Schwelm. Das Hagener Landgericht befasst sich im Schwelmer Mordprozess intensiv mit den Blutspuren des Tatortes. Expertin kommt zu einem klaren Schluss.

Auch einen Tag vor Heiligabend haben sich vereinzelte Zuschauer im Gerichtssaal 201 des Hagener Landgerichts eingefunden, um die neusten Entwicklungen im Schwelmer Mordprozess zu hören. Bereits seit Ende August läuft der komplexe und langwierige Strafprozess, in dem einem 48-jährigen Schwelmer vorgeworfen wird, seine Noch-Ehefrau am 28. Februar 2024 mit insgesamt 34 Messerstichen auf brutale Weise getötet zu haben. Am letzten Verhandlungstag für dieses Jahr befasste sich das Schwurgericht rund um die Vorsitzende Richterin Heike Hartmann-Garschagen mit einem neu erstellten Gutachten der Blutspuren des Tatortes.

Bereich vor der Garage im Fokus

Als die Verteidiger des 48-jährigen Schwelmers vor einigen Wochen die Polizeiarbeit der ermittelnden Mordkommission kritisierten, ging es unter anderem darum, dass die Auswertung der Blutspuren und die Vermessung des Tatortes aus ihrer Sicht unzureichend gewesen seien. Der leitende Ermittler wies vor Gericht darauf hin, dass auch im Nachhinein aufgrund der Dokumentation des Tatortes weitere Gutachten erstellt werden könnten. Genau dies veranlasste das Gericht Ende November und beauftragte eine Fachärztin für Rechtsmedizin und Expertin für forensische Morphologie des Universitätsklinikums Essen mit der Aufgabe, die Blutspuren des Tatortes erneut auszuwerten.

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Auch die Richterbank räumt vor der Befragung der Sachverständigen ein, dass das Augenmerk bei den vorherigen Begutachtungen der Blutspritzer nicht auf dem Bereich vor der Garage gelegen habe. Ein wichtiges Puzzlestück, insbesondere nachdem der Angeklagte in seiner überraschenden Einlassung vor Gericht die Tötung der Schwelmerin zugegeben hatte, jedoch angab, dass dem Angriff ein Streit und ein Handgemenge mit seiner Noch-Ehefrau vorausging, das sich vor der Garage abgespielt haben soll.

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Gutachten basierend auf Bildern

Gleich zu Beginn räumt die Essener Expertin ein, dass ihr erst kürzlich erstelltes Gutachten selbstverständlich nur auf den vorliegenden Detailaufnahmen der Blutspuren und den Informationen dazu aus der Ermittlungsakte beruht. Den Tatort selbst hat sie damals nicht gesehen. Spuren, die eventuell nicht fotografisch festgehalten wurden, konnten somit keine Berücksichtigung finden.

Auf allen Bildern, die ihr zur Verfügung standen, erkennt die Expertin zwei Spurenkomplexe, die ihr für die Tat relevant erscheinen. Beide beziehen sich auf den Bereich innerhalb der Garage. Einer davon befindet sich auf der Wand neben der Fahrerseite des rückwärts eingeparkten Autos der Schwelmerin und ein anderer auf dem Garagenboden. „Wenn man sich die Physik von Blutspuren anguckt, kann man anhand von Form und Richtung die Position des Opfers bestimmen“, erläutert die Rechtsmedizinerin.

So geht es im Prozess weiter

Am 6. Januar 2025 wird die Verhandlung vor dem Hagener Landgericht fortgesetzt. Der psychiatrische Sachverständige Dr. Nikolaus Grünherz wird an diesem Tag sein Gutachten verlesen. Außerdem wird der Angeklagte vor Gericht Fragen zu seinem Lebenslauf beantworten. Die Plädoyers sollen sich auf Wunsch der Verteidigung auf zwei unterschiedliche Verhandlungstage verteilen. Los geht es am 13. Januar mit den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Nebenklage, bevor am 20. Januar die Strafverteidiger an der Reihe sind. Es ist davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft weiterhin von Mord ausgeht, während die Verteidigung auf Totschlag plädieren wird. Am 28. Januar soll es voraussichtlich dann endlich ein Urteil in dem Prozess geben, der sich bereits seit Ende August hinzieht.

