Hagen. Das Düsseldorfer Förderprogramm, das die Integration der EU-Zuwanderer in Hagen unterstützt, läuft zum Jahresende ersatzlos aus
Der Druck aufgrund der Flüchtlingssituation beschäftigt die Stadt und ihren extra eingerichteten Krisenstab seit Monaten intensiv. Die Situation wird vor allem deshalb immer brisanter, weil parallel dazu in Hagen auch die EU-Zuwanderung vorzugsweise aus Südosteuropa kaum abebbt. 4878 Menschen aus Rumänien sowie weitere 2347 Bulgaren, diese Zahlen nannte zuletzt Oberbürgermeister Erik O. Schulz, die häufig der Sinti- und Roma-Kultur zuzurechnen sind, leben zurzeit in der Volmestadt. Eine enorme Integrationsherausforderung, die eine klamme Kommune an ihre finanziellen Grenzen bringt. Umso dramatischer erscheint es, dass ausgerechnet in diesem Jahr die Landesmittel aus dem millionenschweren NRW-Förderprogramm „Zuwanderung aus Südosteuropa“ versiegen. „Das zeigt, dass die Landesregierung die tatsächliche Situation in Hagen bis heute nicht verstanden hat“, kritisiert der heimische SPD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Jörg, „das bringt uns in erhebliche Schwierigkeiten“.
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Wie groß diese konkret werden könnten, vermag Hagens Sozialdezernentin Martina Soddemann bislang kaum einzuschätzen: „Täglich finden in der Martin-Luther-Straße begleitet durch das Gesamtteam aus Sozialarbeitern und acht Sprach- und Kulturmittlern durchschnittlich 15 bis 20 Beratungen für Menschen aus Südosteuropa statt.“ Hier geht es um Existenzsicherungsfragen, Anträge, Schriftverkehr, Schulplätze oder auch Schuldenberatung. „Mit Einstellung der Förderung können mangels einer Finanzierung diese Angebote nicht mehr fortgeführt werden“, macht die Dezernentin die Brisanz der Lage deutlich.
Gleiches gilt für aufsuchende Arbeit und das Konfliktmanagement in den Quartieren, vorzugsweise in der Innenstadt, Wehringhausen, Altenhagen und Haspe. Hier geht es in Zusammenarbeit mit Ordnungsamt und Polizei um Nachbarschaftskonflikte, Stadtsauberkeit, aber auch kulturelle Hinweise, sobald Feiertage und Brauchtumsveranstaltungen anstehen. Selbst Sprachkurse, Lern- und Frauenförderung sowie Wohn- und Ausbildungsberatung stehen ohne die Gelder des Landes sofort auf der Kippe.
Wolfgang Jörg hatte daher zuletzt auf dem Düsseldorfer Parkett im Rahmen einer „Kleinen Anfrage“ erneut deutlich gemacht, dass die Südosteuropäer in ihren Herkunftsländern massive ethnische Ausgrenzung erlebten und im Rahmen einer Kettenmigration in Städte wie Hagen, Duisburg, Bochum, Hamm oder auch Dortmund mit vielen Landsleuten ziehen, um dort eine neue Lebensperspektive aufzubauen. Deshalb sei die bereits 2017 aufgelegte Landesförderung ein wichtiger Baustein, um diese Menschen bestmöglich in die Arbeits-, Sozial- und Bildungssysteme einzubeziehen.
In diesem Jahr stellt NRW dafür letztmalig 5,5 Millionen Euro zur Verfügung. 2023 profitierte Hagen von diesem Kuchen immerhin mit 350.000 Euro, seit 2017 flossen über das Förderprogramm 2,1 Millionen Euro an die Volme. Dabei blieben auch immer wieder mal Mittel liegen, weil das notwendige Personal gar nicht auf dem Arbeitsmarkt zu finden ist. „Ein Phänomen, das sich immer wieder bei Projektförderungen zeigt, da regelmäßig nur befristete Einstellungen möglich sind“, kritisiert Soddemann die Systematik. „Das erschwert sowohl die Gewinnung als auch das Halten von Personal erheblich. Seitens der Stadt Hagen wurde gegenüber dem Land immer wieder darauf hingewiesen, dass eine strukturelle, planbare und dauerhafte finanzielle Unterstützung erforderlich ist.“
„Die zeitliche Begrenztheit wurde von Beginn an kommuniziert“, hält wiederum NRW-Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) in ihrer Antwort auf die Jörg-Anfrage dem entgegen: „Das Programm befindet sich aktuell in der dritten und letzten Förderphase. Ab 2025 stehen hierfür nach derzeitigem Planungsstand keine Mittel zur Verfügung“, verweist die Ministerin darauf, dass es in den Städten deshalb geboten sei, im Integrationsbereich eine langfristige Strukturförderung umzusetzen und entsprechend Projektförderungen klar zeitlich zur befristen. Im Klartext: Die über die Landesförderung aufgebauten Angebote sollen künftig beispielsweise in die Regelstrukturen des Kommunalen Integrationsmanagements (KIM) überführt und dann auch von den Städten selbst bezahlt werden. Wovon? Unklar. „Finanzierungsalternativen sind aktuell nicht bekannt“, betont Sozialdezernentin Soddemann.
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Kleiner Hoffnungsschimmer für die überschuldete Stadt Hagen: „Das Fachreferat ist aktuell dabei, einzelne Standorte genauer zu analysieren“, verweist Josefine Paul auf einen noch andauernden Prüfprozess: „Ziel ist es, für jeden Standort Anschlussperspektiven zu klären.“ Gemeint, so die weitere Antwort der Ministerin, ist dabei eine weitere Förderung im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF). Hier laufe das Interessenbekundungsverfahren für das Programm „EhAP Plus – Eingliederung hilft gegen Ausgrenzung der am stärksten benachteiligten Personen“. Doch dieses Angebot, so kritisiert Jörg, greife in Hagen gar nicht, weil über Europa lediglich Personal mit besonderen Qualifikationen gefördert werde, die Stadt jedoch viel niederschwelliger agiere.
„Die ESF-Förderung bietet leider keine adäquate Alternative, da die in Hagen aufgebauten Strukturen nicht den Fördervoraussetzungen entsprechen“, teilt Soddemann die Einschätzung des Hagener Landtagsabgeordneten komplett. „Dort werden Anforderungen an das Personal gestellt, die sich nicht mit den von uns eingesetzten und bewährten Kräften im Quartiersmanagement decken. Die bisherige Landesförderung ermöglichte den Einsatz von Kräften ohne Voraussetzung, sodass Menschen aus der Community gewonnen werden konnten, was für den Zugang zu dieser Zielgruppe besonders wichtig ist.“ Die bei „EhAP Plus“ geforderten formalen Qualifikationen sind hingegen weitaus höher, doch die erforderlichen Fachkräfte sind ohnehin kaum zu finden.
Angesichts dieses Dilemmas nimmt der SPD-Landtagsabgeordnete die Hagener CDU-Spitze in die Pflicht: „Der Einfluss von Kämmerer Christoph Gerbersmann und Parteichef Dennis Rehbein auf die Politik in Düsseldorf hat eher homöopathischen Charakter“, befürchtet er, dass Hagen angesichts des erhöhten Zinsdrucks und der weiterhin ungeklärten Altschulden-Frage noch viel schneller in die Roten Zahlen rutsche: „Mir gehen die Nackenhaare hoch, wenn ich beobachten muss, wie die schwarz-grüne Landesregierung die Hagener Interessen mit Füßen tritt.“ Der Oppositionspolitiker erwartet daher von der örtlichen CDU, dass die ihren Einfluss deutlich erhöht.