Hagen. Eine breite Mehrheit des Hagener Rates spricht sich für die Teilnahme am Missimo-Projekt des Landes aus. Pilotstädte berichten von Erfolgen.
Die Hagener Behörden sollen künftig deutlich konsequenter gegen jene Teile der Stadtgesellschaft vorgehen, die mit illegalen Tricks versuchen, unrechtmäßig die Sozialkassen zu plündern. Dafür hat sich jetzt mit breiter Mehrheit (zwei Nein-Stimmen der Linken) der Hagener Rat ausgesprochen. Hintergrund dieser Hagen-Aktiv-Initiative ist das NRW-Projekt „Missimo“, das bereits vor fünf Jahren aufgelegt wurde und seitdem in mehreren Städten zu bemerkenswerten Erfolgen geführt hat.
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) betonte bereits bei der Missimo-Vorstellung mit Blick auf die anhaltende Zuwanderung, dass es vor allem darum gehe, skrupellose Kriminelle daran zu hindern, den deutschen Sozialstaat auszunutzen. Bei dem Programm arbeiten eine Taskforce des Landeskriminalamts, Staatsanwaltschaft, Kommunalbehörden und die Familienkasse NRW eng zusammen. Systematisch werden Informationen von Jugendämtern, Schulen und Einwohnermeldebehörden mit dem Datensatz der Kindergeld-Bezieher abgeglichen. Verknüpfungsmöglichkeiten, die der Datenschutz durchaus zulässt, werden dazu erstmals systematisch genutzt.
„In Hagen ist die Teilnahme an diesem Programm längst überfällig.“
„In Hagen ist die Teilnahme an diesem Programm längst überfällig“, machte Fraktionssprecher Michael Gronwald im Rat die Haltung der Wählergemeinschaft deutlich, denn die Probleme durch die Zuwanderung lägen in der Stadt schließlich auf der Hand. Und die Hagener hätten angesichts der aktuellen Situation nicht das Gefühl, dass die Lage sich zum Positiven verändere. Missimo-Offensiven in Krefeld, Gelsenkirchen, Wuppertal oder auch Duisburg hätten hingegen Hunderte Kindergeldmissbrauchsfälle offengelegt, aber auch zu Gegenmaßnahmen geführt. Zugleich, so Gronwald, würde in diesen Städten ein Rückgang der Zuwanderung registriert.
Erfolge in Wuppertal
Eine These, die wiederum von Oberbürgermeister Erik O. Schulz aufgrund seiner Kontakte zu den dortigen Amtskollegen bestritten wurde: „Natürlich haben auch wir Interesse, an dem Projekt teilzunehmen, allerdings will ich keine Hoffnungen wecken, dass damit die Zuwanderung eingebremst wird.“ Zugleich machte der Verwaltungschef deutlich, dass es bei dem Projekt keineswegs um die Stigmatisierung von Gruppen und Ethnien gehe, sondern einzig und allein um die Bekämpfung von Missbrauch.
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In Hagens Nachbarstadt Wuppertal, die bereits seit zwei Jahren als Modellkommune am Projekt teilnimmt, wurden bereits zwei Abgleichsrunden der Behörden durchgezogen. „Weniger als ein Jahr nach der ersten Überprüfung sind erneut zahlreiche Unregelmäßigkeiten durch Missimo aufgedeckt worden“, erläuterte Thomas Lenz, Vorstandsvorsitzender des Wuppertaler Jobcenters, bei der Vorlage der Bilanzzahlen. „Hieran sieht man, dass der Entschluss der Stadtspitze zur kontinuierlichen Verstetigung des Projektes richtig ist.“
Die Maßnahmen richten sich ursprünglich gegen Tätergruppierungen, die vorrangig kinderreiche Familien, hauptsächlich aus Südosteuropa und den Balkanstaaten, mit falschen Versprechen nach Deutschland lotsen, für sie Sozialleistungen (vor allem Kindergeld) beantragen und sie in mitunter menschenunwürdigen Unterkünften wohnen lassen. Oft werden diese Familienmitglieder, so die Beobachtungen der Ämter, parallel zu weiteren Straftaten animiert, wie zum Beispiel die Aufnahme von illegalen Beschäftigungen. Reisen die Familien in ihre Heimat zurück, so fließen die Sozialleistungen, besonders das Kindergeld, teilweise bis zum 18. Lebensjahr – rechtswidrig – weiter.
