Berlin. Im Kampf gegen Hamas steht den Israels Truppen eine entscheidende Phase bevor – mit hohem Risiko für Soldaten, Geiseln und Zivilisten.

Für die israelische Armee ist es ein entscheidender Schritt: Laut Militärangaben haben ihre Truppen den Gazastreifen durchtrennt – in einen Nord- und einen Südteil, wie ein Armeesprecher am Sonntagabend bestätigte. Eigene Einheiten hätten den südlichen Teil der Stadt Gaza erreicht. Damit sei diese nun vollständig eingekreist. Im Interview erklärt der ehemalige Bundeswehr-Oberst und Sicherheitsexperte Wolfgang Richter, was das für den weiteren Verlauf der Bodenoffensive im Kampf gegen die Hamas bedeutet und wie die palästinensische Bevölkerung davon betroffen ist.

Israel hat den Gazastreifen in zwei Teile geteilt. Was bedeutet das?

Wolfgang Richter: Israel hat den Norden zur Kampfzone erklärt. Das israelische Militär hat die Bevölkerung im nördlichen Gazastreifen aufgefordert, sich nach Süden zu begeben. Im Norden lebten ursprünglich 1,1 Millionen Menschen. Nach Schätzungen sind mehr als 800.000 Menschen in den Südteil des Gazastreifens geflüchtet. Das heißt, mehr als 200.000 befinden sich noch im Norden.

Wolfgang Richter ist Sicherheitsexperte am Geneva Centre for Security Policy.
Wolfgang Richter ist Sicherheitsexperte am Geneva Centre for Security Policy. © privat | Wolfgang Richter

Die Kehrseite dieser Maßnahme: Wenn ein Großteil der Bevölkerung nach Süden umgelenkt wird, konzentrieren sich rund 1,9 Millionen Menschen im Südteil. Das löst eine humanitäre Notlage aus. Es fehlt an Nahrung, Wasser und Medikamenten. Besonders gravierend ist der derzeit Mangel an Treibstoff. Israel befürchtet, dass dieser nicht für die Generatoren in Krankenhäusern benutzt wird, sondern für die militärische Infrastruktur und die Belüftung der Tunnelsysteme der Hamas.

Warum hat die israelische Armee den Nordteil eingekreist?

Richter: Die Israelis haben den Nordteil völlig abgeriegelt, auch vom Meer her durch die Marine: Dort ist die Hochburg der Hamas-Kämpfer, die sie vernichten wollen. Dafür wollen sie im Norden eine Kampfzone schaffen, die ihnen eine relativ freie Operationsführung erlaubt, ohne allzu sehr durch die Zivilbevölkerung behindert zu sein.

Anders ausgedrückt: Sie wollen im Norden eine freie Feuerzone errichten, ohne zu viele Zivilisten in Mitleidenschaft ziehen zu müssen. Das humanitäre Völkerrecht fordert aber, dass die Zivilbevölkerung beziehungsweise zivile Objekte nicht angegriffen werden. Wenn sich noch Zivilisten in der Kampfzone befinden, muss die Verhältnismäßigkeit der militärischen Mittel gewahrt werden. Zivile Opfer müssen auf ein absolutes Minimum begrenzt werden.

Kampf ums Überleben in den Trümmern von Gaza

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    Worin liegen die Risiken der Abriegelung des Nordteils?

    Richter: Die Israelis haben zwei Prioritäten: die Zerstörung der militärischen Hamas-Struktur und die Befreiung der rund 240 Geiseln. Sie müssen jetzt die bestmögliche Aufklärung betreiben, um den Aufenthaltsort der Geiseln herauszubekommen. Sie wollen natürlich verhindern, dass diese durch die eigene Kriegsführung getötet werden. Die Israelis werden Abschnitt für Abschnitt vorgehen. Sie haben zu diesem Zweck konzentrische Kreise gebildet, die sich immer weiter zuziehen, bis sie in die Mitte von Gaza-Stadt stoßen. Dann wird es zum Häuser- und Tunnelkampf kommen, der zu hohen, auch eigenen Verlusten führen wird.