Washington. Der Einsatz schwer bewaffneter Polizisten habe ihre Familie in Gefahr gebracht, empört sich Haley. Auslöser war ein zynischer Streich.
Die Republikanerin Nikki Haley war im Wahlkampf und darum nicht zu Hause – aber dafür ihre hochbetagten Eltern mit einem Pfleger. Den aus Indien stammenden Senioren schlotterten Ende Dezember die Knie, als in der Villa der Präsidentschaftskandidatin im idyllischen Kiawah Island in South Carolina spätabends die Polizei sichtlich nervös mit gezogener Waffe vor der Tür stand.
Der Grund: Ein anonymer Mann hatte die Notfall-Nummer 911 angerufen und behauptet, er habe im Haus von Haley seine Freundin erschossen und wolle sich selbst etwas antun. Sofort rückten die Beamten aus – nur um dann vor Ort festzustellen, dass es sich um einen weiteren Fall von bösartiger Irreführung handelt. „Swatting“ nennen die Strafvollzugsbehörden das Phänomen, von dem in den USA immer öfter Promis aus Politik und Justiz betroffen sind.
Dabei geht es darum, mit einem bewussten Fehlalarm größere Polizeieinsätze zu provozieren. Der Begriff kommt von SWAT, der US-amerikanischen Polizei-Spezialeinheit „Special Weapons And Tactics“, die bei schweren Delikten wie Geiselnahmen und Amokläufen mit Hunden, schusssicheren Westen und Sturmgewehren zum Einsatz kommt. Ziel der Anrufer ist es, solche SWAT-Teams zu einem Einsatz zu verleiten – und in der zynischen Hoffnung, dass irgendwann auch scharf geschossen wird.
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Haley über falsche Notrufe: „Das muss aufhören”
In der Vergangenheit gab es in den USA bei solchen Einsätzen tatsächlich Todesfälle. Ein unschuldiger Familienvater in Tennessee regte sich 2020 derart auf, als sein Haus nach einem falschen Notruf von Spezial-Cops umstellt war, dass er einen Herzinfarkt erlitt. Im Bundesstaat Kansas starb 2017 eine unbeteiligte 28-Jährige, als die Polizei zum Großeinsatz anrollte.
Nikki Haley macht zwischen den Zeilen auch die aufgeheizte Stimmung im Land für die jüngsten Übergriffe verantwortlich und hat für sich und ihre Familie Personenschutz durch den Secret Service beantragt. Sie glaubt offenbar, dass die latent gewalttätige Rhetorik von Ex-Präsident Donald Trump zu solchen Aktionen verleitet. Und die zweifache Mutter zeigt sich sichtlich empört: „Dieser Akt an meinem Haus hat die Polizisten genauso wie meine Familie in Gefahr gebracht. Das muss aufhören.”
Haley steht damit nicht allein. Justiz-Minister Merrick Garland, ein Demokrat, hat vor Kurzem einen „tief verstörenden Anstieg” bei Droh-Anrufen gegen Volksvertreter, Bundesrichter, Kongressabgeordnete, Angehörige des Militärs und FBI-Agenten beklagt. Garland wörtlich: „Diese Drohungen sind nicht hinnehmbar. Sie gefährden die Struktur unserer Demokratie.”
USA: Seit Weihnachten 34 „Swatting“-Attacken auf Kongressabgeordnete
Selbst das Weiße Haus blieb nicht verschont. Im Januar schickte die Feuerwehr ein Großaufgebot samt Notärzten zum Regierungssitz in Washington. Ein Anrufer hatte ein Feuer an der Adresse 1600 Pennsylvania Avenue gemeldet. Alles war frei erfunden. Das Phänomen, so ist aus Sicherheitskreisen zu hören, nimmt überhand. Seitdem die Bundespolizei FBI vergangenes Jahr solche Ereignisse systematisch erfasst, wurden mehr als 550 „Swatting”-Einsätze bekannt.
Die Täter sind nach Angaben von Psychologen häufig von Rachsucht, Langeweile oder Demokratieverdrossenheit getrieben. Nicht selten nutzen sie Künstliche Intelligenz und Sprachverfremdungsprogramme, um ihre Spuren zu verwischen. Dann haben die Ermittler meist keine Chance, den „Hoax“ frühzeitig zu erkennen. Zur Zielscheibe dieser Attacken wurden allein seit Weihnachten vergangenen Jahres 34 Kongressabgeordnete beider Parteien.
Einer davon war der Republikaner Eric Burlison aus Missouri. In seinem Fall hatte ein anonymer Anrufer bei der Polizei behauptet, in Burlisons Haus werde ein Mann unter vorgehaltener Waffe gegen seinen Willen festgehalten. Die Einsatzkräfte im Südwesten des Bundesstaates hatte Glück und bekam den Politiker umgehend an die Strippe. Die „Fake News“ konnte frühzeitig aufgeklärt werden. Die Armada staatlicher Strafverfolgung blieb im Depot. In anderen Fällen gelang dies nicht.
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Auch Richter im Trump-Betrugsprozess hatte Spezialeinheit vor dem Haus
Auch Arthur Engoron, Richter im spektakulären Betrugsprozess gegen Trump in New York, bekam in seinem Haus auf Long Island Besuch von einer Spezialeinheit. Es bestand der Verdacht eines Bombenattentats. Auch das war eine Lüge. Engoron wie auch andere gegen Trump ermittelnde Juristen erhielten zudem Dutzende Morddrohungen. Auch deshalb will der für die Sicherheit im US-Kongress zuständige „Sergeant-at-Arms” dem „Swatting”-Problem durch engmaschige Kommunikation beikommen.
So sollen Abgeordnete bei ihren örtlichen Polizeien spezielle Rufnummern hinterlassen, unter denen im Fall eines Falles schnell und unbürokratisch ermittelt werden kann, ob ein Einsatz an ihrem Wohnsitz gerechtfertigt ist oder nicht. Damit hat Marjorie Taylor Greene, die Skandal-Abgeordnete der Republikaner, gute Erfahrungen gemacht. Die rabiate Gegnerin von Präsident Joe Biden hat seit Sommer 2022 über zehn „Swatting”-Erlebnisse in ihrem Haus im Bundesstaat Georgia erlebt. Was sie irritiert: In keinem Fall konnten bisher der oder die Urheber ermittelt und dingfest gemacht werden.
Der demokratische Abgeordnete Shontel Brown aus Ohio sprach vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Seele, als er nach einer eigenen „Swatting”-Erfahrung konstatierte: „Es ist wirklich alarmierend, dass jemand mich auf diese Weise einschüchtern will und gleichzeitig die Polizei dazu zwingt, ihre begrenzten Ressourcen unnötig einzusetzen. Wir müssen zu einem respektvollen Umgang miteinander zurückkehren und jede Form von Gewalt aus unserer Demokratie entfernen.“