Familienkasse kämpft gegen Kriminelle
Um dies zu verhindern, ist eine enge Zusammenarbeit der Behörden notwendig. Sören Haack, Leiter der Familienkasse NRW West, betonte vor dem Hintergrund der Wuppertaler Erfolge, dass die Maßnahmen vorzugsweise bei der Bekämpfung des unrechtmäßigen Bezugs von Kindergeld greifen würden. Zugleich machte er deutlich, dass es bei dem Projekt keineswegs darum gehe, Menschen ihre rechtmäßigen Leistungen vorzuenthalten. Das Projekt solle vielmehr Kriminalität aufdecken, die die Armut und Nöte von Menschen ausnutzt. Durch den präventiven und öffentlichkeitswirksamen Ansatz sollten gleichzeitig derartige Straftaten in Zukunft verhindert werden.
Bessere Kontrolle bei Schulbescheinigungen
Parallel zum Missimo-Projekt erprobt Nordrhein-Westfalen seit drei Jahren die Einführung von fälschungssicheren Schulbescheinigungen. Ziel sei es, Verwaltungsleistungen im Zuge der Digitalisierung zu erleichtern und Rechtssicherheit bei dem Bezug von Kindergeldleistungen zu gewährleisten.
Dazu hat Düsseldorf zusammen mit den drei Familienkassen in Nordrhein-Westfalen sowie der Familienkassen-Direktion in Nürnberg fälschungssichere Schulbescheinigungen mit analogen und digitalen Sicherheitsmerkmalen entwickelt, die an 99 Schulen in drei Modellkommunen getestet werden. Die Dokumente sollen nach einer erfolgreichen Erprobung landesweit zum Einsatz kommen.
NRW-Kommunalministerin Ina Scharrenbach erläutert: „Mit den fälschungssicheren Schulbescheinigungen wollen wir dem Ergaunern von Kindergeld einen Riegel vorschieben. Damit wird auf Kosten der Steuerzahler betrogen – und den Kommunen fehlt das Geld an anderen Stellen.“
Die fälschungssicheren Schulbescheinigungen können nur durch die Schulen selbst erstellt werden und liefern den Familienkassen über einen QR-Code verschlüsselte Informationen über die Echtheit der Bescheinigung.
Bislang gibt es keine einheitlichen Standards für die Ausstellung von Schulbescheinigungen. Die Schulen sind selbst dafür verantwortlich, in welcher Form und mit welchen Inhalten sie ihren Schülern und Schülerinnen die Aufnahme in die Schule und die Teilnahme am Schulunterricht bestätigen.
Dies haben sich Täterinnen und Täter zunutze gemacht und durch selbst erstellte Schulbescheinigungen die Familienkassen über die Existenz und den Schulbesuch von Kindern getäuscht, die es zum Teil überhaupt nicht gibt oder die mit ihren Eltern längst nicht mehr in Deutschland wohnen.
„Wir sind auf einem guten Weg, Teil des Projektes zu werden.“
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Der Mehrwert für die beteiligten Städte und die Gesellschaft durch das Missimo-Projekt ist vielschichtig. Einerseits werden finanzielle Schäden durch teils bereits langfristig ausgereiste Familien verhindert, andererseits fliegen Verstöße gegen das Melderecht und Probleme im sozialen oder integrativen Bereich auf. Jedes Kind, das nicht zur Schule geht, das aber nach der Ansprache durch die Polizei wieder am Unterricht teilnimmt, ist beispielsweise ein nicht zu beziffernder, aber dennoch immenser Gewinn hinsichtlich des zunehmenden Schulabsentismus bei manchen Bevölkerungsgruppen.
Hagen signalisiert Interesse
In Gelsenkirchen wiederum ist das Pilotprojekt angesichts seiner Erfolgsbilanz nach Angaben des dortigen Ordnungsdezernenten Simon Nowack (CDU) längst in die Regelstrukturen überführt worden. Auffälligkeiten, etwa wenn Kinder länger nicht in der Schule waren oder auf Amtspost keine Reaktionen erfolgte, wurden – anders als noch vor drei Jahren – inzwischen systematisch gebündelt. Das habe zur Folge, dass bei den regelmäßigen Kontrollen des Interventionsteams „EU-Ost“ auch gezielt Adressen ins Visier genommen würden, bei denen angenommen wird, dass hier Familien Leistungen wie das Kindergeld beziehen, obwohl sie gar nicht mehr in der Stadt leben. Im zweiten Halbjahr 2024 werde es dort bereits einen dritten großen Durchlauf geben, kündigte zuletzt Ordnungsreferatsleiter Hans-Joachim Olbering an.
Hagens Oberbürgermeister versicherte gegenüber dem Rat, dass er zu Jahresbeginn bei einer Veranstaltung mit Innenminister Reul bereits das Interesse der Stadt an Missimo hinterlegt habe: „Wir sind auf einem guten Weg, Teil des Projektes zu werden“, versicherte Erik O. Schulz, dass auch er es für sinnhaft erachte, jeden Fall, der aufgedeckt wird, auch konsequent zu verfolgen. Dazu habe es auch schon vorbereitende Gespräche mit der Hagener Polizeiführung gegeben.