch.
Für mich als Auslandskorrespondenten bedeutet das Gesetz: Verwendung ausschließlich westlicher Quellen geht nicht. Beide Seiten zitieren, das geht. Und ist eigentlich journalistischer Standard. Quellen sind auch die zahllosen Militärblogs und Portale im Netz, die bewertet werden müssen. Was ist Propaganda, was ist Wahrheit? Schwierig.
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Als Korrespondent kann ich mich im Land frei bewegen. So waren zum Beispiel eine Reise auf die Halbinsel Krim und die Arbeit dort problemlos möglich, sicherlich von den Behörden beobachtet, aber ohne Konsequenzen für mich. Berichterstattung von der Front wäre möglich – aber nur unter strenger Kontrolle durch Presseoffiziere der russischen Armee. Arbeiten unter dieser Bedingung lehne ich ab.
Im journalistischen Alltag allerdings gibt es andere Schwierigkeiten. Die sogenannte Akkreditierung, also die Arbeitserlaubnis, muss für Korrespondenten aus „unfreundlichen Staaten“ alle drei Monate neu beantragt werden. Vor dem Ukraine-Krieg reichte einmal pro Jahr. Mit der Akkreditierung wird jeweils ein neues Visum erteilt, dann erfolgt eine neue Registrierung am Wohnort. Alles in allem: Bürokratie pur. Kopien Dutzender Dokumente müssen alle drei Monate erneut vorgelegt werden. Und: Jederzeit kann die Akkreditierung abgelehnt werden. Das würde Ausreise innerhalb kürzester Zeit bedeuten. Bislang gibt es allerdings keine Anzeichen, dass dies geschehen könnte.
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Ukraine: Düstere Befürchtungen erfüllten sich nicht
In der Ukraine (Platz 61) sitzt unser freiberuflicher ukrainischer Kollege Denis Trubetskoy. Er zieht ein bemerkenswertes Fazit:
Als am Morgen des 24. Februar 2022 russische Raketen auf Kiew fielen, war einer meiner Gedanken: Das war‘s jetzt bis auf Weiteres mit jeglicher Meinungs- und Pressefreiheit. Denn Krieg bedeutet natürlicherweise Kriegsrecht – und das gibt den Behörden große Einschränkungsmöglichkeiten. Man kann nicht behaupten, dass Journalisten in der Ukraine vor dem Überfall ungefährlich gelebt haben. Doch es gab eine Pluralität, in der alles erlaubt war, was nicht gerade die territoriale Integrität des Staates infrage stellte.
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Meine Befürchtungen haben sich nicht erfüllt. Hand aufs Herz: Mein rein journalistisches Leben hat sich im Vergleich zum Januar 2022 gar nicht so sehr verändert. Dass es sicherheitsbedingte Einschränkungen gibt, wie das Verbot, die Bewegungen der ukrainischen Armee zu filmen, hinterfragt eigentlich niemand. Ebenfalls versteht sich, dass nicht jeder Journalist Zugang zu direkten Frontgebieten kriegt. In der Praxis gibt es andere Probleme – die Pressereferenten bei verschiedenen Einheiten und Truppengattungen sind fachlich nicht alle gleich fit. Das ist eine größere Herausforderung als das Kriegsrecht, welches um Welten härter eingesetzt werden könnte.
Besucht man beliebte ukrainische Medien wie die „Ukrajinska Prawda“ oder „NV“, hat man zudem längst das Gefühl, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein Team nicht weniger kritisiert werden als vor dem russischen Angriff. Die Innenpolitik spielt aktuell eine nachrangige Rolle. Neben vielen gesellschaftlich relevanten Debatten gibt es zahlreiche Recherchen über Korruption. Eine davon hat im September 2023 zu großen Veränderungen an der Spitze des Verteidigungsministeriums geführt.
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Gerade Investigativjournalisten arbeiten allerdings nicht risikofrei. Vor einigen Monaten flog auf, wie eine Abteilung des Inlandsgeheimdienstes SBU die Journalisten des Projektes „Bihus.Info“ ausspioniert hatte. Mit Konsequenzen: Selenskyj reagierte rasch darauf in einer Rede, die entsprechende Abteilung wurde aufgelöst. Kurzum, die Pressefreiheit und der Krieg passen nicht wirklich zueinander. Trotzdem bin ich positiv überrascht worden.