Berlin/Jerusalem. Die israelische Armee riskiert beim Häuserkampf in Gaza-Stadt hohe Verluste. Hamas-Kämpfer können auch aus Tunneln heraus angreifen.
Es ist die vermutlich komplizierteste Militär-Operation in der Geschichte des Staates Israel. Die Armee will die islamistische Terrororganisation Hamas zerstören, die mehr als 240 Geiseln befreien und – vor allem auf Druck der Amerikaner – die Zahl der zivilen palästinensischen Opfer so gering wie möglich halten.
Die israelischen Streitkräfte meldeten am Freitag, dass Gaza-Stadt nun vollständig umstellt sei. Nach Schätzungen internationaler Hilfsorganisationen befinden sich immer noch rund 200.000 Zivilisten in der dichtbebauten Stadt – und vermutlich Tausende Hamas-Kämpfer, die sich in und unter mehrstöckigen Gebäuden, Krankenhäusern, Schulen und Moscheen verschanzt haben. Sie verfügen über Panzerabwehr- und Infanteriewaffen, Minen, Raketen und Sprengstoff.
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„Ein Häuserkampf bedeutet, dass man auf sehr nahe Entfernung aus der Deckung hinter Mauern kämpft. Er ist sehr blutig und sehr verlustreich“, sagt der Militärexperte und ehemalige Bundeswehr-Oberst Wolfgang Richter unserer Redaktion. „Um eigene Verluste zu reduzieren, werden die Israelis versuchen, die Deckungen, hinter denen sich Hamas-Kämpfer verbergen, wegzuschießen oder zu sprengen.“ Das könne durch Panzer, Artillerie, Luftangriffe oder den Einsatz von Pionieren geschehen.
Experte: „Angriffe auf Soldaten von oben, unten und der Seite“
„Damit werden die umkämpfen Häuser weitgehend zerstört, und es bleiben nur Ruinen übrig“, so Richter. „Dort wird es für die Hamas-Kämpfer schwieriger zu operieren. Sie werden dann leichter durch das Flachfeuer der israelischen Infanterie oder die israelische Artillerie und Luftwaffe getroffen.“ Dennoch müssen die israelischen Soldaten mit Attacken von verschiedenen Seiten rechnen.
„Häuserkampf ist dreidimensional: Die israelischen Kräfte müssen sich auf Angriffe von oben, von der Seite und aus dem Tunnelsystem von unten einstellen“, sagte Cristian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) unserer Redaktion. „Terrororganisationen wie die Hamas sind mittlerweile voll ausgerüstete, wenn auch nur leicht bewaffnete Armeen. Sie können jedoch nur bei verdeckten Operationen und im Häuserkampf zu Erfolgen kommen“, unterstreicht Militärexperte Richter.
Raketenabschuss-Rampe fünf Meter von Schwimmbad entfernt
Auf Videos der israelischen Armee, die am Freitag veröffentlicht wurden, sieht man Raketenabschuss-Rampen der Hamas in nächster Nähe zu zivilen Einrichtungen. Eine dieser Abschuss-Stationen befindet sich laut den Bildern nur fünf Meter von einem öffentlichen Schwimmbad entfernt. „Wir stecken in einem komplexen Kampf in urbanem Gebiet“, betonte Israels Armeesprecher Richard Hecht. Einzelheiten nannte er nicht. Israels Infanteriesoldaten müssten sich auf einen Guerillakrieg einstellen.
Hilfe bekommen sie aus den Vereinigten Staaten: Das US-Verteidigungsministerium entsandte den Drei-Sterne-General James Glynn zusammen mit anderen Offizieren. Die Amerikaner würden allerdings nur beraten und nicht selbst in die Kämpfe eingreifen, hieß es in Washington. Den Häuserkampf kennt das US-Militär aus eigener Erfahrung. Bei der Befreiung der Stadt Mossul von den Terrormilizen des „Islamischen Staats“ (IS) 2016 und 2017 unterstützten US-Truppen irakische und kurdische Kräfte. Die Operation dauerte damals neun Monate. Nach Angaben der US-Nachrichtenagentur AP wurden zwischen 9000 und 11.000 Zivilisten getötet.
Der Häuserkampf in Gaza-Stadt wird durch das bis zu 500 Kilometer lange Tunnelsystem noch komplizierter. Die Eingänge zu diesen Tunneln befinden sich oft im Inneren von Gebäuden, die Ausgänge sind meist gut getarnt. „Das weitverzweigte Tunnelsystem birgt für die Israelis mehrere Risiken“, warnt Militärexperte Richter. In den Tunneln befänden sich Führungs- und Kommunikationszentren sowie Produktionsstätten der Hamas. Zudem seien dort Waffen und Munition in vermutlich großem Umfang versteckt.
Experte: „Die israelische Armee ist zwischen Skylla und Charybdis“
„Wenn die Tunnel nicht gut aufgeklärt werden, besteht die Gefahr, dass Hamas-Kämpfer auch hinter den israelischen Linien herauskommen und angreifen können“, so Richter. Ein zusätzliches Risiko sind die mehr als 240 Geiseln, die an unterschiedlichen Orten untergebracht sein dürften. Zur Lokalisierung der bei den Terrorattacken vom 7. Oktober Verschleppten haben die Israelis verschiedene Mittel. Das fängt bei der Luft-, Satelliten- und Drohnenaufklärung an.
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Auch die elektronische Kampfführung wie etwa das Abhören von Gesprächen spielt eine Rolle. Durch GPS-Daten lassen sich die Aufenthaltsorte der Hamas-Kämpfer bestimmen. Darüber hinaus werden die Israelis versuchen, die Geiseln durch den Einsatz von Spezialkräften ausfindig zu machen. Im besten Fall gelingt deren Befreiung – wie etwa zuletzt bei der aus dem Gazastreifen nach Israel zurückgeholten 19-jährigen Soldatin Ori Megidish.
Die Operation Gaza ist mit ihren multiplen Kriegszielen extrem herausfordernd. „Premierminister Benjamin Netanjahu und sein Generalstabschef Herzi Halevi haben als oberstes Ziel ausgegeben, die Hamas zu zerschlagen“, erklärt Militärexperte Richter. „Die israelische Armee ist zwischen Skylla und Charybdis. Die Staatsräson verlangt, das Vertrauen in die Schutzfunktion des israelischen Staates für die Juden wiederherzustellen. Gleichzeitig steht Israel in der Verpflichtung, das humanitäre Völkerrecht einzuhalten. Diese Aufgabe ist fast unlösbar.“
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