Ennepetal. Als Petar Beram 1970 als Gastarbeiter nach Deutschland kam, hatte er nur eine Plastiktasche in der Hand. Heute ist das Land seine zweite Heimat.

Er ist einer der (dienst-)ältesten Fußballschiedsrichter im Kreis. Arbeitgeber und Belegschaft schätzten ihn als zuverlässigen und verdienten Kollegen. Mit seinem Akkordeon bereitete er unzähligen Menschen viel Freude. Was kaum einer weiß: Petar Beram kam vor fast 50 Jahren mit nur einer Plastiktasche unterm Arm nach Deutschland.

Den kennt man doch? Ja, den kennt man. Seit 40 Jahren „tanzen“ die Fußballer nach seiner Pfeife. Bei ABC in Ennepetal, wo er jahrzehntelang malochte, schätzten sie ihn so sehr, dass er es mit seinen Erfahrungen sogar bis in Fachbeiträge schaffte. Heute genießt der 70-Jährige seinen Ruhestand im Kreise seiner Familie, im eigenen Haus mit Blick auf Ennepetal.

Dass er das alles mal schaffen würde, dass er einmal mit Stolz auf soviel Erreichtes blicken kann, daran hätte der junge Petar nicht im Traum geglaubt, als er damals, keine 20 Jahre alt, in den sechziger Jahren noch in Zadar lebte, mit den Eltern und fünf Brüdern, wo es das Schicksal mit Menschen wie ihnen nicht gut meinte.

Ohne Perspektive

„Ich bin Kroate, und Tito mochte keine Kroaten“, beginnt Petar Beram zu erzählen. Seine Heimat war damals Teil von Jugoslawien, und in dem Mehrvölker-Staat hatten die Kroaten nicht viel zu melden. Oberwasser hatten die Serben, und Tito, der Kommunist, mochte keine Katholiken. Fast alle Kroaten sind aber katholisch. Auch Petar. Und das bekam er zu spüren. „Ich hatte Schlosser gelernt, aber keinen Job gefunden und auch kein Geld.“ Nicht einmal eine Freundin hatte er? „Wie denn, ohne Geld?“ Es war eine Jugend in Armut und ohne jegliche Perspektive.

Eine Jugend in Armut und ohne jegliche Perspektive: Petar Beram im Alter von 18 Jahren
Eine Jugend in Armut und ohne jegliche Perspektive: Petar Beram im Alter von 18 Jahren © Unbekannt | Privat


Doch in Zadar gab es etwas. Der Westen suchte Fachkräfte, und in der kleinen Stadt an der kroatischen Küste hatte ein Anwerberbüro eröffnet. „Ich bin da hin, habe mich gemeldet, und dann kam einer aus Deutschland, hat geguckt, ob ich fit und gesund sind, und hat gesagt, dass ich nach Deutschland kann.“ So schnell ging das, und Petar war nicht alleine. Alle, die konnten, gingen weg. Auch seine Brüder.

Abschied

Petar Beram erinnert sich noch genau. Es ist der 11. November 1970, als er in Zadar auf dem Bahnsteig steht. Mit ihm 20 weitere jungen Menschen aus seiner Stadt. Alle mit dem Papier von Anwerberbüro in der Hand. Ihr Weg in ein neues Leben bedeutet den Abschied von Freunden und Familie. „Damals gab es bei uns zuhause noch kein Telefon.“ Es sollte mehr als ein Jahr dauern, bis Petar Beram die Stimmen seiner Liebsten erstmals wieder zu hören bekommt.

In Zagreb heißt es für die jungen Männer umsteigen. Ein Zug wartet schon auf sie. Petar Beram wird den Anblick nie vergessen. „So ein oller, alter Zug, mehrere Waggons hintereinander, nur für Gastarbeiter.“ Sie seien bestimmt 400 Personen im Zug gewesen. Bosnier, Serben, Kroaten. „Eingepfercht wie die Pferde.“ Wohin die Reise geht? Nach München! Und danach? Keine Ahnung. „Ich war sehr aufgeregt, habe kaum geschlafen.“

Weitere Mutmacher in der Region:

Der Zug fährt über Österreich nach Deutschland. An der Grenze habe der Zoll die Papiere sehen wollen. Die Grenzer seien reingekommen und hätten nur abgewunken. „Von uns hatte niemand einen Pass. Nur dieses Schreiben vom Büro.“ Der Zug durfte ohne Kontrollen passieren.

