Essen. Das zweitgrößte Stahlwerk Deutschlands hängt in der Luft. Warum das Schweigen der Protagonisten auch die benötigten Staatshilfen gefährden kann.

Die deutsche Stahlindustrie wird grün – oder sie stirbt. Das gilt für Thyssenkrupp wie für alle anderen Hersteller. Doch während Thyssenkrupp selbst über das Schicksal seiner Keimzelle entscheidet, hängt nur wenige Kilometer weiter im Duisburger Süden HKM völlig in der Luft. Das zweitgrößte Stahlwerk Deutschlands gehört zur Hälfte seinem Nachbarn, beteiligt sind auch Salzgitter und der französische Vallourec-Konzern, der allerdings auf dem Absprung ist. Die Hauptverantwortung für HKM und seine mehr als 3000 Beschäftigten trägt also der Thyssenkrupp-Konzern. Es wird Zeit, dass er sie auch wahrnimmt.

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Denn auch HKM hat sich auf den Weg gemacht, will seinen Stahl künftig mit Wasserstoff statt mit Kohle produzieren und hofft auf ähnlich großzügige Staatshilfen, wie Thyssenkrupp sie erhält. Doch das alles wird nichts, wenn die Eigentümer nicht dahinter stehen. Und die drücken sich bisher um klare Bekenntnisse. Thyssenkrupp fällt das besonders schwer, weil die Konzernzentrale in Essen mal wieder versucht, die Mehrheit am Stahl loszuwerden. Und weil der neue Konzernchef Lopez offenkundig allein mit dem tschechischen Milliardär Kretinsky verhandelt, ist die Stahlsparte in der Causa HKM seit geraumer Zeit nicht sprechfähig.

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Das ist deshalb so fatal, weil Thyssenkrupp Steel den 50-Prozent-Anteil an HKM hält, nicht der Konzern. Solange die in Essen so ungeliebte Stahlsparte nicht weiß, wem sie selbst künftig gehört, ist sie handlungsunfähig, was die Unterstützung des Partners im Süden der Stadt angeht. Das ist immer schlecht, aktuell aber dramatisch, weil HKM beim Umstieg auf grünen Stahl die Zeit davonrennt. Ohne klares Bekenntnis der Eigentümer wird sich auch die Politik in Land und Bund schwer tun, Staatsgelder zuzusagen. Die Ministerien in Düsseldorf und Berlin sind ohnehin irritiert über die Eile von Lopez, den Stahl abzugeben, für den die Regierungen gerade erst zwei Milliarden Euro locker gemacht haben.

Und Verzögerungen sind beim Wasserstoff-Hochlauf im Zweifel nicht einfach ärgerlich, sondern existenzbedrohend. Wer zu spät kommt, wird womöglich nicht mehr gebraucht, weil sich die großen Abnehmer bis dahin mit grünem Stahl aus Schweden, den Niederlanden oder woher auch immer eingedeckt haben.

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Thyssenkrupp-Chef Lopez und der potenzielle Käufer Kretinsky müssen deshalb dringend Klarheit schaffen – für die Politik und für die Beschäftigten. Und zwar nicht nur darüber, ob sie an dem Hüttenwerk festhalten, sondern vor allem darüber, ob sie bei HKM genauso wie bei Thyssenkrupp die so existenzielle wie schwierige und teure Transformation angehen wollen. Das ist unbenommen mit einem hohen unternehmerischen Risiko verbunden. Dass die HKM-Beschäftigten die Bereitschaft dazu von ihren Eigentümern erwarten, darf aber niemanden wundern.