Washington. Würde Joe Biden frühzeitig abtreten, wäre Harris die neue US-Präsidentin. Sie war lange Zeit verhasst. Wendet sich jetzt das Blatt?
Wer permanent beweisen will, dass mehr in ihr steckt, als die Außenwelt sich entschieden hat zu glauben, macht fast zwangsläufig Fehler. So ergeht es auch Kamala Harris, der US-amerikanischen Vizepräsidentin. Sie ist der prominenteste Gast der am Freitag in München beginnenden 60. Sicherheitskonferenz – und ihre jüngste Aussage darf man als Fauxpas werten.
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In einem ihrer rar gesäten Interviews hatte Kamala Harris, die eine stattliche Delegation aus Parlamentariern aus Washington anführt, im Lichte der neuen Zweifel an der mentalen Robustheit von Joe Biden gegenüber dem „Wall Street Journal” eine Selbstverständlichkeit betont. Nämlich, dass sie sich (im Fall der Fälle – sprich: Bidens vorzeitigem Abtreten) für befähigt hält, in die Rolle der Oberkommandierenden zu schlüpfen und „meinem Land zu dienen”. Daran, sagte die Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, gebe es „keinen Zweifel”.
Dazu muss man wissen, dass der in der Theorie von ihr vorempfundene Karrieresprung zur Arbeitsplatzbeschreibung gehört. Vizepräsidenten bzw. Vizepräsidentinnen sind immer nur einen Herzschlag vom Oval Office entfernt. Weil Joe Biden aber nun mal 81 Jahre alt ist, oft auch noch älter wirkt und niemand darauf wetten möchte, dass er im Falle eines Wahlsieges und vier weiteren Regierungsjahren alle sieben Sinne beisammen hält, kommt dem Satz, den Harris (59) dann nachgeschoben hat, noch größere Bedeutung zu: „Jeder, der mich bei der Arbeit sieht, ist sich meiner Führungsqualitäten voll bewusst.“
Kamala Harris: Image der Überschätzten, der Pannen-Queen und Profillosen
Wäre es so, herrschte bei den Demokraten eitel Freude Sonnenschein. Aber Madame Vice President hat diese Einschätzung fast exklusiv. Die Mehrheit der Bevölkerung hält sie für den Schwachpunkt der Regierung. Der Opposition dient sie als Feindbild und Hass-Figur. Aber auch in den Reihen der Demokraten sind die in der Mehrheit, die die Hoffnungsträgerin gewogen und für zu leicht befunden haben.
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Kamala Harris hat das Image der Überschätzten, der Pannen-Queen und der profillos gebliebenen, aber leicht reizbaren Durchschnittspolitikerin seit über drei Jahren nie abstreifen können. Auch so erklärt sich, dass Harris‘ Zustimmungswerte (zuletzt 28 Prozent) noch unterirdischer sind als die von Joe Biden (knapp 40 Prozent). Für die Opposition, die voraussichtlich Ex-Präsident Donald Trump ins Rennen schicken wird, ist das in der brutalen Logik dieses Wahljahres Gold wert.
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Je öfter Bidens Gedanken Achterbahn fahren oder er in amtlichen Gutachten als „netter, alter Mann mit schlechtem Gedächtnis“ gedemütigt wird, desto tiefer werden die Sorgenfalten der Demokraten. Sie fürchten, dass vor allem parteiunabhängige Wechselwähler, die Biden laut Umfragen zu über 75 Prozent ablehnen, seine Ambitionen auf eine zweite Amtszeit durchkreuzen könnten. Vor allem, um Harris zu verhindern. Denn die amerikanische Verfassung sieht vor, dass bei einem plötzlichen Tod Bidens oder einer schweren Erkrankung automatisch Harris als Präsidentin vereidigt wird.
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USA: Häufig sexistische und rassistische Medienberichterstattung
Nikki Haley, die latent chancenlose Konkurrentin von Trump bei den Republikanern, sagt darum gefühlte 100 Mal am Tag: „Ein Sieg Bidens würde zu einer Präsidentschaft von Kamala Harris führen.” Kamala Harris hat mit der undankbaren Rolle, die das Amt vorschreibt, nie ihren Frieden gemacht. „Veeps” dürfen dem Chef nicht durch unbedachte Zwischenrufe schaden und niemals in der Öffentlichkeit die Schau stehlen.