In der Fremde

Dann die Ankunft morgens in München. Peter Beram steigt aus und betritt eine völlig neue Welt. Das einzige, was er bei sich hat: Eine kleine Plastiktasche mit zwei Hemden, einer Hose, ein bisschen Unterwäsche und das Nötigste für die Hygiene. Sprache? „Ich konnte kein Wort Deutsch.“

Geschuftet, aber gutes Geld verdient: Petar Beram bei Schweißarbeiten in der Dillinger Stahlhütte,
Geschuftet, aber gutes Geld verdient: Petar Beram bei Schweißarbeiten in der Dillinger Stahlhütte, © Unbekannt | Privat


Männer holen ihn ab, bringen ihn nach Homburg/Saar. Mit dabei die 20 anderen aus Zadar. Sie kommen unter in einem kleinen Haus, wo sie zu sechst bzw. siebt in einem Zimmer schlafen. In Stahlbetten, drei übereinander. Es wird für die nächsten Monate ihr Zuhause sein.

Am nächsten Morgen werden sie abgeholt und zu ihrer neuen Arbeit gebracht. Die Dillinger Hütte Saarstahl. „Wir haben dort Teile für Brücken zusammengeschweißt.“ Im Familienalbum gibt es noch alte Fotos davon.

Es ist beschwerlich und die Liebsten sind weit weg. Peter Beram behält die Zeit trotzdem in guter Erinnerung. „Klar, haben wir viel gearbeitet. Auch öfter samstags. Aber wir haben gutes Geld verdient.“ Nach einem Jahr kauft er sich einen VW Käfer. Als er damit im ersten Urlaub in seine alte Heimat fährt, fühlt er sich wie ein König.

Zurückkehren oder Bleiben?

Nach einem Jahr läuft der Gastarbeit-Vertrag aus. Peter Beram kann sich entscheiden. Zurück oder bleiben. Er bleibt. Dem gefragten Schlosser steht die (Arbeits-) Welt offen und zurückkehren kann er immer noch. Er wechselt später nach Gundremmingen, arbeitet dort im Atomkraftwerk. „Das war gefährlich, aber wir haben sehr gut verdient.“ Der junge Mann genießt sein Leben.

Sein erstes Auto ist ein VW-Käfer. Als er damit im ersten Urlaub in seine alte Heimat fährt, fühlt er sich wie ein König.
Sein erstes Auto ist ein VW-Käfer. Als er damit im ersten Urlaub in seine alte Heimat fährt, fühlt er sich wie ein König. © Unbekannt | Privat


1975 holt ihn der ältere Bruder, der bei Peddinghaus in Ennepetal gelandet war, zu sich. „Er hatte Bekannte bei ABC. Da konnte ich sofort anfangen.“ Ein jüngerer Bruder arbeitete bei Raco in Schwelm. Petar Beram fühlt sich in seiner neuen Umgebung pudelwohl.

Die Knie des leidenschaftlichen Fußballers machen nicht mehr mit. Dem Sport bleibt Peter Beram aber treu. 1976 legt er in Schwelm die „Schiri“-Prüfung ab und bleibt so Teil der heimischen Vereinsgemeinschaft. Dank seiner Lebensfreude und Geselligkeit, Petar spielt auch Akkordeon, wächst der Freundes- und Bekanntenkreis stetig an. Was einmal nur Gastarbeit war, fühlt sich mehr und mehr wie neue Heimat an.

Für immer angekommen

Weihnachten 1981 lernt Petar die 19-Jährige Senka kennen. Beim Urlaub in der alten Heimat. Es war Liebe auf den ersten Blick. „Im März 1982 habe ich sie sofort rübergeholt. Sie konnte kein Wort Deutsch. Wir haben noch ein paar Monate in der Döinghauser Straße in Schwelm gewohnt und sind dann in eine Wohnung von ABC in Ennepetal gezogen.“ Das Paar heiratet, wird später das Haus in der Heimstraße kaufen und lebt dort bis heute.

1983 kommt Tochter Katarina zur Welt, drei Jahre später folgt Sohn Ivan. Die schönste Zeit im Leben von Eltern löst bei Petar Beram unbekannte Gefühle aus. „Es war die einzige Zeit in Deutschland, dass ich mal traurig war. Mit der Geburt der Kinder wurde mir klar, dass ich fest hier bleiben werde.“


Heute will Petar Beram weder die alte Heimat noch die neue Heimat missen. Beide haben ihren Platz in seinem Herzen gefunden. Es ist ein erfülltes Leben, das mit einer Plastiktasche in der Hand so richtig Fahrt aufnahm.