Kreuztal. Mit dem nicht beachteten Biotop BT-SI-02793 auf der Dänischen Wiese steht und fällt der Plan für das Umspannwerk bei Schloss Junkernhees.

Eine Reihe von Versäumnissen hält das Bundesverwaltungsgericht der Bezirksregierung Arnsberg vor. Keines wiegt in den Augen des 11. Senats allerdings so schwer, dass deshalb das Baurecht für die 380-kV-Höchstspannungsleitung durch das Heestal in Frage gestellt wäre. Bis auf eines: Das nicht beachtete Biotop BT-SI-02793 auf der Dänischen Wiese macht den Planfeststellungsbeschluss für das Umspannwerk gegenüber von Schloss Junkernhees rechtswidrig.

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Gegen die „Besitzeinweisungen“, ein Vorgriff auf die Enteignung, haben inzwischen private Grundstückseigentümer und Stadt geklagt und Eilanträge gestellt. Das Bundesverwaltungsgericht will darüber bis Jahresende entscheiden. Amprion und Bezirksregierung wurden zur Stellungnahme bis Dienstag, 25. November, aufgefordert. Eine Verlängerung dieser Frist bis zum 4. Dezember will das Bundesverwaltungsgericht gewähren, wenn Amprion auf den angekündigten Beginn der Rodungen am 2. Dezember verzichtet und die Eilentscheidung des Gerichts abwartet.

Mitten in diese neue Zuspitzung kommen die lange erwarteten Urteilsbegründungen der Urteile vom 20. Juni, die nun dem Infrastrukturausschuss vorliegen: 77 Seiten für die sieben privaten Kläger. Und 23 Seiten für die Stadt, der das Gericht – kurz gesagt – die Berechtigung zur Klage abspricht.

Das Urteil für die Eigentümer

„Die Abwägung der Trassenführung im Heestal leidet an keinem beachtlichen Fehler“, heißt es in einem Kernsatz der Urteilsbegründung. Die Wahl einer Trassenvariante sei rechtsfehlerhaft, wenn eine andere als die gewählte Linienführung sich eindeutig als die bessere darstellen würde, „wenn sich mit anderen Worten diese Lösung der Behörde hätte aufdrängen müssen“. Der Planfeststellungsbeschluss erkenne „deutliche Vorzüge“ der Meiswinkel-Variante an. Er gewichte aber die Vermeidung der Inanspruchnahme von Wald höher.

Die Masten hätten keine „erdrückende Wirkung“ auf Schloss Junkernhees, den Hof Wurmbach und das Backhaus. Um Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes abzuschätzen, sei ein zehn Kilometer breiter Korridor untersucht worden. „Der Planfeststellungsbeschluss hat vor visuellen Beeinträchtigungen außerhalb eines 200-m-Wirkraums daher nicht die Augen verschlossen, sich aber für deren Hinnahme entschieden.“

„„Die Erwartung der Kläger, nach dem Bau der Leitung werde das Gebiet nicht mehr zur Naherholung genutzt, überzeugt nicht.“

Bundesverwaltungsgericht

Die Erholungsfunktion des Heestals sei fehlerfrei berücksichtigt worden, heißt es in der Urteilsbegründung weiter. „Die Erwartung der Kläger, nach dem Bau der Leitung werde das Gebiet nicht mehr zur Naherholung genutzt, überzeugt nicht.“ Der „Durchschnittsbetrachter“ werde technische Anlagen „nicht von vornherein als verunstaltend“ empfinden, sondern anerkennen, dass Freileitungen „ebenso wie andere Infrastruktureinrichtungen zur Raumausstattung eines Industrielandes gehören“.

