Brüssel. Ein neues EU-Gesetz für weniger Verpackungsmüll greift in den Alltag ein. Die Regeln für Supermarkt oder Kosmetik: Was Experten sagen.
Sie zählen für viele Reisende zum liebgewordenen Komfort, aber demnächst ist Schluss damit: Shampoo-Fläschchen, Döschen mit Bodylotion oder Duschgel im Hotel-Badezimmer wird es bald nicht mehr geben. Die Europäische Union verbietet die Mini-Kosmetikartikel, wie sie im Hotel von vielen Gästen auch gern mal mit nach Hause genommen werden, obwohl das streng genommen nie erlaubt war, weil es sich um Hotelausstattung handelt.
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Was banal klingen mag, steht als Symbol für eine Reihe empfindlicher Eingriffe in die Konsumgewohnheiten der Bürger: Die EU will mit strengen Vorgaben die Verpackungsmüll-Lawine eindämmen, ob beim Einkauf am Obststand, bei der Tasse Kaffee unterwegs oder am Burger-Imbiss. Das EU-Parlament wird das entsprechende Gesetz am Mittwoch endgültig beschließen. Verabschiedet werden im Laufe der Woche auch weitere Gesetze für ein Ende der Wegwerf-Mentalität – etwa ein Recht auf Reparatur. Zusammen eine kleine Revolution für mehr Nachhaltigkeit.
Deutschland ist Spitzenreiter bei Verpackungsmüll
Der Kampf gegen Verpackungsmüll ist besonders in Deutschland dringlich: Trotz aller Appelle und viel Recycling fielen laut Statistischem Bundesamt zuletzt jährlich 237 Kilo pro Kopf an Verpackung aus Kunststoff, Glas oder Pappe an, ein Viertel mehr als noch vor 15 Jahren. Deutschland ist damit in Europa Spitzenreiter, der EU-Durchschnitt liegt bei 189 Kilo, auch dies mit steigender Tendenz.
Die Gründe sind vielfältig: „Die Deutschen haben eine sehr große Kaufkraft und konsumieren viel“, sagt Thomas Fischer von der Deutschen Umwelthilfe unserer Redaktion. „Der Boom von Online-Handel und Lieferdiensten sorgt für mehr Verpackungen, die Menschen sind mehr unterwegs, dazu gibt es den Trend zu kleinteiligeren Produkten und vorportionierten Lebensmitteln.“ Jetzt steuert die EU mit einer Verpackungsverordnung um: Europaweit sollen bis 2030 mindestens 5 Prozent weniger Verpackungsmüll anfallen, 2040 sogar 15 Prozent weniger. Generell müssen von 2030 an alle Verpackungen recycelbar sein, mit Ausnahmen etwa für Milch oder Wein.
Beispiele für die Änderungen: Im Supermarkt werden für Obst und Gemüse die leichten Plastiktüten verboten und bei Mengen unter 1,5 Kilo auch alle Plastikeinwegpackungen. Schrumpffolien für Koffer an Flughäfen werden untersagt. In der Gastronomie werden Einzelverpackungen aus Plastik, wie sie für Kaffeesahne, Ketchup und Mayonnaise verwendet werden, nur noch für Takeaway erlaubt sein, nicht mehr im Lokal. Das Zuckertütchen aus Papier darf dagegen weiterverwendet werden, gleiches gilt für Salz und Pfeffer – ein Kompromiss, für den in Brüssel der CDU-Umweltpolitiker Peter Liese gekämpft hatte. Hinzu kommt mehr Klarheit, wie Plastik, Glas und Papier zu entsorgen sind: Jede Verpackung soll künftig ein Label tragen, auf dem deutlich angezeigt wird, welche Mülltonne die richtige ist – die Tonne wird das Label ebenfalls tragen.
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Coffeeshops oder Fastfood-Läden sollen künftig Getränke und Speisen nicht mehr in Einwegbehältern ausgeben dürfen, wenn die Kunden ihren Flat White oder ihren Burger vor Ort konsumieren. Außer Haus müssen sie schrittweise auf Mehrwegsysteme umsteigen. In Deutschland gibt es allerdings schon seit gut einem Jahr die Pflicht, beim Take-away-Verkauf Speisen und Getränke auch in Mehrwegverpackungen anzubieten, jedoch mit vielen Ausnahmen.
