Washington. Neun Top-Richter entscheiden über die Demokratie und den republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Drei verdanken ihm den Job.
Donald Trump redet nicht verklausuliert oder hinter vorgehaltener Hand. Der frühere Präsident der Vereinigten Staaten macht meist öffentlich klar, wie er die Dinge sieht und was er will. Auch von der höchsten Streitschlichtungs-Instanz des Landes - dem Obersten Gerichtshof in Washington. Von ihm verlangt Trump nicht weniger als einen einzigartigen Rund-um-Schutz. Wird er ihm gewährt - oder schützen die Richter eher die Demokratie?
Zunächst sollen die neun Richterinnen und Richter das Ansinnen des Bundesstaates Colorado verwerfen, ihn, den führenden republikanischen Kandidaten für die Wahl am 5. November, unter Berufung auf eine rund 150 Jahre alte Passage in der US-Verfassung von den Stimmzetteln für die Vorwahl am 5. März zu streichen.
Sturm auf das Kapitol: Aufständische dürfen laut Verfassung kein öffentliches Amt mehr bekleiden
In Denver hatten die regionalen Top-Richter entschieden, dass Trumps Rolle vor, während und nach dem blutigen Sturm aufs Kapitol in Washington am 6. Januar 2021 die Kriterien für die Disqualifikations-Klausel im 14. Verfassungszusatz, Absatz 3 erfüllt.
Danach darf kein „Beamter in den Vereinigten Staaten“, der „an einem Aufstand oder einer Rebellion gegen die Regierung beteiligt war oder den Feinden derselben Hilfe oder Beistand geleistet hat”, mehr für ein öffentliches Amt kandidieren. Darüber entscheiden können die einzelnen Bundesstaaten.
Im Ostküsten-Bundesstaat Maine läuft ein ähnliches Ausschlussverfahren, das auf Eis liegt. Auch hier hat Trump Einspruch eingelegt. In rund 30 weiteren Bundesstaaten gibt es ebenfalls Initiativen, um Trump politisch vor der Wahl aus dem Verkehr zu ziehen. Wegen Eilbedürftigkeit hat der Supreme Court den Fall vorgezogen. Am 8. Februar findet die mündliche Verhandlung statt. Solange kein letztinstanzliches Urteil vorliegt, bleibt der Namen Trump auf den Wahlzetteln in Colorado und anderswo stehen.
Trump fordert das Oberste Gericht unmissverständlich auf, den Bestrebungen gegen ihn „ein schnelles und entschiedenes Ende zu setzen”. Er bestreitet, an einem Aufstand oder einer Rebellion beteiligt gewesen zu sein. Er nennt die Aktivitäten in Colorado und andernorts eine „politisch motivierte Hexenjagd“. Trump wörtlich: „Ich bin sicher, dass das Oberste Gericht den Menschen nicht die Wahlmöglichkeit entziehen wird.“
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Trump will vom Obersten Gericht eine „Brandmauer“
In zweiten Fall, der noch in unteren Instanzen festhängt, aber ebenfalls vor dem Supreme Court landen könnte, fordert Trump eine höchstrichterliche „Brandmauer“ gegen das laufende Strafverfahren von Jack Smith. Der Sonder-Staatsanwalt klagt ihn wegen Manipulation und Betrugs im Nachgang der letzten Präsidentschaftswahl 2020 an. Der Prozessbeginn ist für den 4. März angesetzt. Ob es dazu kommt, ist offen.
Auch hier versucht Trump Zeit zu gewinnen, um einer etwaigen Gefängnisstrafe zu entgehen. Ziel: Prozess-Verzögerung bis nach der Präsidentschaftswahl am 5. November. Kalkül: Im Falle eines Sieges könnte Trump seinen neuen Justizminister anweisen, sämtliche Verfahren auf Bundesebene abzublasen oder sich selbst begnadigen.
Trump verlangt rückblickend für sich und künftige Präsidenten uneingeschränkte Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung. Und zwar selbst für Taten und Entscheidungen, wie er auf seinem Kommunikation-Kanal Truth Social schreibt, „die eine rote Linie überschreiten“. Ohne diesen Persilschein sei die Handlungsfähigkeit eines US-Präsidenten unzumutbar eingeschränkt.
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Bundesrichterin weist Trumps Forderung nach uneingeschränkter Immunität zurück
Die zuständige Bundesrichterin Tanya Chutkan hat die Forderung bereits im Dezember zurückgewiesen. Es gebe kein Gesetz, das einen Ex-Präsidenten vor strafrechtlicher Verfolgung schütze. Trump hat die Entscheidung angefochten.
Nicht nur das. Er warnt die obersten Richter vorbeugend vor einer Entscheidung gegen ihn. Es werde dann „chaotische Turbulenzen“ in Amerika geben. Millionen seiner Wähler würden das nicht klaglos hinnehmen, deutet Trump an. Ob er sie zu gewalttätigen Aktionen auffordern würde? Trump verweigert dazu eine klare Antwort.
