Siegen. Die Fürsten tragen ihren Zank auf dem Rücken der Siegener aus: Heimat- und Geschichtsverein präsentiert spannende Geschichte(n) zur 800-Jahrfeier.

Es muss hoch her gegangen sein im Siegen des 17. Jahrhunderts– wahrscheinlich nicht ansatzweise so vergnüglich, wie sich die Darstellung von Christian Brachthäuser heute liest: Fürst Wilhelm Hyacinth wird von seinem Vater Johann Franz Desideratus düpiert, indem er die Siegener seinen Söhnen aus dritter Ehe (eine „Mesalliance“, fand der Adel damals) huldigen lässt.

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Das Wappen in der Marienkirche

Nicht nur, dass nun der Haussegen im katholischen Haus Nassau-Siegen schief hängt. Es gibt ja im geteilten Fürstentum auch noch den reformierten Landesherrn Wilhelm Moritz. Wer den Halbbrüdern Wilhelm Hyacinths huldigt, zahlt 1000 Dukaten Strafe, bestimmt er. Der katholische Landesherr übermittelt dem Siegener Magistrat seine Antwort: Wer nicht erscheint, zahlt 4000 Dukaten. Darauf erhöht Wilhelm Moritz auf 10.000 …. Acht Jahre lang, bis 1694, geht es so weiter.

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Christian Brachthäuser, Bibliotheksassistent im Siegener Stadtarchiv, verdankt diese Geschichte seinem früheren Chef, dem 2021 verstorbenen Stadtarchivar Gerhard Menk. Sie wäre nie entdeckt worden, wenn nicht einmal nach dem Wappen über dem Fürstenstuhl der Marienkirche gefragt worden wäre: Neben dem Hauswappen Wilhelm Hyacinths ist das Wappen des Hauses Hohenlohe-Schillingsfürst angebracht, seines Adoptivsohns, den er in den Streit gegen die Halbbrüder schickt. Nichts als eine Provokation, zu besichtigen heute im Oberen Schloss.

Erich Koch hat die Alte Poststraße in Siegen mit Blick auf die Marienkirche vor dem 2. Weltkrieg fotografiert.
Erich Koch hat die Alte Poststraße in Siegen mit Blick auf die Marienkirche vor dem 2. Weltkrieg fotografiert. © Privat

Es sind solche Details, die die Siegener Stadtgeschichte spannend machen. Und davon gibt es viele im opulenten Band 101 von „Siegerland“, den Blättern des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins. Das fast 250 Seiten starke Sonder„heft“ ist ein Beitrag zur 800-Jahrfeier der Stadt, gesponsort vom Jubiläumsfonds „175 Jahr IHK Siegen“ und mitten im Jubiläumsjahr der vorerst einzige historische Beitrag, während das offizielle wissenschaftliche Stadtgeschichtsbuch auf sich warten lässt.

Die Herren in der Stadt

Einer der zentralen Aufsätze ist der von Andreas Bingener über Wirtschaft, Rat und Verwaltung vom 14. bis 17. Jahrhundert, begonnen mit der Zeit als die Siegener Altstadt sich noch außerhalb der Stadtmauer befand, vor der Martinikirche, wo die Weiß in die Sieg mündet. 1527/28 werden die Reste dieser Altstadt abgebrannt, weil die Stadt einen Angriff aus Hessen erwartet. Die Siegener leben von Eisen und Stahl, von der Textilherstellung, von der Gerberei. Das Rathaus ist Kaufhaus, im Untergeschoss haben Metzger ihren Verkaufsraum. Viele verschiedene Handwerke sind in der Stadt vertreten, die sich zwischen dem (Oberen) Schloss und dem Franziskanerkloster unten entwickelt, aus dem später das Untere Schloss wird. Bis zu 2600 Menschen leben hier im Jahr 1522.

Auf Lebenszeit von den Zünften, allen voran den Stahlschmieden, ernannte Schöffen und Ratsverwandte bilden den „Gemeinen Rat“, an deren Spitze die von ihnen jährlich gewählten Bürgermeister stehen, deren Gegenüber der vom Landesherrn ernannte Stadtschultheiß ist. „Geschäftigkeit und Regsamkeit“ zeichnen die Bürger der „Bergstadt“ aus, stellt Andreas Bingener fest.

