Dahlbruch. Angehende Architekten haben die Geschichte der alten Dahlbrucher Schule erforscht und machen Vorschläge für ein neues Stadtviertel.
Zuletzt hieß es Haus ErnA und war Stützpunkt der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe. Das alte Schulhaus am Ernst-August-Platz, benannt nach den Brüdern Ernst und August Klein, deren Maschinenfabrik den Anfang der heutigen SMS group darstellt, steht unter der ehemaligen Adolf-Reichwein-Hauptschule, die immer noch als Flüchtlingsunterkunft genutzt wird. Isabell Eberling und Prof. Eva von Engelberg-Dočkal, Architekturgeschichtler an der Siegener Uni, haben die „Alltagsgeschichten eines Siegerländer Schulhauses“, nämlich der Alten Schule Dahlbruch, erforscht und veröffentlicht – das Herz eines Quartiers in Dahlbruch, das fast direkt an den neuen kmd angrenzt.
1906/07 wird in Fachwerkbauweise ein drittes und viertes Klassenzimmer und, unter dem Dach, ein Lehrerzimmer aufgestockt. Ein dritter Lehrer tritt seinen Dienst an 1909 erreicht die Schule mit 166 Kindern ihre höchste Schülerzahl, nun wird auch die vierte Klasse eingerichtet. Das Treppenhaus erhält einen Terrazzoboden mit eingelegten Mosaiksteinen. Die Treppe besteht aus Terrazzostufen, sie erhält ein verziertes gusseisernes Geländer. Bank und Pult der zweisitzigen Schulbänke sind durch einen Holm verbunden, der Bereich unter den Bänken bleibt somit frei und ist leicht zu reinigen. Hermann Giesler hat die Erweiterung geplant. Der Siegener Architekt war 1903 Bauleiter der Synagoge in Siegen, für deren Zerstörung sein Sohn Paul, ein führender Nazi-Funktionär, mitverantwortlich ist. Hermann, ein anderer von insgesamt vier Söhnen, wurde neben Albert Speer Hitlers leitender Architekt.
Auf den Wiesen zwischen Hochstraße und Alter Schule wird 1956/57 der erste und 1966 der zweite Bauabschnitt der neuen Volksschule in Betrieb genommen – ein Schulzentrum mit nun zehn Klassenräumen, Werkraum, Chemie-/Physiksaal und als Aula nutzbarem Gymnastikraum. Das alte Schulhaus übernimmt vorübergehend die Pestalozzischule, die 1970 in die ehemalige katholische Volksschule (heute: Kita Kuckucksnest) umsiedelt. Die Förderschule wird gemeinsam mit der Stadt Kreuztal betrieben und schließlich als Kindelsbergschule in Ferndorf weitergeführt.
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Nach dem Schulzentrum werden die evangelische Kirche (1952/54), der evangelische Kindergarten (1963/64) und das evangelische Gemeindezentrum (1977) gebaut. „Diese großen Bauprojekte verdeutlichen, dass das noch dünn besiedelte Dahlbruch um den Ernst-August-Platz eine neue Dorfmitte erhalten sollte“, folgern die Architekturgeschichtler, die auch auf das gerade entstehende zweite Zentrum für Kultur und Sport hinweisen: den kmd, den Kulturellen Marktplatz Dahlbruch, der sich aus dem Nachfolgebau der Turnhalle von 1958 und dem erweiterten Gebrüder-Busch-Theater (ursprünglich: „Dahlbruchhalle“) entwickelt.
Die Adolf-Reichwein-Hauptschule wird 2013 geschlossen, die evangelische Kirche 2016 außer Dienst gestellt. Im Wintersemester 2021/22 erarbeiten Studierende Vorschläge für die Nutzung des alten Schulhauses. 30 Entwürfe werden eingereicht. Dabei werden Ideen aus der Bevölkerung und des Heimatvereins aufgenommen: ein Vereinsraum für Besprechungen, Seminare und Vorträge, Räumlichkeiten für die Unterbringung und Präsentation der Dahlbrucher Museumssammlung sowie eine Kaffeestube, ein Depot für weitere Sammlungsbestände, eine Bibliothek und eine Lernwerkstatt.
