Berlin. Friedrich Merz war am Dienstagabend bei „Markus Lanz“ gar nicht im Studio. Trotzdem war der CDU-Chef in der Diskussion allgegenwärtig.

Eine Woche nach der tödlichen Messerattacke von Aschaffenburg hält das Entsetzen darüber noch an – und dass es eine „abscheuliche“ Tat war, darüber herrschte Konsens im ZDF-Talk am Dienstag bei Markus Lanz. Wie aber darauf reagieren?

CDU-Chef Friedrich Merz hat seiner Ansicht nach eine Lösung, er will im Bundestag fünf Punkte zur Verschärfung der Maßnahmen gegen illegale Migration zur Abstimmung stellen – sie reichen von der Zurückweisung von Flüchtlingen ohne Einreisepapiere bis hin zum Abschiebearrest für Ausreisepflichtige. Im Studio von Lanz aber überwogen die Bedenken bei drei der vier Studiogäste.

„taz“-Journalistin: Brauchen mehr Personal

Mit diesen Vorschlägen biege Merz auf die europafeindliche Strategie der AfD ein, sie bedeute eine „totale Abschaffung der Asylpolitik“, bemerkte die Journalistin Ulrike Herrmann („taz“). Es stünden einer Zurückweisung an den Grenzen rechtliche Hürden entgegen, so muss ein Mitgliedstaat zunächst prüfen, aus welchem „sicheren Herkunftsland“ der grenzüberschreitende Flüchtling überhaupt kommt. Österreich? Italien? Bulgarien?

Das waren die Gäste bei Markus Lanz am Dienstagabend:

  • Manfred Weber, EVP-Vorsitzender im Europaparlament
  • Ulrike Herrmann, Journalistin (taz)
  • Lars Wendland, Polizeigewerkschafter (GdP)
  • Carlo Masala, Militärexperte

Auch inhaltlich hält die Publizistin den Ansatz von Merz für verfehlt: Der Täter von Aschaffenburg war bei Polizei und in der Psychiatrie bekannt dafür, gefährlich zu sein. Man habe es also mit einem „Vollzugsdefizit“ zu tun, das kriege man nicht durch Gesetze in den Griff, sondern nur mit mehr Personal.

Polizei-Gewerkschafter: Zurückweisung funktioniert nur an EU-Außengrenze

Der Punkt mit dem Personal war auch für Lars Wendland, Bundespolizist und Vorstandsmitglied bei der Gewerkschaft der Polizei wichtig. „Wer dem deutschen Volk suggeriert, wir machen alle Grenzen zu, dem sage ich, das ist gar nicht machbar.“ Zum einen funktioniere die Zurückweisung nur an den EU-Außengrenzen. In der EU gebe es von den Schleusern eine „Garantieschleusung“, wenn es irgendwo nicht klappe, probiere man es woanders.

Vor allem aber fehlten Polizisten für eine flächendeckende Grenzsicherung, man brauche mindestens 10.000 Bundespolizisten mehr. Woher nehmen? „Derzeit sind noch nicht mal unsere Ausbildungskapazitäten ausgeschöpft“, so Wendland. Außerdem verließen 30 Prozent der jungen Polizisten ihren Beruf wieder in den ersten fünf Jahren – meistens, weil ihr Standortwunsch nicht erfüllt werde.

Für die Bundespolizei sei es im übrigen „verdammt wichtig“, dass für die Grenzsicherung eine „rechtlich saubere Lösung gefunden“ werde. Die möge man bitte vorher nochmal prüfen, sonst könnten die abgewiesenen Personen den Rechtsweg beschreiten und schon jetzt stritten sich ja die Gelehrten in der Frage.

Politologe Masala: Merz ist in einer Zwickmühle

Auch der Politologe Carlo Masala (Hochschule der Bundeswehr) hält es für möglich, dass das von Merz erdachte Vorhaben „zusammenfällt wie ein Kartenhaus“. Merz will die Abweichung vom Europarecht mit einer nationalen Notlage erklären – aber ob das Bestand habe, darüber werde am Ende wohl ein Gericht entscheiden, meinte Masala. Jedenfalls könne Merz nicht behaupten, er als Kanzler werde am ersten Tag im Amt einfach mal die Grenzen schließen.

Anders als Herrmann sieht Masala die Brandmauer von CDU und CSU zu den Rechtspopulisten nicht gefallen, wenn die AfD den Vorschlägen von Merz im Bundestag zur Mehrheit verhilft. Hätte man „sich mit denen vorher zusammen gesetzt“ und den Plan erarbeitet, wäre das aber problematisch gewesen.

Nicht im ZDF-Studio, aber trotzdem in der Diskussion dabei: CDU-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat Friedrich Merz.
Nicht im ZDF-Studio, aber trotzdem in der Diskussion dabei: CDU-Bundesvorsitzender und Kanzlerkandidat Friedrich Merz. © dpa | Michael Kappeler

Mit seiner Aussage, es sei ihm egal, wer seinen Vorschlägen zustimme, habe sich Merz aber „rhetorisch in eine absolute Zwickmühle gebracht“, bemerkte der Hochschulprofessor. Denn noch im November 2024 hatte Merz im Bundestag erklärt, man wolle sich mit SPD und Grünen bei Gesetzesvorhaben absprechen, damit auf keinen Fall „zufällige Mehrheiten“ durch die AfD zustande kommen.

Manfred Weber sieht „Brandmauer“ nicht gefährdet

„Die Lage nach Aschaffenburg ist eine andere“, erklärte Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der konservativen EVP im EU-Parlament, die Wende von Merz. Die Brandmauer zur AfD sieht Weber nicht gefährdet. Es stehe ja im Antrag der Union drin, dass die AfD eine rassistische Partei sei – mehr Abgrenzung sei wohl nicht möglich. „Wir haben Antworten auf die Sorgen der Menschen, selbst eine Mehrheit der SPD-Wähler sagt laut einer Umfrage, unser Vorhaben sei richtig.“ Er frage sich, warum die SPD und die Grünen „das Angebot“ von Merz nicht annehmen.

Mit Ulrike Herrmann lieferte sich Weber dann ein verbales Scharmützel, welche Partei wo besseren Grenzschutz blockiert: Die Journalistin warf dem CSU-Mann vor, dass die Union im Bundestag die Umsetzung der gemeinsamen europäischen Asylpolitik verweigere, Weber warf den deutschen Grünen und der SPD das Gleiche im EU-Parlament vor.

Funktionieren Zurückweisungen?

Moderator Markus Lanz äußerte sich emotional über illegale Migration („Da wächst uns was über den Kopf“), hatte aber auch leise Zweifel am Konzept von Friedrich Merz. Im vergangenen Jahr habe es hunderttausende von Flüchtlingen in Deutschland gegeben, aber nur zehn Zurückweisungen nach Griechenland, 13 nach Ungarn und 134 nach Italien, so Lanz. „Es ist doch gelebte Wirklichkeit, dass die Zurückweisungen nicht funktionieren“, hielt Lanz dem Christsozialen Weber entgegen.

Der Europaabgeordnete ließ sich davon nicht irritieren. Er hatte zuvor auf die rückläufigen Zahlen von Flüchtlingen über die Balkanroute und die Mittelmeerroute um minus 64 Prozent beziehungsweise minus 80 Prozent in 2024 im Vergleich zum Vorjahr hingewiesen. Das habe die EU gemeinsam mit ihren Partnern geschafft.