Wasser für Siegen

Ohne ihr Umland konnte die Stadt Siegen nie leben. Die Bürger mussten Nahrungsmittel, Holzkohle und Eichenlohe einführen, vor den drei Stadttoren wurde Landwirtschaft im Nebenerwerb betrieben, erinnert Andreas Bingener. Vor allem aber fehlt es am Trinkwasser. Wilfried Lerchstein hat bereits vor einigen Jahren erzählt, wie Obernauer, Afholderbacher und Sohlbacher Weiher im Amt Netphen entstanden. Sie dienten der Bewässerung der Wiesen und waren ein von der Stadt Siegen zu leistender Ausgleich. Die baute nämlich, gegen den erbitterten Widerstand der Netpherländer, gestützt auf einen „allerhöchsten Erlass“, ab 1888 eine 25 Kilometer lange Quellwasserleitung bis zum Siegener Hasengarten.

Den Sohlbacher Weiher gibt es heute noch. Angelegt wurde er auf Kosten der Stadt Siegen.
Den Sohlbacher Weiher gibt es heute noch. Angelegt wurde er auf Kosten der Stadt Siegen. © Jürgen Schade | Jürgen Schade

Seitdem waren die katholischen Netpherländer und die evangelischen Siegener sich erst recht nicht mehr grün, erzählt Wilfried Lerchstein: „Mal waren es einzelne Gemeinden des Amtes Netphen, die ohne Absprache Schieber mit dem Ziel der Wiesenbewässerung geöffnet hatten, mal war es die Stadt Siegen, die vor der Grummeternte plötzlich das Wasser aus einem der Stauweiher abgelassen hatte, wodurch die darunter liegenden Wiesen mit Schlamm überflutet wurden.“

1910 reichte das Wasser aus dem Netpherland schon nicht mehr aus.1913 wurde das Grundwasserpumpwerk im Dreis-Tiefenbacher Siegtal in Betrieb genommen; das im Jugendstil errichtete Wasserwerk der Stadt Siegen steht auch heute noch im Köhlerweg. Aus den Alexanderbrunnen versorgte sich bis 1970 auch die Stadt Weidenau mit Wasser. Heute versorgt die Obernautalsperre einen großen Teil des Kreisgebietes – so gesehen hängt Siegen wohl für immer am Netphener Tropf.

Adolf Wurmbach und 1924

Traute Fries ist Verfasserin von Beiträgen zum Leben der Juden im Siegerland und zu Adolf Wurmbach. Der Lehrer aus Littfeld ist als Heimatdichter hervorgetreten, zur Siegener 700-Jahrfeier soll er das Festspiel „Hermann von Wilnsdorf“ inszenieren. Es kommt nicht zur Aufführung, sondern zum Skandal. Wurmbach werden seine pazifistischen Veröffentlichungen vorgeworfen. „Die tiefe Demütigung verwand Wurmbach sein Leben lang nicht“, schreibt Traute Fries. Unter dem NS-Regime trifft ihn ein Berufsverbot, dennoch kann er auch in der National-Zeitung bis 1945 Mundartbeiträge veröffentlichen. „Die unterstellte Nähe zum Nationalsozialismus ist nicht gerechtfertigt“, betont die Ehrenvorsitzende des Aktiven Museums. „Hermann von Wilnsdorf“ wird schließlich erstmals 1987 von der Theater AG der Realschule Wilnsdorf aufgeführt. Zum Stadtjubiläum 1924 werden stattdessen Monologe aus Goethes Trauerspiel Egmont vorgetragen.

Adolf Wurmbach wurde vor 100 Jahren aus dem Siegener Festprogramm herausgeworfen.
Adolf Wurmbach wurde vor 100 Jahren aus dem Siegener Festprogramm herausgeworfen. © Verlag Wielandschmiede | Dr. phil. Paul Fickeler

Der erste Aufsatz im 800-Jahre-Sonderheft fängt, wie es sich für Historiker gehört, ganz am Anfang an –  und ist allerschwerste Kost. Geowissenschaftler Leander Wilhelm Kühn gibt, so die Überschrift, „tiefe Einblicke in den Untergrund des Siegerlandes“. Nicht Dokumente, sondern archäologische Funde sind der Stoff, auf dem seine Untersuchung gründet, die folglich ganz weit in die Vergangenheit führt: „Der Untergrund des Siegerlandes lässt die erdgeschichtliche Entwicklung der Region bis in eine Zeit von mindestens 750 Millionen Jahren nachvollziehen.“ Geschichte ist eben spannend. Aber nicht immer einfach.

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