Im Februar 2023 hat das Lehrgebiet Architekturgeschichte der Universität Siegen die Ausstellung zum 150-jährigen Bestehen der Alten Schule Dahlbruch in der ehemaligen evangelischen Kirche gestaltet. Studierende des Departments Architektur lieferten gemeinsam mit dem Dahlbrucher Heimatverein DaHeim Vorschläge für eine neue Nutzung, und Isabell Eberling, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Lehrgebiets, recherchierte die Baugeschichte des mehrfach erweiterten Gebäudes. Daraus ist nun der dritte Band der Schriftenreihe „Frieder & Henner“ geworden.
Von 1964 bis 1979 hat Dieter Hanefeld in Dahlbruch unterrichtet. Prof. Eva von Engelberg-Dočkal begegnet ihm als Besucher der Ausstellung „150 Jahre Altes Schulhaus“; sein Bericht über den Schulalltag in Dahlbruch („belebtes Zentrum des Ortes“) wurde in das Bändchen aufgenommen. Hanefeld fängt als Junglehrer an der evangelischen Volksschule an, die 1968 Hauptschule wird. Von 1979 bis zu seiner Pensionierung 2001 leitet er die Grundschule in Kredenbach.
Zukunft
Das alte Schulhaus stehe „bespielhaft für ein historisches Gebäude des ländlichen Raums, das zwar nicht zu den herausragenden Werken der Architekturgeschichte zählt, aber Ortsgeschichte und Ortsbild seit Generationen prägt und damit ein wertvolles Erbe darstellt“, schreibt Isabell Eberling. Die zentrale Lage der aktuell leerstehenden Bauten, der ehemaligen Volksschule, der evangelischen Kirche und der Adolf-Reichwein-Hauptschule, biete „ein enormes Entwicklungspotenzial für Dahlbruch“, heißt es weiter. Angeregt wird ein Gesamtkonzept für das Quartier, in das auch Kindergarten und SMS-Group einbezogen werden sollten. „Unsere Studierenden haben die teils verborgenen Qualitäten der Bauten herausgearbeitet und auf dieser Grundlage Nutzungskonzepte für das Quartier erstellt. Eine Weiter- und Umnutzung des Baubestandes wäre sowohl ökologisch als auch kulturell nachhaltig und würde die spezifischen Qualitäten des Ortsbildes erhalten.“
Für ein „Ernst-August-Quartier“ schlagen die Masterstudierenden im Sommersemester 2023 ein Mehrgenerationenwohnhaus oder eine Seniorenwohnanlage im ehemaligen Schulneubau und eine inklusive Grundschule im alten Schulhaus vor. Die Kirche könnte Mehrgenerationentreff mit Gemeinschaftsküche werden.
„Ich wünsche allen Beteiligten, dass ihre Ideen auf fruchtbaren Boden fallen“, schreibt Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis in seinem Vorwort. Die Kirche sollte an ein Architekturbüro verkauft werden; das bekam dafür aber keine Baugenehmigung. Nach wie vor will die Stadt das Schulgelände an einen Investor verkaufen, zuletzt war 2021 von altengerechtem Wohnen und einem Angebot für Menschen mit Assistenzbedarf die Rede.
In der ersten Planungsphase, etwa bis 2013, wäre auf dem Schulgelände das „Haus der Musik“ für die Philharmonie Südwestfalen entstanden, als Teil des benachbarten kmd. Die Philharmonie ist inzwischen nach Siegen gezogen. Im Rat waren 2020 Stimmen laut geworden, das alte Schulhaus zu erhalten. Zeitweise gab es dafür auch Interessenten, eine Praxis und die Kita Kuckucksnest. Im vorigen Jahr hat die Stadt das ehemalige Bordell „Schwarze Tulpe“ gekauft, um es als Flüchtlingsunterkunft einzurichten. Das wäre die Voraussetzung, im ehemaligen Dahlbrucher Schulzentrum mit einer Neugestaltung zu beginnen.
Alte Schule Dahlbruch. Alltagsgeschichten eines Siegerländer Schulhauses. Isabell Eberling und Eva von Engelberg-Dočkal (Hg.). Schriftenreihe Frieder & Henner, Band 3. universi - Universitätsverlag Siegen. Siegen 2024. Alle Abbildungen wurden dem Band mit Genehmigung des Verlags entnommen.
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