Siegen. Wo heute Kaufhaus und Uni-Hörsäle unter einem Dach sind, stand einst das Ballhaus. Hier steht, was da so los war…
Da, wo heute am Unteren Schloss Hörsäle der Uni sind und in den unteren Etagen das Galeria-Kaufhaus Waren verkauft, stand einmal ein Ballhaus. Ballhaus? „Hatte die fürstliche Familie hier einst Tanz- und Maskenbälle zu Amüsement der höfischen Gesellschaft veranstalten lassen?“, fragt Christian Brachthäuser. Der Bibliotheksassistent des Stadtarchivs beantwortet die Frage in einem Aufsatz der neuesten „Siegener Beiträge“ der Siegener Geschichtswerkstatt.
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Erst Sport, dann Theater
Mit der hohlen Hand kleine Bälle gegen die Klosterwand schleudern: Dieser Sport der Mönche ist in der frühen Neuzeit vom Adel entdeckt werden – ein Vorläufer des Tennis. Das eben in Ballhäusern gespielt wurde. Auch von den nassauischen Grafen. Um 1617 jedenfalls stand auch in Siegen für die Studenten der Ritter- und Kriegsschule das Ballspiel auf dem Stundenplan: „Es trägt bei zur Gesundheit, vermehrt die Kraft und Behendigkeit des Körpers, es tritt dem Dickwerden entgegen…“, vermerkte ein akademischer Zeitgenosse. 1732 wurde das Ballhaus als Sportanlage errichtet. Es schloss, mit dem Marstall, an den Dicken Turm an und vervollständigte das Untere Schloss, das nach dem Stadtbrand von 1695 auf dem Gelände des Nassauischen Hofes neu gebaut wurde, dem Sitz der protestantischen Linie des geteilten Fürstentums Nassau-Siegen.
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Es sei „nicht gesichert, ob das Siegener Ballhaus je für sportive Wettstreite genutzt wurde“, schreibt Christian Brachthäuser. Denn eigentlich war die Mode der Tennishallen auch schon wieder vorbei, als das Ballhaus in Siegen endlich fertig geworden war. Theater war jetzt angesagt. Fürst Friedrich Wilhelm war zu dieser Zeit schon nicht mehr wirklich wichtig – während der katholische Wilhelm Hyazinth an der Schwelle zum Größenwahn vom Oberen Schloss aus regierte, waren die Vertreter der aussterbenden protestantischen Linie für die mächtige oranische Verwandtschaft „verarmte Provinzfürsten“, wie Brachthäuser es formuliert. Vielleicht wollte Friedrich Wilhelm, der sich 1734 mit 27 Jahren starb, mit einem repräsentativen Ballhaus gegen die Bedeutungslosigkeit anbauen?
Zur Zeit der französischen Besatzung von 1806 bis 1813 wurde das Ballhaus, in dem zuletzt Fösser gefertigt und verletzte französische Kriegsgefangene gepflegt wurden, „Comödien-Hauß“. Christian Brachthäuser: „Die sichtlich erregte Bevölkerung – angetrieben von einer irrationalen Angst vor einer Erosion der öffentlichen Ordnung, ja des Sittenverfalls durch die Auftritte mutmaßlicher ‚Vaganten‘ – zeigte sich jedoch in höchstem Maße besorgt, eine Feuersbrunst könnte die gesamte Kölner Straße in Schutt und Asche legen.“
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Schauspieltruppe bringt die Siegener in Wallung
Die Bürger protestierten vergeblich. 4700 Besucher – Siegen hatte damals nur rund 3800 Einwohner – sahen im Sommer 1808 in sieben Wochen die Aufführungen der Schauspielertruppe von Anton Thomala. 1811 ließ Schauspieldirektor Heinrich Reinhard aus Mainz ein Lamm, „Opferknaben und –mädchen“ auftreten. Feuer brach aus, und es wurde laut: „Die aus der Commedie kommenden Menschen, worunter viele Betrunkene gewesen seyen, hätten einen solchen specatculösen lerm gemacht, daß die Bürger aus dem Schlaf erwacht und mehrere ganz erschrocken in die fenster gekommen seyen“, wird Stadtwachtmeister Müller zitiert. Die Schauspieler, die vergeblich auf Gage warten, suchen das Weite, der Prinzipal deklamiert noch einmal allein Balladen und verschwindet dann auch.
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Bis zum Bombenangriff Stadtschule, nach dem Krieg Behördenhaus
Die nassauische Herrschaft ist vorbei, 1815 wird Siegen preußisch. In den Marstall zieht die höhere Bürgerschule ein, ins Ballhaus die Knabenschule, später auch die Mädchenschule. 1944 werden die Gebäude beim Bombenangriff am 16. Dezember zerstört. Die Stadtschule wird nicht wieder eingerichtet, am Unteren Schloss bleiben die Landesbehörden, das Land- und Amtsgericht, das schon 1894 an der Stelle des Torgebäudes errichtete Post- und Telegrafenamtes (heute: Museum für Gegenwartskunst), das um 1930 im Wittgensteiner Flügel eingerichtete Gefängnis – und natürlich die noch vom Nassauischen Hof übrig gebliebene Fürstengruft. An der Stelle von Ballhaus und Marstall wird 1952 ein Behördenhaus (Brachthäuser: „Modern, aber spartanisch“) errichtet, das schon 1970 wieder abgerissen wird und dem Kaufhaus Neckermann Platz macht.
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