Essen. IG Metall und Betriebsräte kritisieren Geheimverhandlungen mit Kretinsky. Harsche Kritik an Lopez nach seinem Auftritt vor Stahl-Betriebsräten.
Kopfschütteln hier, Kopfschütteln da. Sichtlich enttäuscht verlassen viele Thyssenkrupp-Stahl-Betriebsräte den großen Saal im Essener Konzernquartier. Enttäuscht vom neuen Vorstandschef Miguel Lopez. Sie hatten ihn zu ihrer Vollkonferenz eingeladen, er kam und sprach auch. Aber nach den Worten des NRW-Chefs der IG Metall, Knut Giesler, hat er „keine einzige unserer Fragen zufriedenstellend beantwortet“. Gewerkschaft und Betriebsrat gehen hart mit Lopez ins Gericht.
Sämtliche Fragen drehten sich um den möglichen Verkauf der halben Stahlsparte an den tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky, an der Lopez offenkundig mit Nachdruck arbeitet. Den durchgesickerten Plan, zunächst die Hälfte von Thyssenkrupp Steel zu verkaufen, habe Lopez aber indirekt bestätigt, sagte Giesler anschließend vor Journalisten: „50:50 sei vielleicht ganz gut“, habe Lopez auf entsprechende Fragen gesagt. Wie die Finanzierung aussehe? Völlig unklar. Ob er wirklich schon bis Ende Oktober einen Vorvertrag unterzeichnen wolle? Kein Kommentar – so berichtet Giesler aus der Versammlung. Und sagt: „Er konnte im Grunde zu nichts etwas sagen – das stimmt mich nachdenklich.“
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Dass sie mehr aus der Presse als vom Vorstand erfahren, wurmt IG Metall und Betriebsrat enorm, Giesler spricht von einem „katastrophalen Prozess“ und kritisiert einen Alleingang des neuen Konzernchefs. Die Verunsicherung der Stahlkocher von Thyssenkrupp hat eine inzwischen lange Tradition, aber wohl noch nie war sie so groß. Er habe es selten erlebt, dass bei einer Versammlung auch der letzte Stuhl besetzt gewesen sei, sagte Konzernbetriebsratschef Tekin Nasikkol. Gut 200 Stahl-Betriebsräte aus den 13 Standorten seien nach Essen gekommen, um Antworten zu kriegen.
Nasikkol: Neuer Vorstandschef, neuer Stil
Auch er zeigte sich anschließend vor Journalisten enttäuscht: „Neuer Vorstandschef, neuer Stil“, begann er, „es liegt uns kein industrielles Konzept für eine Partnerschaft mit Herrn Kretinsky vor, das wir prüfen könnten.“ Mit Lopez’ „Informationspolitik sind wir absolut unzufrieden“, so Nasikkol.
Das erklärt sich auch aus der jüngeren Historie: In den vergangenen Jahren hat es viele Versuche gegeben, die Stahlsparte zu verkaufen oder anders auszugliedern. Der damalige Konzernchef Heinrich Hiesinger war sich mit dem indischen Tata-Konzern 2018 bereits einig, scheiterte aber am Veto aus Brüssel. Sein Nachfolger Guido Kerkhoff wollte den Konzern zweiteilen und dabei den Stahl abtrennen – und scheiterte. Nachfolgerin Martina Merz wollte den Stahl an den britisch-indischen Unternehmer Sanjeev Gupta verkaufen – und scheiterte. „Das alles hat viel Zeit und Geld gekostet“, sagt Nasikkol. Aber: „Dabei hat es immer vollste Transparenz gegeben, wir wurden zu jeder Zeit eingebunden. Das fordern wir auch jetzt von Lopez ein.“
Betriebsrat schlägt Tür für Kretinsky nicht zu
Die Arbeitnehmervertreter betonen, ihnen sei letztlich egal, wer beim Stahl einsteige und ob der im Konzern bleibe oder verselbstständigt werde – solange das vorliegende Konzept das beste im Sinne des Unternehmens und seiner Beschäftigten sei. Dafür stellen sie wie immer als Bedingung Standort- und Beschäftigungssicherung sowie Investitionszusagen – insbesondere für den begonnenen Umbau zu einer grünen Stahlproduktion – sowohl bei Thyssenkrupp als auch bei HKM, das im Duisburger Süden Deutschlands zweitgrößtes Stahlwerk betreibt und zur Hälfte Thyssenkrupp gehört.
Gewerkschaftschef Giesler legt die Latte für Kretinsky ziemlich hoch, indem er den Tata-Deal zur „Benchmark“ erklärt. Denn den Indern hatte die Arbeitnehmerseite eine neunjährige Standort- und Beschäftigungsgarantie abgerungen sowie eine seitenlange Liste mit detaillierten Investitionszusagen. Giesler erinnerte Lopez an eine Vereinbarung mit der Arbeitnehmerseite, nach der bei jedem Verkauf der beste und faire Investor (best and fair owner) gefunden werden müsse – und verlangt dies auch diesmal.
Nasikkol ist wichtig zu betonen, dass der Betriebsrat die Tür für Kretinsky nicht zuschlage. Man sei auch „nicht grundsätzlich gegen eine Verselbstständigung, aber nicht um jeden Preis“. Der Konzerngesamtbetriebsratschef will „die industrielle Logik hinter einem Einstieg Kretinskys aber erst einmal verstehen, was mit den spärlichen Infos aus dem Vorstand bisher nicht möglich sei. Lopez habe lediglich angedeutet, Kretinskys EPH-Konzern, dem auch die Braunkohle-Tagebaue in Ostdeutschland gehören, bringe möglicherweise Energiepreisvorteile mit.
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Betriebsrat und Gewerkschaft fordern Lopez auf, „Sorgfalt vor Schnelligkeit“ walten zu lassen. Dem Vernehmen nach will der neue Thyssenkrupp-Chef den Deal noch in diesem Jahr besiegeln und bereits der Hauptversammlung Anfang Februar vorlegen.
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Der von Nasikkol angesprochene „neue Stil“ des neuen Vorstandsvorsitzenden gefällt IG-Metall-Bezirksleiter Giesler besonders in einem Punkt so gar nicht. Zurzeit verhandle „nur ein Mann bei Thyssenkrupp“ mit Kretinsky, sagte er, ohne die Geschäftsführung der Stahlsparte einzubeziehen. Dabei sei es gerade im komplexen Stahlgeschäft sehr wichtig, Fachexpertise am Tisch zu haben.