Bürgerinitiative Junkernhees
An Mast 371 in Fellinghausen zweigt die Leitung zum Umspannwerk Setzer Wiese vor Geisweid ab.  © Stadt Kreuztal | Stadt Kreuztal

Der Begründung des Denkmalschutzes für Schloss Junkernhees könne nicht entnommen werden, dass auch die Sichtachsen eine wesentliche Bedeutung hätten, ausdrücklich auch nicht die Sichtbeziehung zwischen Schloss und Dänischer Wiese. Dass Heestal und Schloss historisch zusammenhängen, erzeuge keinen „spezifisch denkmalrechtlich geschützten funktionalen oder auch nur ideellen Zusammenhang“, führt das Gericht aus. „Ebenso wenig führt die Verwendung von Steinen aus einem nahe gelegenen Steinbruch beim Bau der Denkmäler zu einer denkmalrechtlich zu schützenden Beziehung zwischen diesen und dem Steinbruch.“

Das Gericht gesteht zu, dass in dem Planfeststellungsbeschluss die Beeinträchtigung des Kulturlandschaftsbereiches unterschätzt werde. Sie dürfe „nicht mit der Begründung als gering bewertet werden, der Betrachter werde sich an die Beeinträchtigung gewöhnen“, heißt es, „mit dieser Begründung ließe sich jeder beliebig schwere Eingriff in das Landschaftsbild letztlich als geringfügig auffassen.“ Allerdings: „Es kann ausgeschlossen werden, dass die Planfeststellungsbehörde eine andere Entscheidung getroffen hätte, wenn sie den Fehler erkannt hätte.“

Ausdrücklich nicht berücksichtigt werden die Hinweise auf die Wasserleitungen unter den Masten 371 bis 377. Damit sei der Prozessstoff über die Klage von 17. November 2022 hinaus unzulässig erweitert worden, was aber nur innerhalb von zehn Wochen möglich sei. Die Kläger hatten auf die aus ihrer Sicht erforderliche, aber nicht geregelte Verlegung der Leitungen in der Verhandlung am 7. Mai hingewiesen.

Der Rad- und Wanderweg von Junkern- nach Mittelhees wird als Baustellenzufahrt und für die Erschließung der Umspannanlage gebraucht.
Der Rad- und Wanderweg von Junkern- nach Mittelhees wird als Baustellenzufahrt und für die Erschließung der Umspannanlage gebraucht. © WP | Steffen Schwab

Der zweite Teil der Urteilsbegründung bezieht sich auf die Umspannanlage auf der Dänischen Wiese gegenüber von Schloss Junkernhees. Der Planfeststellungsbeschluss verstoße gegen den gesetzlichen Biotopschutz. Deshalb sei der Planfeststellungsbeschuss für den Bereich zwischen den Masten 349 (Umspannwerk Altenkleusheim) und 373 (Junkernhees) rechtswidrig und nicht vollziehbar. Alle anderen Argumente gegen die Standortentscheidung weist das Gericht allerdings zurück.

Bundesverwaltungsgericht: Kreuztal gegen Amprion
Im Sitzungssaal: in der ersten Reihe der Kläger Sascha Reller, Gutachter Uwe Meyer und Prof. Dr. Klaudia Witte von der Uni Siegen als Sachverständige (von links). © WP | Steffen Schwab

 Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) habe die „Glatthafer- und Wiesenknopf-Silgenwiese“  als Biotop BT-SI-02793 sowie zwei weitere kleinere Biotope knapp ein Jahr nach dem Planfeststellungsbeschluss vom 7. Juli 2022 kartiert, nämlich am 4. Juli 2023. Das Biotop fällt unter den Schutz der EU-Richtlinie zu Flora-Fauna-Habitat (FFH).

Es sei nicht belegbar, wie die Wiese zum Zeitpunkt der Planfeststellung tatsächlich aussah. „Der Beklagte (die Bezirksregierung, d. Red) und die Beigeladene (Amprion, d. Red.) konnten nicht darlegen, dass die Fläche vor Erlass des Planfeststellungsbeschlusses hinreichend untersucht worden war. Die verbleibende Unsicherheit geht daher zu Lasten der Beklagten und der Beigeladenen.“ Es gebe aber Hinweise, „dass die Wiese früher sogar noch in einem besseren Erhaltungszustand war als bei der behördlichen Kartierung im Juli 2023“. Bezirksregierung und Amprion hätten dagegen behauptet, die Wiese hätte sich „erst nach Erlass des Planfeststellungsbeschlusses im Juli 2022 hin zum geschützten Biotop entwickelt“. Für diese Annahme fehle die Grundlage.

