Rafah. Solidarität mit Israel und Empörung über die Situation der Palästinenser: Die Außenministerin erlebt kaum aushaltbare Widersprüche.
Manchmal sind Leid und Elend ganz nah – und die eigene Ohnmacht unfassbar groß. Auf der Reise in den Nahen Osten geht es der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) öfter so. Einmal steht sie im Staub am Grenzübergang Rafah, der von der ägyptischen Wüste in den abgeriegelten Gazastreifen führt. Durch ein offenes Tor kann man ins Niemandsland mit den Abfertigungsanlagen blicken.
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Auf der ägyptischen Seite stauen sich Lkw mit Hilfslieferungen, die nur nach langwierigen Sicherheit-Checks hereingelassen werden – wenn überhaupt. Auf der anderen Seite, im Gazastreifen, herrscht das blanke Elend. Rund 1,5 Millionen Menschen sind auf der Flucht. Es fehlt an Wasser, Essen, Treibstoff, eigentlich an allem. Ein Großteil des Gebietes ist im Grunde nicht mehr bewohnbar, so umfangreich sind die Zerstörungen.
„So schlimm wie hier war es noch nie“
Nach den fürchterlichen Attacken der radikalislamischen Hamas auf Israel vom 7. Oktober geht die israelische Armee mit aller Härte gegen die Terror-Organisation und deren Infrastruktur vor. 23.000 Menschen sollen der Militäroperation bereits zum Opfer gefallen sein, die meisten Zivilisten. Etliche mehr sind verletzt worden. Das Gesundheitssystem ist nahezu zusammengebrochen.
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Am Tor von Rafah spricht Baerbock mit zwei Vertretern der Vereinten Nationen. Sie schildern das Elend auf der anderen Seite der Grenze. Die Leiterin des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten sagt, sie und ihre Leute hätten schon viele Krisen erlebt überall auf der Welt. „Aber so schlimm wie hier war es noch nie.“
Baerbock hört ihren beiden Gesprächspartnern aufmerksam zu. Sie will genau wissen, wie die Kontrolle der Hilfslieferungen funktioniert und woran es fehlt. Die Israelis lassen längst nicht jede Lieferung in den Gazastreifen. Sie befürchten, dass die Hamas auf diese Weise Nachschub an Waffen und Munition bekommen könnte.
Dieser Widerspruch ist für die Grünen kaum auszuhalten
Im Gazastreifen spielt sich eine humanitäre Katastrophe ab. Und Deutschland mitsamt der grünen Außenministerin befinden sich politisch in einer Situation, die im Grunde unmöglich ist. Deutschland hat sich gleich nach den Hamas-Attacken vom 7. Oktober ohne Wenn und Aber auf die Seite Israels gestellt. Baerbock, die gerade durch den Nahen Osten tourt und in den vergangenen Tagen auch in Israel war, betont bei jeder Gelegenheit, dass der jüdische Staat jedes Recht habe, sich zu verteidigen. Neuerdings ist die Bundesregierung inklusive Baerbock sogar dafür, Eurofighter an das autoritäre Saudi-Arabien zu liefern – weil das aus Sicht der Regierung eine „konstruktive“ Haltung gegenüber Israel einnimmt.
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Zugleich kann es natürlich kein westliches Land hinnehmen, dass vor den Augen der Weltöffentlichkeit eine menschliche Katastrophe historischen Ausmaßes geschieht – ausgelöst vom Hamas-Terror, aber maßgeblich befördert durch die Armee des demokratischen Staates Israel. Dieser Widerspruch ist erst recht für die Grünen kaum auszuhalten, die ihre Wurzeln auch in der Friedensbewegung haben.
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Bei einem gemeinsamen Auftritt mit ihrem ägyptischen Amtskollegen Sameh Shoukry sagt Baerbock: „Das Leiden so vieler Palästinenser kann so nicht weitergehen.“ Später sagt sie: „Das Leben in Gaza ist die Hölle.“
Während ihrer Reise hatte Baerbock bereits andere Begegnungen, die sehr bezeichnend sind für das Leben und Leiden der Palästinenser in diesen Wochen. Das war nicht am Rande des Gazastreifens, sondern im Westjordanland östlich von Israel im Dorf Al-Mazra’ah Al-Qiblizah.