Wie weit sich Trump über dem Gesetz stehend empfindet, zeigt sich zuletzt in einer Anhörung vor dem Washingtoner Berufungsgericht, wo die Immunitätsfrage verhandelt wird. Dort erklärte ein Trump-Anwalt auf eine hypothetische Richter-Frage, dass sein Mandant als Präsident die Ermordung eines politischen Rivalen durch ein Spezialteam der Navy Seals anordnen könne, ohne dafür direkt zur Rechenschaft gezogen werden zu können.
Zunächst, so John Sauer, müsse er vom Kongress offiziell des Amtes enthoben werden. Hintergrund: Trump überstand aufgrund republikanischer Schützenhilfe bereits zwei Impeachment-Verfahren. Dutzende Rechtsgelehrte bezeichneten die Sichtweise der Trump-Anwälte als absurd.
Sturm auf das Kapitol: Im 14. Verfassungszusatz ist nirgendwo der Präsident erwähnt
Während die Immunitäts-Angelegenheit noch in der Schwebe ist, wird sich der Supreme Court zur Frage, ob Trump 2021 ein „Aufständischer“war und somit nicht mehr wählbar wäre, verhalten müssen. Seit Tagen spekulieren US-Medien darüber, dass die neun Richter mehrheitlich eine Entscheidung treffen werden, die Trump auf dem Wahlzettel belässt, ohne sich klar dazu zu äußern, ob er getreu den Buchstaben der Verfassung als Teil einer „Rebellion“ gegen den Staat zu gelten hat.
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Formalia könnten hier entscheidend sein. So spricht der 14. Verfassungszusatz im Kontext eines versuchten Staatsstreiches an keiner Stelle vom Präsidenten. Allein darum, so Trumps Anwälte, sei der 77-Jährige aus dem Schneider.
„Ein Votum gegen Trump würde ein politisches Erdbeben auslösen“
Dass die Top-Richter sich in den extrem polarisierten USA zehn Monate vor der Wahl als politisches Kampfinstrument für die Demokraten entpuppen und Trump blockieren werden, damit rechnet in politischen Zirkeln Washingtons so gut wie niemand. „Ein Votum gegen Trump würde ein politisches Erdbeben auslösen”, sagt ein Experte der Denkfabrik Cato, „über 70 Millionen Wähler, die Trump 2020 hinter sich brachte, würden das nicht tolerieren”.
Allein die Konstellation des Neuner-Gremiums spreche dagegen. Drei liberale, von demokratischen Präsidenten ernannte Richter und Richterinnen – Ketanji Brown Jackson, Elena Kagan und Sonia Sotomayor – sehen sich in den meisten Streitfällen einer übermächtigen konservativen Mehrheit gegenüber: Neben den Urgesteinen Clarence Thomas, Samuel Alito und John Roberts, der als Vorsitzender zuweilen Kompromiss-Lösungen verfolgt, sind das die drei von Trump seit 2017 installierten Richter Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett.
Obwohl gerade die letzten Drei in der Vergangenheit nicht immer zum Wohlgefallen Trumps entschieden haben (und dafür von ihm angefeindet wurden) geht in Kreisen von Rechtsgelehrten eine überwältigende Mehrheit davon aus, dass „das konservative Bollwerk steht und sich nicht gegen Trump stellen wird”, wie ein mit Verfassungsfragen betrauter Anwalt in Washington dieser Zeitung sagte.
Selbst Interessenkonflikte würden daran nichts ändern. So ist bekannt, dass die Ehefrau von Clarence Thomas, seit über 30 Jahren am Obersten Gerichtshof, den Wahlsieg von Joe Biden kippen wollte. Virginia Thomas hat unmittelbar nach der Wahl 2020 ausweislich von rund 30 SMS-Mitteilungen den damaligen Stabschefs von Trump, Mark Meadows, mehrfach bedrängt, alles zu unternehmen, um Trump im Amt zu halten.
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„Mark, helfen Sie diesem großartigen Präsidenten standzuhalten… die Mehrheit weiß, dass Biden und die Linke den größten Raubzug unserer Geschichte versuchen.” Forderungen, sich für befangen zu erklären, wenn der Fall Trump vor dem Supreme Court landet, ist Richter Thomas bisher nicht nachgekommen.
Liz Cheney will Trump an der Wahlurne schlagen
Auf demokratischer Seite nährt das die Lust auf prinzipielles Gegensteuern. Für eine Begrenzung der Amtszeit (Richter am Obersten Gerichtshof sind auf Lebenszeit ernannt) wie für eine Aufstockung des Neuner-Gremiums mit liberalen “Justices” gibt es im Kongress jedoch keine Mehrheiten. Auch interessant:Wie Deutschland sich auf Trumps Rückkehr vorbereiten muss
Liz Cheney, Trumps bekannteste und lautstärkste Gegnerin bei den Republikanern, stellt sich bereits darauf ein, dass die Obersten Richter Trump schonen werden. Sie wirbt dafür, dass „wir uns in jedem Fall darauf vorbereiten, Trump an der Wahlurne zu schlagen. Ich glaube letztendlich daran, dass wir das schaffen können.“