„Wegen des Abwägungsfehlers muss der Beklagte auch über Standort der Umspannanlage abwägend erneut entscheiden.“

Bundesverwaltungsgericht

Es könne auch – anders als bei den anderen Biotopen  - „nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Planfeststellungsbehörde eine Ausnahme erteilt hätte“, wenn das Biotop BT-SI-02793 berücksichtigt worden wäre. Denn die Fläche gehe bei Realisierung der Umspannanlage „in weiten Teilen irreversibel verloren“. Das wiederum habe Folgen für die Abwägung insgesamt, ob die von der Stadt Kreuztal und den privaten Klägern verlangte Erweiterung der Umspannanlage Altenkleusheim die verträglichere Alternative sei. Es könne nicht „ohne Weiteres angenommen werden, dass der Beklagte den Standort auf der Dänischen Wiese auch in Kenntnis des weitgehenden Verlustes eines gesetzlich geschützten Biotops bestätigt hätte“. Und: „Wegen des Abwägungsfehlers muss der Beklagte auch über Standort der Umspannanlage abwägend erneut entscheiden.“

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Das Urteil für die Stadt

Die Stadt Kreuztal hingegen, so der Kern der Begründung des anderen Urteils, habe keinen Anspruch auf gerichtliche Überprüfung der Planungsentscheidung. Ihr sei es verwehrt, „sich zum Kontrolleur anderer staatlicher Behörden (…) aufzuschwingen“. Der Wahl der planfestgestellten Trasse und der Umspannanlage Junkernhees könne sie die Vorzugswürdigkeit der von ihr favorisierten Meiswinkel-Variante und des Umspannanlagen-Standorts Altenkleusheim nur entgegenhalten, wenn bei der Entscheidung für die planfestgestellte Variante ihre eigenen Belange rechtswidrig zu kurz gekommen wären.

Die Stadt sei zwar als Grundstückseigentümerin betroffen. Der Schutz des Eigentums privater Dritter gebiete es allerdings, vorrangig Grundstücke, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, heranzuziehen. Die Funktion des Heestals als städtisches Naherholungsgebiet sei keiner planerischen Entscheidung zuzuschreiben, somit werde auch die vom Grundgesetz geschützte Planungshoheit der Stadt nicht betroffen. „Dass das Heestal als Naherholungsgebiet eine gemeindliche Einrichtung oder Teil einer solchen ist, ist weder dargetan noch ersichtlich.“ Das Vorhaben beeinträchtige nicht das Ortsbild und die Entwicklung der Gemeinde. Für Baudenkmäler, Landschaft und Kulturlandschaft sei die Stadt nicht zuständig, ebenso wenig für das Wohnumfeld ihrer Einwohner.

Der städtische Wander- und Radweg zwischen Junkern- und Mittelhees wird als Baustellenzufahrt und für die Erschließung des Umspannwerks ausgebaut. „Die Absicherung des Weges und der darin bzw. daneben verlaufenden Leitungen sind klassische Fragen der Bauausführung“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung. Dies müsse nicht im Planfeststellungsbeschluss geregelt werden.

In der Begründung des Urteils zu der Klage der Stadt wird auf das nicht beachtete Biotop auf der Dänischen Wiese nicht eingegangen. „Die Vorteile der Umspannanlage Junkernhees wurden fehlerfrei ermittelt“, heißt es dort. Maßgeblich sei die 7,4 Kilometer kürzere Verbindung zum Umspannwerk Setzer Wiese in Geisweid. Das sei günstiger für die Netzstabilität, erfordere weniger Flächenverbrauch für Schutzsteifen zu den Leitungstrassen und mache die Erhöhung von nur drei statt 23 Masten erforderlich.

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