Hagen. Die Gartenvorstadt Helfe in Hagen wurde als Mustersiedlung entworfen. Bis heute gehört sie zu den schönsten Wohngebieten in der Stadt.
Schon der Name klingt ein wenig lautmalerisch und lässt eine blühende Parkanlage erwarten: Gartenvorstadt Helfe. Und tatsächlich hat es Bernhard Hillebrand (88) auch nie bedauert, mit seiner Familie vor 52 Jahren ein schmuckes Einfamilienhaus an der Letterhausstraße bezogen zu haben: „Ursprünglich wollte ich gar nicht in Hagen bleiben, aber dann hat es sich so ergeben, dass wir hier gebaut haben. Und ich kann nur sagen: Ich bereue nichts.“
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Bernhard Hillebrand stammt ursprünglich aus Brilon, manchmal bezeichnet er sich selbst im Scherz noch als „Migrant“. Doch er ist längst heimisch geworden in Hagen und eben besonders in der Wohnsiedlung „Gartenvorstadt Helfe“, mit deren Planung und Errichtung in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Wohnen in Hagen neu gedacht wurde.
Moderne Wohnsiedlungen in Hagen
Zunächst habe die Stadt Hagen von renommierten Städteplanern zukunftsweisende Vorschläge für moderne Wohnsiedlungen im Rahmen der Stadterweiterung erarbeiten lassen, so Dr. Ralf Blank, Leiter des Fachdienstes Museen und Archive der Stadt Hagen: „1959 zum Beispiel für die Gartenvorstadt Emsterfeld und 1961 für die Gartenvorstadt Helfe.“
Absicht sei es gewesen, so Blank, die neu zu errichtenden Wohngebiete in den Außenbezirken der Stadt als jeweils in Grün eingebettete „Nachbarschaften“ zu bauen, die zwar begrenzten Umfang haben sollten, aber über jeweils eigene Geschäfte, Schulen, Spielplätze und Sportanlagen verfügen sollten. So wurde am 2. Juli 1976 die Gesamtschule Fritz Steinhoff durch den damaligen Oberbürgermeister Rudolf Loskand als erste Gesamtschule in Hagen ihrer Bestimmung übergeben.
Häuslerbauer im dritten Bauabschnitt
Zu jenem Zeitpunkt lebte Bernhard Hillebrand bereits seit vier Jahren an der Letterhausstraße. Er erinnert sich noch genau: „Am 22. Juni 1972 sind wir eingezogen. Es war ein Mittwoch.“ Er sei eigentlich als Hoferbe für den landwirtschaftlichen Betrieb seines Vaters im Hochsauerland vorgesehen gewesen, habe jedoch einen anderen Weg eingeschlagen und sei Lehrer geworden.
Nach Hagen kam Hillebrand im Rahmen seines Referendariats und hatte zunächst gar nicht vor, für immer zu bleiben. Inzwischen hatte er jedoch geheiratet und lebte mit seiner Frau und der ersten Tochter in einer Wohnung in der Potthofstraße. Als sich dann die Gelegenheit ergab, in der Gartenvorstadt Helfe, wo mittlerweile der dritte Bauabschnitt aufgerufen worden war, ein Eigenheim zu bauen, packte er die Chance beim Schopfe: „Aus Hagen wieder wegzugehen, hätte uns fünf Jahre Familienleben gekostet. Das musste nicht sein.“
Vorzeige-Bauvorhaben der Bundesregierung
Tatsächlich war mit den Erschließungsarbeiten für die Gartenvorstadt bereits 1963 begonnen worden, im folgenden Jahr seien die ersten Häuser errichtet worden. Die Errichtung der Siedlung sei auch im Hinblick auf den zukünftigen Wohnbedarf in Folge der bereits damals geplanten Erschließung des unteren Lennetals als neues Industriegebiet erfolgt, blickt Historiker Ralf Blank auf ein wohldurchdachtes Kapitel Hagener Stadtgeschichte zurück: „Die Gartenvorstadt Helfe war seinerzeit aber auch ein Vorzeige-Bauvorhaben des Bundesministeriums für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung.“ Parallel dazu seien in Haspe die neuen Wohnsiedlungen Spielbrink mit 970 Wohneinheiten und Quambusch-Twitting mit 850 Wohneinheiten errichten worden.
Unter der Regie der Westfälisch-Lippischen Heimstätten GmbH wurden 1964 50 öffentlich geförderte und zwölf freifinanzierte Eigenheime errichtet, im zweiten Bauabschnitt folgten ab 1965 noch einmal 54 öffentlich geförderte sowie 17 frei finanzierte Eigenheime. Für den Haustyp A (eingeschossig, 92 qm Wohnfläche, 350 bis 450 qm Grundstück) wurden einschließlich Erschließung, Garage, Einbauküche und Heizung 109.000 D-Mark veranschlagt. Wem ein Landesdarlehen gewährt wurde, der durfte sich überdies über eine auf fünf Jahre befristete Aufwendungsbeihilfe von 80 Pfennig monatlich je qm Wohnfläche freuen.
Insgesamt wurden im Rahmen der Wohnsiedlung Gartenvorstadt Helfe, die sich in etwa zwischen Pappelstraße, Helfer Straße und Buschstraße erstreckt, 1500 Wohnungen erstellt. Straßen und Fußgängerwege sind voneinander getrennt, viele Häuser sind an die Fernheizung der Hagener Müllverbrennungsanlage angeschlossen. Die für die Gartenvorstadt so typischen Ein- und Zweifamilienhäuser mit Flachdach, auch Containerbauten genannt, sind stilprägend für die Architektur der 60er-Jahre.
Unbeschwerte Kindheit
Bernhard Hillebrand, der es später am Cuno-Berufskolleg in Hagen bis zum Studiendirektor brachte, entschied sich gegen das damals populäre Fertighaus und errichtete sein Eigenheim in konventioneller Bauweise. „Für 190.000 Mark, ich habe alles selbst finanziert“, berichtet er. Und er habe es nicht besser treffen können, die Kinder seien in der Siedlung unbeschwert herangewachsen, mit den Nachbarn habe man sich immer bestens verstanden: „Wir haben viele Feste gefeiert. Aber eine gute Nachbarschaft ist, wie so vieles im Leben, keine Einbahnstraße, sondern beruht auf Gegenseitigkeit“, plaudert der 88-Jährige aus einem reichen Erfahrungsschatz.
Ein „Migrant“ ist Bernhard Hillebrand schon lange nicht mehr. Vielmehr war er Teil eines großangelegten Siedlungsprojektes, das zu einem der gelungensten Abschnitte der städtebaulichen Entwicklung in Hagen gehört.