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Dazu kommt, dass Joe Biden, selber acht Jahre unter Barack Obama Vize gewesen, seiner Stellvertreterin mit Dossiers wie „illegale Einwanderung” oder „Wahlrechtsreform” Verantwortlichkeiten zuwies, mit denen man keinen Blumentopf gewinnen kann.
Kommt dann auch noch ein auffälliger Verschleiß bei den engsten Mitarbeitern hinzu und die intern mehrfach beglaubigte Aussage, dass Harris Fehler fast nie bei sich selber suche, ist das Bild einer „Problem-Bärin” schnell gezeichnet. Medienberichterstattung, die nicht selten sexistische, rassistische Untertöne trug und ihr das Etikett „zickig” aufklebte, tat ein Übriges.
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US-Präsident Joe Biden steckt in einem Dilemma
Joe Biden weiß das alles. Aber er steckt in einem Dilemma. Er hat sich an die ehemalige Generalstaatsanwältin Kaliforniens und Senatorin gebunden, die ihm im Wahlkampf 2020 kurzzeitig Konkurrenz machte. Damals, in der Zeit von Polizei-Opfer George Floyd und „Black Lives Matter“, diente die aus einer indisch-jamaikanischen Ehe hervorgegangene Juristin als verheißungsvolles Politikangebot für schwarze, jüngere und diverse Wählerschichten.
Das hat funktioniert. Inzwischen aber werden die Rufe lauter, Biden möge seine Nr. 2 austauschen, weil sie ihm wie ein Klotz am Bein hänge. Das widerspricht Bidens Prinzipien von Loyalität und Verlässlichkeit. Außerdem: Die erste afroamerikanische Vizepräsidentin in der Geschichte der USA jetzt fallen zu lassen, würde im November als Eingeständnis einer falschen Personalpolitik gewertet und könnte Biden Hunderttausende Stimmen kosten.
In Harris‘ Umfeld wird seit einiger Zeit an einer Image-Korrektur gearbeitet. Es soll wieder öfter die leidenschaftlich streitende Politikerin zum Vorschein kommen, die Harris als Senatorin war. Man erinnert sich an die Szene, als sie den damaligen Trump-Kandidaten für den Supreme Court, Richter Brett Kavanaugh, in der entscheidenden Anhörung mit scharfen Fragen piesackte, bis er rote Flecken am Hals bekam.
US-Wahl: Harris genießt hohe Glaubwürdigkeit beim Thema Abtreibung
Hohe Glaubwürdigkeit genießt Harris etwa beim Dauerthema Abtreibung, aus dem die Demokraten im November Honig saugen wollen. Ihr Kern-Argument, nach dem der Oberste Gerichtshof einen bundesstaatlichen Flickenteppich anstelle des bis dahin 50 Jahre bestehenden landesweiten Rechts auf Schwangerschaftsabbruch ausgerollt hat, verfängt bei Millionen Wählerinnen: „Der Staat soll Frauen nicht vorschreiben, was sie mit ihrem Körper machen dürfen.”
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Kamala Harris zieht mit dem Thema seit Wochen durch die USA. Wer sie auf diesen Kundgebungen erlebt, ist überrascht, wie angriffslustig und authentisch die Vizepräsidentin hier wirkt. Während sie in der Washingtoner Blase oft künstlich (vor allem ihr inflationäres Lachen) und hyperkontrolliert erscheint. „Kamala Harris hat hier ein Pfund in der Hand, mit dem sie wuchern kann”, sagen demokratische Wahlkampfstrategen und verweisen auf konstante Umfragewerte.
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Danach ist eine klare Mehrheit der Amerikaner mit der von Donald Trump ins Werk gesetzten Aushöhlung des Rechts auf Abtreibung unzufrieden. Schon bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2022 bekamen die Republikaner das zu spüren. Kann Kamala Harris hier für einen weiteren Schub sorgen? Nun, bei der Sicherheitskonferenz in München, geht es aber um die großen Fragen: Russland. . Israel. Gaza. China.
Harris wird unter Sonderbeobachtung stehen. Jeder Schritt, jeder Satz, jedes Lachen und jeder Augenaufschlag, den sie in Kamera-Reichweite zeigt, landet auf der Goldwaage. Der Maßstab dabei: Wie würde diese Frau wohl als Präsidentin der Vereinigten Staaten sein?
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