Kreuztal. „Besitzeinweisungen“ sind zugestellt. Bürgermeister Walter Kiß kritisiert die Bezirksregierung: „Ein engagierter Verbündeter“ von Amprion.
Zwei Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sind gemeinsam mit dem Projektleiter des Netzbetreibers Amprion im Heestal unterwegs. Ansgar Klein, einer der Sprecher der Bürgerinitiative Junkernhees, spricht sie an und warnt vor dem unbefugten Betreten von Grundstücken. Ab 2. Dezember soll im Wald von Mittelhees gerodet werden, wo die Masten für die neue Höchstspannungs-Stromtrasse errichtet werden sollen, und ab 1. April 2025 sollen die Mast- und Leitungsbaustellen eingerichtet werden. In dieser Woche sind den ersten betroffenen Grundstückseigentümern, darunter der Stadt Kreuztal, die „Besitzeinweisungsbeschlüsse“ zugestellt worden, die die formelle Enteignung vorwegnehmen. Ansgar Klein: „Wir werden mit Sicherheit dagegen vorgehen.“
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Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgericht im Juni, dessen schriftliche Begründung noch nicht vorliegt, ist der Teil des Planfeststellungsbeschlusses, der den Neubau eines Umspannwerks in Junkernhees betrifft, rechtswidrig. „Die demnach noch vollziehbar gebliebenen Teile des Leitungsbaus werden derzeit realisiert“, antwortete Amprion-Projektsprecher Andreas Lehmann dieser Zeitung auf Anfrage. Der bei Altenkleusheim beginnende Abschnitt erreicht hinter Oberschelden die Landesgrenze. „Wir sind aktuell mit dem Bau im Zeitplan“, sagt der Amprion-Sprecher, „für Anfang nächsten Jahres ist die Anbindung der Umspannanlage Seelbach über den Neubau geplant.“
Besitzeinweisungen betreffen Heestal zwischen Mittelhees und Junkernhees
Die aktuellen Besitzeinweisungen betreffen vor allem das Heestal selbst zwischen Mittelhees und Junkernhees, die auch als Pferdeweide genutzt wird. Waldgenossenschaft und die Eigentümer von Hof Wurmbach im weiteren Verlauf der Trasse haben noch keine Post bekommen. In diesem Teil der Trasse liegt die Transportleitung des Wasserverbandes direkt unter den geplanten Masten. „Wenn die Wasserleitung verlegt werden muss, dann dauert das noch Jahre“, sagt Ansgar Klein. Netzbetreiber Amprion ist offenkundig zuversichtlicher. Der Wasserverband Siegen-Wittgenstein habe „keinerlei Bedenken“, sollen Vertreter des Unternehmens geäußert haben, als bei der Bezirksregierung über die Besitzeinweisung verhandelt wurde. Die Leitung werde, falls notwendig, verlegt. Die Zeit dafür sei im Bauzeitenplan berücksichtigt.
Die Serie der mündlichen Verhandlungen zur Besitzeinweisung hatte unterbrochen werden müssen, nachdem Rechtsanwalt Philipp Heinz, der Bürgerinitiative und Stadt vertritt, die Ablösung des Verhandlungsleiters der Bezirksregierung beantragt hatte. Das Verhalten des Beamten habe dazu geführt, „dass meine Mandantschaft das Vertrauen in eine objektive Amtsführung Ihres Mitarbeiters verloren hat“, hieß es in dem Antrag. Der Befangenheitsantrag sei zurückgewiesen worden, heißt es dazu knapp in dem Besitzeinweisungsbeschluss. „Sodann wurden die Verhandlungen fortgesetzt.“
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„Der sofortige Beginn der Bauarbeiten ist geboten. An der Gebotenheit der Maßnahme bestehen keine Zweifel“, heißt es in einem der Besitzeinweisungsbeschlüsse der Bezirksregierung, die sich der Argumentation von Amprion anschließt, dass auch Flurstücke in dem vom Bundesverwaltungsgericht gesperrten Bereich enteignet werden dürfen: „Entscheidend ist damit, ob der Planfeststellungsbeschluss hinsichtlich des Bereichs, dem die Maßnahmen zugeordnet werden können, vollziehbar ist.“ Gemeint ist, dass zum Beispiel Flächen für eine Zuwegung zu einer Baustelle in Anspruch genommen werden dürfen, für die nach wie vor Baurecht besteht.
