Siegen. Die Altstadt ist sehr idyllisch, die Oberstadt nicht. Oder? Historiker wirbt für unvoreingenommenen, zweiten Blick: Das alte Siegen ist noch da.

Der mittelalterliche und neuzeitliche Grundriss der Stadt Siegen ist Denkmal des Monats Mai des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe. Wie der LWL mitteilt, ist der Hintergrund der Auszeichnung: In weiten Teilen der Siegener Oberstadt gehen die Verläufe von Wegen und Straßen, sowie die Lage städtebaulicher Dominanten noch auf die Phase der Stadtgründung vor etwa 800 Jahren sowie die folgenden Jahrhunderte zurück.

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„Während die Bebauung über die Jahrhunderte zahlreichen Veränderungen unterliegt, ist die Grundrissstruktur historischer Siedlungskerne zumeist sehr beständig“, sagt Nico Vincent Völkel vom LWL-Denkmalfachamt. Er ist Experte für die städtebauliche Denkmalpflege, deren Anliegen nach eigenen Angaben die Bewahrung und behutsame Entwicklung historischer Siedlungsareale sowie die Betrachtung des Denkmals im Raum ist.

Siegen: Kölner, Löhr- und Marburger Straße immer noch die wichtigsten Verkehrswege

Anlässlich des 800-jährigen Stadtjubiläums hat Nico Vincent Völkel sich laut Mitteilung intensiv mit Siegens Stadtentwicklung beschäftigt. „Die heutige Struktur und Gliederung der Oberstadt decken sich in ihren Grundzügen weitgehend mit den ältesten Kartendarstellungen“, fasst der Denkmalpfleger zusammen. „Der Verlauf der in Teilen noch erhaltenen Stadtmauer bestimmt zusammen mit den topografischen Vorgaben die Ausdehnung des Stadtgebiets. Als wichtigste Verkehrswege dienen nach wie vor die Kölner, die Löhr- und die Marburger Straße, die früher von den drei Stadttoren zum Marktplatz führten. Die erste Nennung von Straßen und Quartieren, die auch heute noch identifiziert werden können, erfolgte 1404. Dazu gehört etwa das noch ablesbare Quartier ‚Zum halben Mond‘ mit entsprechender Form.“

Ansicht Siegens von Nordwesten aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian, 1646.
Ansicht Siegens von Nordwesten aus der Topographia Hassiae von Matthäus Merian, 1646. © Deutsches Historisches Museum | CC-BY-NC 4.0 International

Erst auf den zweiten Blick erschließt sich die Tatsache, dass die Struktur des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Siegens in ihren Grundzügen auf dem Großteil des Siegbergs fortdauert.
Nico Vincent Völkel - LWL-Denkmalfachamt

Bis heute vermittelt die von Kriegszerstörungen weitgehend verschonte sogenannte Altstadt einen Eindruck von der kleinteiligen und von engen Gassen geprägten Struktur des mittelalterlichen Siegens. Doch auch in der wiederaufgebauten Oberstadt, so der Städtebauexperte Völkel, hat sich diese Struktur erhalten. Nachdem etwa 80 Prozent des Stadtgebiets im Zweiten Weltkrieg zerstört worden waren, entschied man sich für einen Wiederaufbau auf Grundlage des überlieferten Stadtgrundrisses. Mit Ausnahme der Kirchen, des Unteren Schlosses und des Rathauses verzichtete man dabei auf die Rekonstruktion historischer Bauten. „Die Zahl unmaßstäblicher späterer Eingriffe hielt sich in Grenzen“, so Völkel.

Die Preußische Uraufnahme (1826-1850) zeigt Siegen kurz vor dem Beginn des großräumigen Ausgreifens der Stadt auch in die Tallagen. Gut erkennbar ist die Gliederung in Baublöcke.
Die Preußische Uraufnahme (1826-1850) zeigt Siegen kurz vor dem Beginn des großräumigen Ausgreifens der Stadt auch in die Tallagen. Gut erkennbar ist die Gliederung in Baublöcke. © Bezirksregierung Köln | Geobasis NRW

Der Denkmalpfleger wirbt für einen unvoreingenommenen Blick: „Das Erscheinungsbild der Oberstadt wird heute bisweilen kritisch bewertet und in einen Gegensatz zur als ‚schön‘ wahrgenommenen Altstadt gestellt. Anstelle von Fachwerkarchitektur herrscht hier eine schlichte und unauffällige Neubebauung vor. Erst auf den zweiten Blick erschließt sich die Tatsache, dass die Struktur des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Siegens in ihren Grundzügen auf dem Großteil des Siegbergs fortdauert.“

Siegen: Die Nassauer Grafen bauten ihre Stadt nach Plan im Schutz der Burg (Oberes Schloss)

Siegen feiert sein 800-jähriges Bestehen in 2024. Die Stadt nimmt dabei Bezug auf die Teilungsurkunde von 1224 zwischen dem Grafen von Nassau und dem Kölner Erzbischof. Siegen wird dort als neuerbaute Stadt bezeichnet. Obwohl die Besiedlung des Stadtgebietes bereits seit dem Frühmittelalter belegt ist, kann man davon ausgehen, dass die Neugründung auf dem Siegberg, auf welche sich die Urkunde bezieht, zwischen 1170 und 1220 erfolgt ist. Es ist anzunehmen, dass die Nassauer Grafen mehr oder weniger planmäßig vorgingen und die Stadt im Schutz der wohl ebenfalls um 1200 entstandenen Burg, aus der sich das Obere Schloss entwickelt hat, errichteten. Städtebauliche Konstanten, die den Grundriss und das Stadtbild maßgeblich bestimmen, sind das Obere und Untere Schloss, das Rathaus sowie die Martini-, Nikolai- und Marienkirche.

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Im 16. und 17. Jahrhundert erfuhr die Stadtstruktur durch Brände und die Ausweitung der Befestigungsanlagen sowie den Bau des Unteren Schlosses und der Marienkirche um 1700 größere Veränderungen.