Washington. Der Senat hat grünes Licht für weitere Militärhilfen an Kiew gegeben. Alles nichts wert, solange Mike Johnson auf der Bremse steht.
Der Mann, der in Amerika über die Zukunft der Ukraine entscheidet, wollte als Junge unbedingt Feuerwehrmann werden wie sein Vater. Als Erwachsener gießt Mike Johnson Öl ins Feuer. Der Sprecher des Repräsentantenhauses in Washington, nach Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris die Nummer drei im Staatsgefüge, ist gerade die wichtigste Person im Streit um die auf Eis liegende 60-Milliarden-Dollar-Militärhilfe, die Biden Kiew versprochen hat.
Das Geld, so hatte Bundeskanzler Olaf Scholz bei seinem Besuch im Weißen Haus gesagt, ist „unverzichtbar”, um im Kampf gegen Russland an der Front weiter abwehrbereit zu sein und kann nicht durch Europa kompensiert werden. Aber ohne Johnson, ein tiefgläubiger Republikaner aus Shreveport im Bundesstaat Louisiana, wird daraus nichts. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen. Er wacht darüber, ob die erste Kammer im Parlament nach monatelangem Tauziehen über die große Finanzspritze entscheidet oder nicht.
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Der vierfache Vater, Gegner von Abtreibung und Homo-Ehe, Befürworter von Gebetszwang in öffentlichen Schulen, will es sich vor allem mit einem nicht verscherzen: Donald Trump. Lässt er das Votum zu, sagen Insider im Parlament, „kann Kiew aufatmen“. Ausreichend viele Republikaner und die allermeisten Demokraten sind dafür. Kehrseite der Medaille: Der radikale Flügel der Trump hörigen „Maga”-Republikaner, die keinen Penny mehr für den Kampf der Ukraine gegen Wladimir Putin bereitstellen wollen, hat angekündigt, Johnson dann wie seinen Vorgänger Kevin McCarthy aus dem Amt zu jagen.
Johnson: Amerika muss seine eigenen Grenzen absichern
Pro Ukraine oder pro potenzieller politischer Selbstmord? Wie Johnson sich am Ende entscheiden wird, ist die Frage der Stunde in der amerikanischen Hauptstadt. Im Moment scheint der Selbsterhaltungstrieb zu überwiegen. Obwohl der Senat am frühen Dienstagmorgen mit großer Mehrheit ein 95 Milliarden Dollar schweres Allzweck-Gesetzespaket für die Ukraine, Israel, humanitäre Hilfe in Gaza und für Taiwan durchgewunken hat, legt sich Johnson quer. Er will bis auf weiteres nicht die erforderliche Abstimmung dazu im Repräsentantenhaus ansetzen.
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Sein Argument treibt vielen Parteifreunden im Senat die Zornesröte ins Gesicht: Johnson bemängelt, dass dem im Präsidentschaftswahlkampf dominierenden Aspekt der illegalen Einwanderung und der Frage, wie man ihr mit mehr Grenzschutz, mehr Richtern und verschärften Auflagen für Asylsuchende bekommen könnte, keine Rechnung getragen wurde. Sein populistisches Credo: Amerika muss zunächst seine eigenen Grenzen absichern, bevor es sich um jene in anderen Länder kümmern kann. Aber genau das war greifbar nahe.
In wochenlanger Kleinarbeit war parteiübergreifend die Verknüpfung der Themen vorbereitet worden. Sie hätte die massivsten Verschärfungen bei der Einwanderung der vergangenen 20 Jahre mit sich gebracht. Aber das Projekt scheiterte vergangene Woche im Oberhaus an radikalen Konservativen wie Ted Cruz, Mike Lee und Rand Paul. Ihnen war die Asyl-Reform nicht radikal genug. Und sie sind gewillt, die Ukraine sich selbst zu überlassen – auch, weil Donald Trump seit Wochen entsprechend den Takt vorgibt.
Trump will mit Ukraine und Einwanderung Wahlkampf machen
Der republikanische Präsidentschaftskandidat will weder Kiew helfen noch die angespannte Situation an der Grenze mildern. „Er will mit beiden Problemen Wahlkampf machen und Wladimir Putin gefallen”, wie republikanische Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand sagen.
Mike Turner, der konservative Wortführer im Verteidigungs-Ausschusses, hält das für falsch. Er ist gerade frisch von einer Reise ins Kriegsgebiet zurück und berichtete davon, dass die Ukraine „bereits Munition rationiert” und „nicht mehr vollständig in der Lage ist, Widerstand zu leisten”. Mit anderen Worten: Er bestätigt das, was der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seit Wochen gebetsmühlenartig wiederholt. Ohne weitere Militärhilfe ist die Ukraine Russland ausgeliefert.
Nach den parlamentarischen Gesetzmäßigkeiten hat Johnson in dieser Frage den Hut auf. Er entscheidet über die Tagesordnung – und er will die Abstimmung dazu mit prozeduralen Tricks vertagen; auch um seine eigene Haut zu retten. Dabei hatte er noch im vergangenen Herbst, als er als Notlösung aus der vierten Reihe die McCarthy-Nachfolge antrat, die Notwendigkeit betont, der Ukraine zu helfen.
Johnson könnte sich von Demokraten im Amt halten lassen
Nun kommt Jens Stoltenberg ins Spiel. Der Nato-Generalsekretär war erst kürzlich in Washington. Aus diesem Besuch sickerte durch, dass Johnson dem Chef des westlichen Verteidigungsbündnisses unter vier Augen klar signalisiert haben soll, er werde einer isolierten Abstimmung über das 60-Milliarden-Dollar-Paket für die Ukraine nicht im Weg stehen. Johnsons Büro hat das sofort relativiert. Aus Angst, dass Leute wie Marjorie Taylor Greene zur Tat schreiten.
Die Trump anhimmelnde Skandal-Abgeordnete aus Georgia hat mehrfach gedroht, sofort den Antrag auf Abwahl Johnsons zu stellen, sollte auch nur ein Dollar an die Ukraine überwiesen werden. Käme es so, würde sich wohl die Selbstzerfleischung wiederholen, die die „Grand Old Party” bei der Demontage von McCarthy an den Tag gelegt und die den Ruf der Partei als „Chaostruppe” zementiert hat, die in eitler Selbstbeschäftigung erstickt statt Gesetze für die Bevölkerung zu schmieden.
Es gäbe einen Ausweg aus dieser Zwickmühle. Mike Johnson müsste – wenn er denn das Votum für die Ukraine freigibt und ihm danach die eigenen Leute an den Kragen gehen – bereit sein, sich von den Demokraten tragen und im Amt halten zu lassen. Rechnerisch kein Problem, ideologisch aber heikel. Donald Trump, sagen Berater aus dem Umfeld von „Mr. Speaker”, würde persönlich den Scharfrichter spielen und Johnson zum Abschuss freigeben.
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