Berlin. Der neue Premierminister Montenegros wirbt in Deutschland für den schnellen EU-Beitritt seines Landes – und findet klare Worte zum Balkan.
Milojko Spajic (36) ist seit Oktober 2023 Premierminister von Montenegro. Das kleine Land mit rund 600.000 Einwohnern strebt in die Europäische Union. Nach einer Hängepartie, in der auch Brüssel den Beitrittsprozess über Jahre hat schleifen lassen, kommt nun neues Tempo auf. Im Interview erklärt Spajic, wie er den Einfluss Russlands und Chinas auf dem Balkan zurückdrängen will.
Herr Premierminister, was hören Sie am häufigsten, wenn Sie zu Hause in Montenegro über die EU sprechen?
Milojko Spajic: Die EU genießt ein sehr gutes Image in meinem Land. Mehr als 80 Prozent der Menschen sind für den EU-Beitritt, das ist quasi Konsens. Die Leute sind bereit für ein paar harte Reformen. Die letzten sechs Monate belegen das – wir haben einen riesigen Schritt nach vorn gemacht. Aus der EU hören wir: In dieser kurzen Zeit habt ihr mehr erreicht als andere in sechs Jahren. Nur wegen der immensen Unterstützung durch die Montenegriner kommen wir so schnell voran.
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Es hat sehr lange gedauert, bis Montenegro konkrete Schritte im Beitrittsprozess seitens der EU gesehen hat ...
Ja, es gibt durchaus eine leichte Ermüdung, wenn die Leute sich die europäische Realität anschauen. Deswegen heißt meine Partei „Europa jetzt“. Wir wollen jetzt europäische Standards – und zwar nicht nur bei den Gehältern, sondern auch bei der Rechtsstaatlichkeit und beim Lebensstil. Die Menschen haben es satt, darauf zu warten.
Wann wird Montenegro der EU denn nun beitreten?
Wir werden hoffentlich im Jahr 2026 vollständig bereit sein. Mit den bürokratischen Erfordernissen auf EU-Ebene halten wir 2028 für realistisch.
Welche Baustellen hat Montenegro noch vor sich?
Wir waren ja regelrecht berühmt dafür, Probleme mit dem Rechtsstaat zu haben. Wie Sie wissen, hat der gesamte Balkan dieses Image gehabt. Aber die jüngsten Verbesserungen wurden sogar vom EU-Justizkommissar gelobt. Demnach will er Montenegro künftig dem Rechtsstaatlichkeitscheck unterziehen, den die EU-Mitgliedstaaten regulär durchlaufen. Wir haben das gern akzeptiert, denn wir scheuen die Transparenz nicht. Der zweite Punkt ist für uns natürlich die rasche EU-Integration – die wiederum auf der Rechtsstaatlichkeit aufbaut. Baustelle Nummer drei ist das Wirtschaftswachstum, das ebenfalls vom funktionierenden Rechtsstaat abhängt. Hoffentlich gibt die EU uns im Juni eine positive Rückmeldung, wenn geprüft wird, ob wir die gesteckten Zwischenziele erreicht haben. Unsere Bürgerinnen und Bürger müssen spüren, dass der Staat fair zu ihnen ist, dass es in ihrem Leben von Staatsseite her gerecht zugeht und dass die Wirtschaft boomt. Mit der offiziellen EU-Anerkennung unserer Zwischenziele hätten auch Investoren mehr Mut, große Summen in unser Land zu investieren.
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Brauchen Sie mehr Unterstützung, um diese Ziele zu erreichen?
Absolut. Deutschland kann uns helfen, den anderen EU-Mitgliedern klarzumachen, dass Montenegro ein guter Beitrittskandidat ist. Doch die Bundesregierung kann uns auch in technischen Fragen unterstützen: Wir haben die Bundespolizei und das Bundesinnenministerium gebeten, uns bei der Ausbildung der Polizei zu helfen. Das ist wichtig für uns, denn darauf kommt es an. Die Polizeistrukturen müssen sich an Recht und Gesetz halten, es gibt keinen Platz für Korruption.
Die Beitrittsverhandlungen mit Montenegro begannen im Jahr 2013, seitdem hätte deutlich mehr passieren können. Sind Sie sehr enttäuscht, dass die Ukraine sich auf der Überholspur zum EU-Beitritt befindet, während Montenegro so lange warten musste?
