Hauptstadt Inside – Der Politik-Newsletter von Jörg Quoos
es waren irritierende Stunden heute im Deutschen Bundestag. Erst erinnerte der Holocaust-Überlebende Roman Schwarzmann bei der Gedenkstunde zur Befreiung von Auschwitz an unfassbare Barbarei der Nazis, die er selbst miterleben musste. Dann wurden schnell die Blumengestecke abgeräumt, um Platz zu schaffen für eine hochemotionale Debatte, wie es sie im Parlament selten gab.
Nach einer scharfen Regierungserklärung des Kanzlers zu den Morden von Aschaffenburg und einer aufgeheizten Debatte hat CDU-Chef Friedrich Merz – mit den Stimmen der AfD – äußerst knapp einen seiner zwei Entschließungsanträge zur schärferen Migrationspolitik durchgebracht. Für den Kanzlerkandidaten ist das ein symbolischer Erfolg. Aber er ist teuer erkauft und Friedrich Merz hat einen beträchtlichen Kollateralschaden in Kauf genommen.
Die Debatte um eine gefallene „Brandmauer“ zur AfD überlagert jetzt die wichtige Debatte um die besten Lösungen zur Beendigung illegaler Migration. Die Politik kreist um sich selbst und die illegalen Einreisen gehen weiter. Mit der Entscheidung im Bundestag ändert sich nichts.
Der richtige Impuls von Merz, in der Migrationspolitik nach der Bluttat von Aschaffenburg konsequenter vorzugehen, wird ohne Wirkung bleiben. Der Merz-Antrag ist nicht bindend. Und mit seinem „Zustrombegrenzungsgesetz“ – sollte es am Freitag ebenfalls mit Stimmen der AfD beschlossen werden – wird Merz spätestens im Bundesrat auch an seinen eigenen Parteifreunden Daniel Günther und an Hendrik Wüst scheitern. Sie regieren in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen mit den Grünen und werde diese Bündnisse nicht gefährden.
„War es das wert?“ fragt man sich jetzt in der Union und mancher spricht hinter vorgehaltener Hand von einem Prozess, der „verunfallt“ ist. Motto: Der Chef lag in der Sache richtig, aber das parlamentarische Vorgehen war überstürzt und schlecht geplant.
Das Verhältnis zur SPD, die Merz zum Regieren braucht, ist seit heute jedenfalls im Keller. Und der Weg von der Palme runter, der spätestens am Tag nach der Wahl angetreten werden muss, ist für den Kanzlerkandidaten jetzt ziemlich lang.
Kirchen nehmen Stellung
Die Union führt das „C“ im Namen, und daher ist diese Erklärung mitten im Wahlkampf und zwei Tage vor der entscheidenden Abstimmung schmerzhaft: In einer gemeinsamen Stellungnahme lehnen die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland das „Zustrombegrenzungsgesetz“ von CDU und CSU deutlich ab. Am Ende des äußerst kritischen Vier-Seiten-Papiers steht wörtlich: „Der Gesetzentwurf ist aus Sicht der Kirchen daher nicht geeignet, zur Lösung der anstehenden migrationspolitischen Fragen beizutragen“.
Umfrage-Check: AfD wächst stark
Die neuesten Zahlen stammen vom internationalen Meinungsforschungsinstitut Yougov und sind ein Schock für die SPD: Die Kanzler-Partei fällt von 19 auf 15 Prozent. Auch die Grünen verlieren zwei Prozentpunkte und liegen nur noch bei 13 Prozent. Die Union dagegen steigt um einen Prozentpunkt auf 29 Prozent. Die AfD gewinnt gleich 4 Prozentpunkte hinzu und wäre mit 23 Prozent die zweitstärkste Kraft nach der Union. Das Bündnis Sahra Wagenknecht wäre mit unverändert 6 Prozent weiter im Bundestag, die Linke gewinnt ein Prozent hinzu und wäre damit ebenfalls drin. Schlecht sieht es für die FDP aus: Sie sinkt von 4 auf 3 Prozent und wäre damit nicht mehr im Parlament.
Deutschlands Wirtschaft schlägt Alarm
Das war bitter für Olaf Scholz. Während der Kanzler im Wahlkampf seine Wirtschaftskompetenz herausstellt, ist die Wirtschaft gegen die Regierung sprichwörtlich auf die Straße gegangen. Rund 1000 Demonstranten, darunter führende Vertreter von mehr als hundert Verbänden und hunderten Unternehmen versammelten sich allein heute Mittag hier in der Hauptstadt, weitere Kundgebungen gab es in Hamburg und München bei einem „Wirtschaftswarntag“. Sie stellten der Rest-Ampel ein desaströses Zeugnis aus. Die Wirtschaft brauche dringend ein „Reset“. Konkret: Bürokratieabbau, Steuererleichterungen, wettbewerbsfähige Energiepreise. Mein Kollege Dominik Bath war vor Ort und fühlte den Puls der Unternehmen.
Alles übertrieben? Wohl kaum. Die Zahl der Firmeninsolvenzen ist so hoch wie seit 2008 nicht mehr. Jeden Monat gehen laut einer Studie des Instituts für Berufsforschung 10.000 Industriearbeitsplätze verloren. Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) legte heute – noch mit Trauerkrawatte der Auschwitz-Gedenkstunde – seinen Jahreswirtschaftsbericht vor. Mit bitteren Zahlen. Statt der erwarteten 1,1 Prozent wird das Bruttoinlandsprodukt nur noch um 0,3 Prozent zulegen. Zum Vergleich: Die europäische Wirtschaft wird über ein Prozent wachsen, die Weltwirtschaft sogar um 3,2 Prozent. Schuld sei eine falsche Fiskalpolitik, erklärte Habeck. Irgendwer muss ja Schuld sein.
Am Rande notiert: Die Berliner Polizei warnte dieser Tage vor Wahlbenachrichtigungen in der Hauptstadt, die täuschend echt aussehen, aber über einen gefälschten QR-Code angeblich private Daten auf einer Fake-Seite abziehen. Nach einem Aufschrei der Landeswahlleitung sahen sich die Beamten die Benachrichtigungen noch mal an und stellten fest: Oh, doch alles echt! Die Benachrichtigungen dürfen wieder aus dem Müll gezogen und benutzt werden. Wahlen in Berlin sind einfach immer spannend.
Ich wünsche Ihnen eine erfolgreiche, fake-freie Woche,
herzlich, Ihr