Essen/Duisburg. Erst die Zusage für Milliarden vom Staat, dann ein Verkauf von Thyssenkrupp Steel an Kretinsky? Dieser Plan weckt Misstrauen in der Politik.
Angesichts eines möglichen Verkaufs der Stahlsparte von Thyssenkrupp an den tschechischen Geschäftsmann Daniel Kretinsky stellt der Grünen-Politiker Felix Banaszak die milliardenschwere staatliche Förderung für das Unternehmen infrage. „Ich erwarte vom Thyssenkrupp-Management, die Arbeitnehmerseite auf Augenhöhe in die weiteren Überlegungen einzubinden und deren Interessen zu berücksichtigen. Ansonsten wird zu prüfen sein, ob die Bedingungen für öffentliche Förderung zukünftig noch erfüllt sind“, sagte Banaszak unserer Redaktion. Ihm gehe es vor allem an einen „Weckruf an das Management“, betonte er.
Für den Aufbau der geplanten Produktion von klimafreundlichem Stahl in Duisburg soll Thyssenkrupp Steel rund zwei Milliarden Euro vom Staat erhalten. Davon sollen rund 1,3 Milliarden Euro aus der Kasse des Bundes kommen. NRW will bis zu 700 Millionen Euro beisteuern – die größte Einzelförderung in der Geschichte des Landes.
Der Thyssenkrupp-Vorstand um Konzernchef Miguel López lotet derweil die Chancen für einen Verkauf des Geschäfts aus. Die IG Metall befürchtet einen „Hauruck-Verkauf“ an den tschechischen Milliardär Kretinsky, wie führende Gewerkschaftsvertreter in den vergangenen Tagen deutlich machten. Mit seinem Unternehmen EPH ist Kretinsky bereits in der deutschen Energiebranche aktiv. Im Jahr 2016 übernahm er vom Energieversorger Vattenfall das ostdeutsche Braunkohlegeschäft der Leag mit Kraftwerken und Tagebaugebieten in der Lausitz.
Banaszak: „Das konterkariert die Bemühungen von Bund und Land“
Zur Stahlsparte von Thyssenkrupp gehören etwa 27.000 der knapp 100.000 Beschäftigten des Essener Industriekonzerns. Mit Standorten in Duisburg, Bochum, Dortmund und Südwestfalen hat die Stahlproduktion insbesondere für NRW eine große Bedeutung. Die Ende Mai ausgeschiedene Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz hatte eine Herauslösung des Stahlgeschäfts aus dem Konzern angestrebt, aber nicht realisiert. Seit Juni führt nun der langjährige Siemens-Manager López den Essener Traditionskonzern.
„Das Vorgehen des Thyssenkrupp-Managements löst – nachvollziehbarerweise – viel Unsicherheit bei den Beschäftigten aus“, sagt der Duisburger Grünen-Bundestagsabgeordnete Felix Banaszak im Gespräch mit unserer Redaktion. „Herr López sendet bewusst oder unbewusst das Signal aus, die Stahlsparte einfach möglichst schnell loswerden zu wollen. Das konterkariert die Bemühungen von Bund und Land, mit der Zwei-Milliarden-Förderung die klare Botschaft an die Beschäftigten zu geben, dass Staat und Unternehmen an eine grüne Zukunft der Stahlproduktion in Duisburg glauben und bereit sind, in diese auch zu investieren.“
Sigmar Gabriel meldet sich als Aufsichtsratschef zu Wort
Hinzu kommt: Das Stahlgeschäft unterliegt in aller Regel starken Schwankungen – und derzeit steht Thyssenkrupp Steel wie ein Großteil der Branche unter Druck. Daher benötige das Unternehmen auch nach einem etwaigen Verkauf eine Eigentümerstruktur, die für Stabilität sorge, erklärte Sigmar Gabriel, der ehemalige Bundeswirtschaftsminister, der nun den Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel führt. „Ich bin sicher, dass Herr Kretinsky das weiß“, so Gabriel. „Kurzfristige Verwerfungen“ und „Ertragseinbrüche“ seien in der Vergangenheit von der Thyssenkrupp AG aufgefangen worden.
Die IG Metall kritisiert, sie habe „nur aus der Presse erfahren“, dass es Pläne gebe, Kretinsky einen Anteil von 50 Prozent am Stahl von Thyssenkrupp zu überlassen. Das Thyssenkrupp-Management wolle demnach „den Deal schon Ende Oktober unter Dach und Fach bringen“, heißt es in einem Flugblatt der IG Metall.
„Es kann jetzt nicht darum gehen, Thyssenkrupp Steel zu verramschen“
Ein Sprecher von López betonte unlängst, die Mitbestimmung spiele „bei der Verselbstständigung des Stahls eine wichtige Rolle“ und werde – wie bei Thyssenkrupp üblich – „eng eingebunden“. Die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat der Thyssenkrupp AG und im Kontrollgremium der Stahlsparte Thyssenkrupp Steel würden „weiterhin regelmäßig über alle Fortschritte informiert“.
Der Grünen-Politiker Banaszak, einst NRW-Landeschef an der Seite der amtierenden Vize-Ministerpräsidentin Mona Neubaur, äußert sich skeptisch mit Blick auf den aktuellen Stand der Verkaufspläne bei Thyssenkrupp. „Es kann jetzt nicht darum gehen, Thyssenkrupp Steel zu verramschen, um kurzfristige Kapitalmarktinteressen zu befriedigen“, sagt der Abgeordnete, der als Industriepolitiker in Berlin bestens vernetzt ist. Schließlich führt mit Robert Habeck ein Grüner das Wirtschaftsressort in der Bundesregierung. „Wer immer Interesse an der Stahlsparte hat, muss Kapital mitbringen und auch ein glaubwürdiges Bekenntnis für den Standort und seine Beschäftigten – übrigens inklusive HKM im Duisburger Süden – unter Beweis stellen. Das bedeutet klare Zusagen zu Investitionen in den Bestand, in die Transformation und zur Sicherheit der Arbeitsplätze. Ob Herr Kretinsky dazu bereit ist, scheint fraglich. Zusagen für Braunkohlestrom allein reichen nicht aus.“
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