Das werde ich oft gefragt. Wir sehen die Ukraine, Moldau und Georgien als unsere östlichsten Nachbarn auf dem Westbalkan. Ihr Erfolg ist doch auch der Erfolg aller liberalen Gesellschaften in Europa. Jedes Land, das die notwendigen Reformen durchzieht, sollte konsequenterweise der EU beitreten können.
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Diese Länder blockieren Montenegro nicht?
Nein, sie kommen sehr schnell voran und wurden innerhalb kurzer Zeit zu Beitrittskandidaten. Das ist doch gut! Es liefert dem EU-Erweiterungsprozess ganz neue Energie – erinnern Sie sich nur an all die Skeptiker, die meinten, die EU sollte sich nicht weiter vergrößern. Nun denken sie anders: Ja, lasst neue Länder herein, aber stellt sicher, dass sie die Bedingungen erfüllen. Montenegro tut das gern – letztlich profitieren vor allem unsere eigenen Bürger davon.
Was bedeutet Ihnen die EU?
Wir sehen die Union auf eine spezielle Weise: Zunächst einmal sind es Werte, wie etwa die Außenpolitik. Wir sind schon seit mehr als zehn Jahren außenpolitisch auf einer Linie mit der EU-Außenpolitik. Niemand in der EU muss sich vor einem Veto von uns fürchten! Der zweite Punkt ist – mal wieder – die Rechtsstaatlichkeit, ein ganz wichtiger Wert. Und schließlich ist es der EU-Binnenmarkt: Für Montenegro ist es entscheidend, daran teilzuhaben.
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Welche Vorteile erwarten Sie?
Wir sind ein kleines Land von 600.000 Einwohnern – Investoren fragen uns manchmal: Eine halbe Million oder eine halbe Milliarde? Anders als manch andere Länder halten wir Finanzierung und Investments durch die EU nicht für das Wichtigste. Zu dem Zeitpunkt, wenn wir tatsächlich beitreten, könnten wir sogar schon den EU-Durchschnitt bei Löhnen und Gehältern erreicht haben. Wir könnten sogar zum Nettozahler von EU-Hilfen werden statt zum Nettoempfänger!
Korruption war lange Zeit eine der größten Hürden. Haben Sie nennenswerte Fortschritte im Kampf dagegen gemacht?
Ja. Wir haben einen Richterrat nominiert, der neun Jahre lang unbesetzt war. Dadurch gab es fast ein Jahrzehnt lang niemanden, der die Richterschaft im Land gedrängt hätte, ihre Arbeit richtig zu machen! Wir haben außerdem einen Generalstaatsanwalt ernannt, mit 75-prozentiger Zustimmung durch das Parlament. Zwei frühere Polizeidirektoren wurden bereits festgenommen, ebenso mehrere Vizepolizeidirektoren und ein früherer Sonderstaatsanwalt. Im Dezember haben wir ein strenges Gesetz zur Eindämmung von Geldwäsche verabschiedet. Man kann jetzt nichts wirklich Wertvolles mehr mit Bargeld bezahlen. Noch vor zehn Jahren verkauften montenegrinische Mafia-Bosse Drogen in Deutschland, kamen mit dem Bargeld nach Hause und kauften sich Häuser und Wohnungen. Das kommt nicht mehr vor. Wenn das keine Ergebnisse sind, weiß ich auch nicht mehr.
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Allerdings spuken die Geister der Vergangenheit immer noch herum, besonders wenn man Ihr Verhältnis mit Serbien betrachtet ...
Das ist wahr – wir hatten 25 Jahre lang eine dramatische Polarisierung der Gesellschaft. Bitte bedenken Sie, es gibt Montenegriner, Serben, Kroaten, Bosniaken und Albaner in unserem Land. Russland hat da oft reingegrätscht und versucht, sich bei unseren ethnischen Gruppen einzumischen. Es spricht dann von „bedrohten Volksgruppen“ – wer auch immer die sein mögen. Das Muster ist glasklar: Es geht Russland nur darum, Chaos zu stiften.
Wie gehen Sie damit um?
