Bad Berleburg. Stadt sieht Selbstverwaltungsrecht in Gefahr: Bundesverwaltungsgericht soll nun entscheiden. Außerdem geht eine Resolution an die Bundesregierung.
Nach der jüngsten Niederlage vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster hat der Rat der Stadt Bad Berleburg in einer Sondersitzung am Donnerstagabend zwei Entscheidungen getroffen. Die waren auch geprägt von Diskussionen darüber, wer die Schuld dafür trägt, dass ab sofort auch Windkraftanlagen außerhalb der Vorrangzonen aufgestellt werden können.
Wer trägt die Verantwortung für das Desaster? War es die Ampel-Koalition im Bund, oder war es die schwarz-grüne NRW-Landesregierung? Und war es nicht Zeit- und Geldverschwendung, einen eigenen „Teilflächennutzungsplan Windkraft“ zu erstellen, wenn der nun gar keine Steuerungswirkung entfaltet? Darüber gab es hitzige Diskussionen. Und so konnten weder die Resolution an die Bundesregierung noch die Entscheidung über eine Fortsetzung des Wegs vor dem Bundesverwaltungsgericht einstimmig gefasst werden.
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Mehr Kopfzerbrechen als die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes, die Ausschlusswirkung der Vorrangzonen in Bad Berleburg wegen Formfehlern bei der Flächenauswahl außer Kraft zusetzen, bereiten Politik und Verwaltung der zweite Richterspruch, der die Zurückstellung von Windkraftvorhaben durch den Paragrafen 36, Absatz 3 des Landesplanungsgesetzes möglich gemacht hat. Der stehe im Widerspruch zum Bundes-Baurecht. Und hier befürchten die Kommunen weitere Einschränkungen ihres Einflusses durch eine von der Bundesregierung geplanten Änderung des § 249 Absatz 2 BauGB, um den Windkraftausbau insgesamt zu beschleunigen. Das soll durch eine Einschränkung der Ausschlusswirkung von Vorrangzonen geschehen.
„Ausschlusswirkungen zum Schutz von Mensch, Umwelt und Natur werden jetzt – durch die Gesetzgebung der Ampel – für den hemmungslosen Ausbau der Windkraft endgültig abgeschafft.“
Für den CDU-Fraktionsvorsitzenden Martin Schneider liegt die Verantwortung deshalb in Berlin: „Alle Bemühungen auf Landesseite, Instrumente zur Steuerung zu etablieren, wurden durch die Rechtsprechung zunichtegemacht und jetzt final mit der geplanten Änderung des § 249 Absatz 2 BauGB von der Ampelregierung vollständig konterkariert. Sämtliche Zurückstellungsinstrumente wurden faktisch entwertet. (...) Kommune und Land wurden jetzt vollständig entmachtet! Früher gültige kommunale und regionale Einflussnahme und andere Ausschlusswirkungen zum Schutz von Mensch, Umwelt und Natur werden jetzt – durch die Gesetzgebung der Ampel – für den hemmungslosen Ausbau der Windkraft endgültig abgeschafft.“
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Schneider verteidigt auch die Vorrangzonen-Planung gegen die „Besserwisserei“ der SPD, die vor zwei Jahren schon daran gezweifelt hatte, dass man den Flächennutzungsplan (FNP) Windkraft rechtssicher durchbekommen würde: „Durch unsere FNP-Planung haben wir zumindest bis vor kurzem den Windkraft-Wildwuchs in unserer Stadt verhindert. Zudem konnten wir in Verhandlungen mit den Projektierern, für die Stadt lohnende Beteiligungen erreichen. Ohne eigene FNP-Planung wäre das undenkbar gewesen und ohne eigenen FNP hätten wir bereits jetzt mindestens 20 Windkraftanlagen mehr genehmigt und es wäre wirklich kein Bergrücken mehr ohne Windrad. Von keinem Standpunkt in unserer Stadt der Dörfer gäbe es einen Ausblick ohne Windräder“, so Schneider.
„Wer sich das Urteil des OVG Münster ansieht, wird feststellen, dass die Begründung der Richter eine schallende Ohrfeige für den Landesgesetzgeber ist. “
Die SPD-Fraktionsvorsitzende Iris Gerstmann sieht die Verantwortung in Düsseldorf und Arnsberg: „Wer sich die Mühe macht und sich das Urteil auf der Homepage des OVG Münster ansieht, wird feststellen, dass die Begründung der Richter eine schallende Ohrfeige für den Landesgesetzgeber ist. Denn in der Mitteilung zum Urteil heißt es, die landesrechtliche Aussetzungsvorschrift verstoße gegen eine Vorschrift des Bundesimmissionsschutzgesetzes und dürfte daher nichtig sein. (...) Einen Rüffel gab es nicht nur für den Gesetzgeber, sondern auch für die Bezirksregierung. Deren Entscheidung sei „offensichtlich ermessensfehlerhaft“, die angestellten Erwägungen seien unzureichend, weil viele Gesichtspunkte nicht gewürdigt worden seien.“
Michael Sittler (SPD) sah die Schuld für den „Wildwuchs“ sogar bei „Kommunen wie Bad Berleburg, die glaubten am Regionalplan vorbei eigene Flächennutzungsplanungen aufzustellen.“ Dadurch sei der erste Regionalplanentwurf vom Tisch gewesen. Ohne die Sonderwege hätte man inzwischen seit Jahren einen fertigen Regionalplan und die Frage nach der Ausschlusswirkung von Vorrangzonen stelle sich erst gar nicht, argumentierte Sittler, der auch im Regionalrat sitzt.
Nach der hitzigen Debatte wurde zunächst über eine Resolution abgestimmt, mit der die Stadt in Berlin auf die Einschränkung der kommunalen Selbstverwaltung durch eine Änderung des Baugesetzbuches aufmerksam machen will. Drei Mitglieder der SPD enthielten sich, weil sie in der Einleitung zu viel Ampel-Bashing gesehen hatte. Die Mehrheit der SPD, alle Grünen, die FDP und die CDU stimmten dafür. Nur die stimmte AfD dagegen, weil sie laut dem Fraktionsvorsitzenden Klaus Lege grundsätzlich den Ausbau der erneuerbaren Energien ablehnt. So stand es am Ende 17:2 für die Resolution bei acht Enthaltungen.
Mehrheit will Rechtsstreit fortsetzen.
Acht Enthaltungen von der SPD gab es auch bei der Entscheidung, juristisch weiter gegen die Entscheidung des OVG Münster vorzugehen. Fachanwalt Dr. Martin Schröder hatte das in der Sitzung empfohlen. Das OVG hatte zwar eine Revision nicht zugelassen. Aber dagegen kann innerhalb eines Monats eine „Nichtzulassungsbeschwerde“ eingereicht beim OVG eingereicht werden. Darüber entscheide dann das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Im Falle eines positiven Ausgangs für Bad Berleburg gebe es zwei Möglichkeiten: Das OVG muss erneut verhandeln, oder das BVG entscheidet selbst. Neben einer Niederlage bei der Nichtzulassung könnte aber noch ein weiterer Fall eintreten: Der Regionalplan Windkraft tritt vor einer finalen Entscheidung über die Bad Berleburger Vorrangzonen in Kraft. Dann würde der Regionalplan die maßgebliche Flächenkulisse für Windkraft darstellen.