Geplanter Baubeginn wegen „Versorgungssicherheit“ nicht verschiebbar
„Aus Gründen der Netzsituation und Versorgungssicherheit“ müsse während der Bauphase die bestehende 220-kV-Leitung dauerhaft in Betrieb gehalten werden. Zur Inbetriebnahme des Provisoriums seien mit den Netzbetreibern Westnetz GmbH und Deutsche Bahn AG abgestimmte Freischaltungen erforderlich, heißt es in dem Beschluss der Bezirksregierung, warum die Besitzeinweisung sofort erfolgen müsse. Die Freischaltungen seien „mit einem Vorlauf von ca. 12 Monaten beantragt und genehmigt worden, kurzfristige Änderungen sind aufgrund des aufwändigen Abstimmungs- und Freigabeprozesses nicht möglich.“ Zudem würden auf 13 Kilometern Leitungslänge Leitungen der Westnetz GmbH und auf 23 Kilometern Leitungslänge Leitungen der Deutschen Bahn mitgenommen. Auch hier seien frühzeitige und detaillierte Abstimmungen erforderlich, die nicht kurzfristig geändert werden könnten.
Anwalt Philipp Heinz hält dagegen: Im Bereich der Besitzeinweisungen gebe es kein Provisorium, somit auch keinen „netzkritischen Zustand.“ Und mit dem Provisorium an Mast 371 hinter Fellinghausen könne Amprion nichts anfangen: Der sei, bereits nach erfolgter Besitzeinweisung, durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts blockiert. Die Bezirksregierung argumentiert dagegen: Der betroffene Bereich sei „nur ein Baustein eines erheblich größeren Gesamtkonstruktes“. Amprion habe „glaubhaft dargestellt, dass der in Rede stehende Bereich für dessen Erfolg vonnöten ist“.
Bürgerinitiative setzt auf den Winterschlaf der Haselmaus
Beim Verhandlungstermin vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig war auch Prof. Dr. Klaudia Witte, im Ehrenamt Vorsitzende des Naturschutzbundes Siegen-Wittgenstein, als Sachverständige geladen. Ihre Expertise will die Bürgerinitiative jetzt erneut in Anspruch nehmen. „Wir haben die sichere Erkenntnis, dass da die Haselmaus vorkommt“, sagt Ansgar Klein, „das muss von der Naturschutzbehörde überprüft werden.“ Eine Umsiedlung der Haselmaus wäre erst nach deren Winterschlaf im April möglich, wenn Bäume – dann in der längst wieder begonnenen Vegetationsperiode – nicht mehr gefällt werden dürfen. Für die Bürgerinitiative ist das ein Argument gegen die jetzt bereits erfolgte, mit dem Bauzeitenplan begründete Besitzeinweisung. Die Bezirksregierung weist dagegen auf Schutzmaßnahmen für die Haselmaus im Planfeststellungsbeschluss hin: „Die Überprüfung und die Festsetzung weiterer Maßnahmen ist nicht Aufgabe der Enteignungsbehörde.“
Amprion: Entscheidung über Umspannwerk noch offen
Wie die Planung in Junkernhees weitergeht, hat Amprion noch nicht entscheiden: „Wir warten die schriftliche Urteilsbegründung des Bundesverwaltungsgerichtes ab und entscheiden darauf aufbauend, wie wir weiter vorgehen.“ Denkbar ist, dass die Standort-Alternativen für das Umspannwerk neu abgewogen und dabei die bis dahin nicht kartierten Biotope berücksichtigt werden. Bürgerinitiative und Stadt Kreuztal hoffen, dass dann die von ihnen bevorzugte Erweiterung des Umspannwerks Altenkleusheim mehr Punkte bekommt und in der Dänischen Wiese in Junkernhees nicht gebaut wird.
Stadt Kreuztal wird Rechtsschutz gegen Enteignung beantragen
Die Stadt Kreuztal wird die von der Bezirksregierung auf Antrag von Amprion vorgenommenen Besitzeinweisungen im Heestal nicht hinnehmen. Das hat Bürgermeister Walter Kiß im Rat auf Anfrage von Karl-Jürgen Roth (Grüne) geantwortet. Die Stadt werde einstweiligen Rechtsschutz beantragen, sagte Kiß. Der sofortige Baubeginn, mit dem Amprion die Notwendigkeit der Enteignungen begründet, sei ohnehin nicht zu realisieren. Kritik ließ Kiß an der Arnsberger Enteignungsbehörde durchklingen: „Amprion hat in der Bezirksregierung einen sehr starken Verbündeten.“
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