Als meine Regierung im Oktober ins Amt kam, haben wir alle ethnischen und religiösen Gruppen an einem Tisch versammelt. Sie präsentierten ihre Ideen zur Volkszählung und zum Schutz ihrer Rechte – und wir haben das alles umgesetzt. Nun hat niemand mehr einen Grund, sich über die Volkszählung zu beschweren oder zu behaupten, man sei gefährdet. Alle Ethnien sind im Parlament und in der Regierung vertreten. Als die jüngste Volkszählung im Dezember abgeschlossen wurde, interessierte sich niemand mehr für ethnische Fragen. Diese Einigkeit ist die Grundlage, die uns diese massiven Reformen ermöglicht. Unsere Diversität ist unser Bonus und kein Klotz am Bein – das ist ziemlich selten auf dem Balkan.
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Könnte Serbien Montenegro noch daran hindern, der EU beizutreten?
Wir lieben Serbien. Es ist unser Nachbarland und ein wichtiger Handelspartner. Rund 40 Prozent der Touristen sind ethnische Serben. Es ist uns sehr wichtig, gute Beziehungen zu Serbien zu pflegen. Wir werden allerdings unsere strategischen Ziele, unseren europäischen Pfad, die Nato-Mitgliedschaft und die Anerkennung des Kosovo nicht aufgeben. Wir werden dabei helfen, Serbien und die anderen Westbalkanstaaten dichter an Europa heranzubringen.
Das klingt ein bisschen, als wäre Montenegro im Dornröschenschlaf gewesen, bis Sie ins Amt kamen.
Sehen Sie, ich glaube wirklich an dieses Land. Deswegen habe ich meinen lukrativen Job in Singapur aufgegeben, wo ich jeden Tag auf den Hafen geblickt habe. Ich habe das Gefühl, dass wir hier wirklich etwas erreichen und einen Wandel für die gesamte Region herbeiführen können. Mit der ethnischen Vielfalt, die alle postjugoslawischen Staaten haben, können wir ein Exempel statuieren, wenn wir Erfolg haben. All das ist viel größer als unser kleines Montenegro.
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Welche Ängste haben Sie, wenn Sie an die nächsten Jahre mit Wladimir Putin denken?
Ich bin nicht sicher, wie die Strategie der Russen aussieht oder welche Schritte sie als Nächstes unternehmen. Nichtsdestotrotz denke ich, dass Europa besser als je zuvor in der Lage ist, damit umzugehen. Ehrlich, uns tun die Menschen in Russland leid. Montenegro ist ihnen nicht feindlich gesinnt – in unserem Land leben etwa 10.000 Russinnen und Russen, die meisten von ihnen sind vor dem Regime geflohen.
Kritiker sagen, durch die Untätigkeit der EU in den vergangenen Jahren habe sich der Einfluss Russlands und Chinas auf dem Balkan stark ausbreiten können. Stimmen Sie zu?
Leider ja. Allerdings hat sich auch in Brüssel vieles geändert. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung finanziert nun teilweise den zweiten Teil einer großen Autobahn, während der erste vor zehn Jahren von China ermöglicht wurde. Der EU-Wachstumsplan ist eine tolle Möglichkeit, auch wenn manche finden, es sei zu wenig und zu spät mit Blick auf die steuerlichen Auswirkungen. Doch der Plan ist mehr als das. Es geht hier um die Reformen, die wir anschieben, um dem EU-Binnenmarkt beizutreten. Der Wachstumsplan kann uns dahin bringen.
Sie haben die Autobahn unter Beteiligung Chinas erwähnt. War das ein Fehler?
Ich hätte dem Vertrag nicht zugestimmt. Doch zu der Zeit argumentierte die Regierung, wir müssten die Infrastruktur ausbauen und dafür Partner finden. Es geht gar nicht darum, dass sie das Geld genommen haben, sondern wie sie mit den Chinesen verhandelt haben. Der große Fehler unserer Regierung war, dass sie unsere Küste und manche der strategisch wichtigen Häfen als Absicherung für die Investition der Chinesen rausgegeben haben. Wir hätten diese Bedingungen nicht hinnehmen dürfen.
Die montenegrinische Küste ist auch bei Touristen sehr beliebt. 21 Prozent des Bruttoinlandsproduktes kommen aus diesem Sektor. Haben Sie persönliche Lieblingsorte?
Niemand, der nach Montenegro kommt, sollte die Bucht von Kotor auslassen. Ein Fleckchen wie ein norwegischer Fjord, aber mit mediterranem Einschlag. Wir haben außerdem die tiefste Schlucht in Europa und einen Regenwald. Ehrlich gesagt haben wir wirklich viel zu bieten.