Von einem Hügel aus sieht man Olivenbäume, auf dem Hügel gegenüber ein Containerdorf jüdischer Siedler. Am Horizont ist die Silhouette von Jerusalem zu erkennen.
Immer wieder gibt es Angriffe durch jüdische Siedler
Die Siedler haben sich bereits vor Jahren das Land der palästinensischen Bauern genommen. Seit den Terror-Attacken der Hamas vom 7. Oktober treten sie besonders aggressiv gegenüber den Arabern auf. Immer wieder kommt es zu Gewalt. Die israelischen Sicherheitskräfte unternähmen nichts, so wird es der Außenministerin geschildert. Vielmehr unterstützten sie die Siedler aktiv.
In dem Dorf trifft Baerbock zwei ältere Männer. Samhan und Mohammed Shreiteh sind Brüder, der eine ist 70 und der andere 65 Jahre alt. Beide sind Bauern und berichten, dass sie neuerdings nicht mehr zu ihren Häusern und Feldern auf der anderen Seite des Hügels durchgelassen werden. In der Gegend bauen sie neben Oliven unter anderem auch Zitrusfrüchte an. Die Familien haben Unterschlupf bei Verwandten und Bekannten gefunden. Samhan Shreiteh sagt, er sei kürzlich auch von Siedlern geschlagen worden. „Mein Kopf hat geblutet.“
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Fast 670.000 jüdische Siedler leben im Westjordanland und Ost-Jerusalem. Es werden immer mehr, Israels rechtsnationale Regierung unter Premier Benjamin Netanjahu will die Siedlungen deutlich ausbauen. Seit dem Hamas-Angriff hat die Zahl gewalttätiger Übergriffe auf Palästinenser stark zugenommen, mehrere Hundert Vorfälle sind dokumentiert. Mindestens zehn Menschen sollen zuletzt durch Siedlergewalt ums Leben gekommen sein. Samhan Shreiteh sagt: „Sie beschädigen unsere Häuser, unser Hab und Gut.“
Während die Männer mit der deutschen Ministerin reden, nähert sich immer wieder eine Drohne der Szenerie. Die jüdischen Siedler schicken sie herüber, um alles zu beobachten und die Palästinenser zu ärgern. Das ist Alltag hier.
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Baerbock ist sichtlich empört. In einem sorgsam vorbereiteten Statement sagt sie noch an Ort und Stelle: „Das, was hier passiert, ist illegal. Illegal unter israelischem Recht und illegal unter internationalem Recht.“ Sie sagt das auch noch einmal auf Englisch in die Kameras und Mikrofone, damit die Botschaft auf jeden Fall empfangen wird drüben in der Regierung in Jerusalem und überall sonst in der Region.
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Die Arbeit hier hat gerade erst begonnen
Den Krieg in Nahost kann eine deutsche Außenministerin nicht beenden, die Siedlergewalt und die Landnahme auch nicht. Auf ihrer Reise wirbt Baerbock bei ihren politischen Gesprächen in Israel und Ägypten dafür, die Versorgung der Menschen im Gazastreifen zu verbessern. Dafür brauche es humanitäre Feuerpausen, sagt Baerbock. Und es müssten neben Rafah und Kerem Schalom weitere Grenzübergänge in den Gazastreifen geöffnet werden, um Hilfsgüter in das Gebiet liefern zu können.
Ein Militärtransporter der Bundeswehr hat die deutsche Delegation und zehn Tonnen Hilfsgüter am Montag von Kairo aus in die Nähe Rafahs geflogen. Im Bauch des Flugzeugs stapeln sich Paletten mit Isomatten, Schlafsäcken, Feldbetten und Ähnlichem für Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben. Auf dem Flugplatz von Al-Arish übergibt Baerbock die Lieferung an den Ägyptischen Roten Halbmond. Das wird für die Kameras richtig groß inszeniert. Nur: Was sind schon zehn Tonnen Hilfsgüter, wenn fast zwei Millionen Menschen in einem abgeriegelten Gebiet im Elend leben? Die Arbeit hier hat gerade erst begonnen – für Deutschland und den Rest der Welt.