Gastronomen müssen laut EU-Gesetz akzeptieren, wenn Kunden für die Mitnahme von Speisen eigene Behälter mitbringen. Für Transportverpackungen aus Kunststoff wird eine Mehrwegquote eingeführt, für Versand-Pakete eine Grenze von höchstens 40 Prozent Leerraum. Das in Deutschland schon bestehende Pfandsystem auf Einwegplastikflaschen und Aluminiumdosen soll künftig in der ganzen EU kommen.
Kritik an dem Gesetz: „Ein Einwegsystem wird durch ein anderes ersetzt“
Schließlich werden Plastikhersteller verpflichtet, in der Produktion einen bestimmten Anteil von recyceltem Plastik, das sogenannte Rezyklat, zu verwenden. Besonders diese Vorschrift sei gut und „schon ein Wumms“, lobt Thomas Fischer von der Umwelthilfe, auch wenn er sich eine schnellere Umsetzung gewünscht hätte. Und: „Dass die EU klare Ziele für die Reduzierung der Abfallmengen festlegt, ist ein echter Fortschritt. Eine Reduzierung um 5 Prozent bis 2030 mag wenig klingen, aber in Deutschland bedeutet das eine Million Tonnen Abfall weniger – pro Jahr. Leider gibt es aber zu viele Ausnahmen, sodass die Vorgabe ins Leere laufen könnte.“ Dass sich die EU auf Verpackungen aus Kunststoff fokussiere und in den Vorschriften Pappe und Papier außen vor lasse, sei indes ein Fehler. „So wird ein Einwegsystem durch ein anderes ersetzt.“
Umweltpolitiker Liese hält dagegen gerade diese Lösung für einen großen Erfolg: „Papier ist nachhaltiges Material, das anders als Plastik auch die Meere nicht verschmutzt“, sagt der EU-Abgeordnete. Insgesamt sei aus einem anfangs „bürokratischem Monstrum“ in den Beratungen ein ausgewogenes Gesetz mit pragmatischen Kompromissen ohne übertriebene Verbote geworden. Seine SPD-Kollegin Delara Burkhardt sagt: „Ein wichtiger Schritt hin zu einer nachhaltigeren Zukunft für Europa – mehr Umweltschutz, weniger Müll und stärkere Verbraucherrechte.“
Beim Handelsverband HDE ist die Einschätzung durchwachsen: „Der Handel unterstützt das Ziel, den Verpackungsmüll zu reduzieren“, sagt Antje Gerstein, HDE-Geschäftsführerin für Europapolitik, unserer Redaktion. Doch bei den Verpackungsverboten etwa für Obst und Gemüse hätte sich der Handel mehr Augenmaß gewünscht. Schließlich gehe es auch um einen Schutz, damit die Ware frisch und unbeschädigt bleibe.
Nachhaltige Produkte sollen zur Norm werden
Nicht nur bei Verpackungen tritt die EU auf die Bremse. Mit einer neuen Ökodesign-Verordnung, die das Parlament am Dienstag beschließen wird, wird es Händlern und Herstellern verboten, unverkaufte Textilien und Schuhe zu vernichten – eine Praxis, die sich vor allem durch den Internet-Handel ausgebreitet hat.
Ein neuer „digitaler Produktpass“ wird Informationen über die ökologische Nachhaltigkeit von fast allen Produktgruppen wie Geschirrspüler, Fernsehgeräte über Smartphones bis zu Schuhen und Textilien oder Möbeln enthalten – es geht also nicht nur um Energieverbrauch, sondern auch um Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Wiederverwendbarkeit oder Reparierbarkeit. Nachhaltige Produkte mit längerer Lebensdauer sollen so in der EU zur Norm werden.
Schließlich werden die EU-Abgeordneten am Dienstag das Recht auf Reparatur gesetzlich verankern. Damit soll die Reparatur von Waren während der gesetzlichen Gewährleistungsfrist und darüber hinaus erleichtert werden. Verbraucher können dann auch direkt von Herstellern die Reparatur von Produkten verlangen, die nach EU-Recht technisch reparierbar sind (etwa Waschmaschinen, Staubsauger oder Mobiltelefone). Die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini, Chefin des Binnenmarktausschusses, wirbt seit Langem für die Neuregelung: „Reparieren ist aktiver Klimaschutz.“