An der Garagenwand gebe es sowohl Spritzer von rechts nach links, als auch von links nach rechts, die auf ein dynamisches Geschehen hindeuten, dass sich wohl auf dem engen Raum zwischen der Fahrerseite des Autos und der Garagenwand abgespielt haben müsse. Eine Aussparung an Spuren, auch Spritzschatten genannt, an der vorderen Seite der Garage deute darauf hin, dass sich dort ein Gegenstand oder eine Person befunden haben müsse, was verhinderte, dass Blutspritzer an diese Stelle gelangten.

Die Spuren seien nicht immer leicht zu interpretieren, da zum einen die ungleichmäßige, gesprenkelte Struktur der Garagenwand die Arbeit erschwert hätte und zum anderen würden die Blutspritzer aufgrund der Vielzahl der Verletzungen auch von vielen verschiedenen Bereichen des Körpers ausgehen. Abschleuderspuren eines Messers könnten darunter sein, sie könnten aber auch von den verletzten Händen des Opfers oder einer verletzten Hand des Täters stammen. Auch Spuren aus dem Halsbereich des Opfers, die darauf hindeuten, dass die Schwelmerin Blut gespuckt oder ausgehustet hat, seien an der Wand zu finden.

Vergleichsweise wenig Blutspuren

Die Frage der Vorsitzenden Richterin, ob die Spuren darauf hindeuten, dass der Hals des Opfers zuerst attackiert wurde, kann die Sachverständige zwar nicht beantworten. Auf die Frage von Strafverteidiger Ihsan Tanyolu, ob es nicht viel mehr Blut in der Garage hätte geben müssen, wenn sich dort der Angriff auf den Halsbereich zugetragen hätte, findet die Rechtsmedizinerin hingegen eine klare, knappe Antwort: „Muss nicht.“

Insgesamt sei zwar schon auffällig gewesen, dass es deutlich weniger Blutspuren am Tatort gab, als man aufgrund des Verletzungsbildes des Opfers erwarten würde. Das sei aber laut Gutachterin „nicht unplausibel“. Die Schwelmerin hat zum Tatzeitpunkt mehrere Schichten Kleidung getragen, die einen Großteil des Blutes aufgesaugt haben könnten. Bilder des Blut-durchtränkten Pullovers, der Jeansjacke, des Rucksacks und der Steppweste des Opfers passen durchaus zu dieser Theorie.

Expertin hat eine klare Hypothese

Letztendlich kommt die Expertin in ihrem Gutachten zu einem klaren Schluss: „Für mich sieht es so aus, dass der Angriff in der Garage stattgefunden hat.“ Sie habe keinerlei Anhaltspunkte, dass sich das Opfer verletzt aus der Garage heraus oder in die Garage hinein bewegt habe. Verteidiger Ihsan Tanyolu und sein Kollege Christoph Wortmann zweifeln an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage. Immerhin könne es auf dem Garagenhof weitere Blutspuren gegeben haben, die sich unterhalb der Leiche oder unterhalb der großen Blutlache, verursacht durch die Reanimationsversuche der Sanitäter, befinden.

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Ausschließen kann die Gutachterin dies nicht, beteuert aber, dass es ihre Hypothese ohnehin nicht beeinflussen würde. Denn es gibt ihrer Analyse nach keine Spuren, die aus der Garage heraus auf den Hof oder umgekehrt vom Hof in die Garage führen. Das würden die Detailbilder zeigen. „Wir können uns nicht auf das beziehen, was wir nicht sehen, sondern nur auf das, was wir sehen“, findet auch Richterin Heike Hartmann-Garschagen. Wie sich das Gutachten letztendlich auf das Urteil auswirken wird, bleibt abzuwarten. Der Prozess wird im Januar fortgesetzt.